Richter in Rot bestätigen ihre Kollegen
Ausnahmsweise nicht in Karlsruhe oder Leipzig, sondern in Augsburg fand am Dienstag eine Verhandlung des höchsten deutschen Gerichts statt. Die Richter hatten über dieRevision gegen ein vom Landgericht Augsburg gefälltesUrteil zu entscheiden, das gegen einen rabiaten Vater ergangen war.
Premiere für die Augsburger Justiz und für Hilda Gafiuc, Protokollführerin am hiesigen Landgericht. Ausnahmsweise nicht in Karlsruhe oder Leipzig, sondern in Augsburg fand gestern eine Verhandlung des höchsten deutschen Gerichts statt. Die Richter des 1. Strafsenats am Bundesgerichtshof hatten über die Revision der Verteidiger gegen ein vom Landgericht Augsburg gefälltes Urteil zu entscheiden - und sie bestätigten es. Das Urteil der 8.Kammer, das im vorigen Oktober einen rabiaten Vater wegen versuchten Totschlags sowie Körperverletzung zu sieben Jahren Haft verurteilte, ist "rechtsfehlerfrei".
Da die fünf Richter des 1. Strafsenats, Vorsitz Prof. Armin Nack, ohne Protokollführerin angereist waren, durfte Hilda Gafiuc, gekleidet in einer roten Robe, auf der Richterbank Platz nehmen - das erste und vermutlich letzte Mal in ihrem Leben. Denn der Bundesgerichtshof geht nur alle paar Jahre auf Reisen, um mit Richterkollegen vor Ort Rechtsfragen zu erörtern.
Der große Schwurgerichtssaal im Strafjustizzentrum an der Gögginger Straße war voll besetzt, als die Verhandlung um elf Uhr begann. Wo sonst nur wenige notorische Gerichtsgänger anzutreffen sind, war am Dienstag die geballte juristische Prominenz der Stadt vertreten. Staatsanwälte, Richter, Rechtsanwälte und selbstverständlich die Behördenleiter: die Präsidenten Prof. Frank Arloth (Landgericht), Herbert Veh (Amtsgericht) sowie Leitender Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz.
Sie wurden Zeuge einer unerwartet munteren, zweistündigen Verhandlung. Der Rechtsdisput kreiste um zwei Punkte. Frage Nummer eins: Handelte der Vater, als er den schreienden Säugling heftig schüttelte, mit bedingtem Tötungsvorsatz. Hätte er wissen müssen, welche dramatischen Folgen das für das Baby haben kann?
Die BGH-Richter bejahten dies letztlich. Durch heftiges Schütteln waren bei dem kleinen Dennis die zarten Rückenvenen gerissen. Blut schoss ins Gehirn. Nur weil der Schädel des sechs Monate alten Säuglings noch nicht ausgebildet war, überlebte er. "Sie und ich wären am Überdruck gestorben", hatte im Prozess die behandelte Ärztin ausgesagt.
Die beiden Münchner Verteidiger des 24 Jahre alten Angeklagten (Marco Noli und Markus Meißner) bekamen unerwartet deutliche Schützenhilfe von Bundesanwalt Ralph Heine. Wie die beiden Anwälte plädierte er dafür, das Urteil aufzuheben, und den Fall neu von einer anderen Kammer des Augsburger Landgerichts zu verhandeln.
Weitaus größere Probleme bereitete den Karlsruher Richtern eingestandenermaßen eine Antwort auf die Frage zu finden, ist der Täter noch so rechtzeitig zur Einsicht gekommen, dass er freiwillig die Tat abgebrochen hat. Hier kritisierte der Senat eine mangelnde Sachaufklärung durch die Strafkammer. "An sich wäre allein deswegen das Urteil aufzuheben gewesen", so der 1. Senat.
Doch da der Angeklagte auf Anraten seiner Verteidiger im Prozess schwieg, hat er es seinen Richtern schwer gemacht. Sie konnten nicht wissen, was in ihm vorging, als er das Kind schüttelte. Das jedem Angeklagten zustehende Recht, sich zu Vorwürfen der Anklage nicht zu äußern, erwies sich in seinem Fall als Nachteil.
Bestätigt vom Ausgang des Revisionsverfahrens durften sich Richter Wolfgang Rothermel und seine beiden damaligen Beisitzerinnen fühlen, die als aufmerksame Zuhörer das BGH-Verfahren verfolgten. Nur eines wurde am Dienstag vermisst und von dem Augsburger Rechtsanwalt Thomas Weckbach, im Vorstand der Anwaltskammer, schmunzelnd moniert. In Karlsruhe werden die Richter feierlich mit den Worten angekündigt: "Meine Damen und Herren, der hohe Senat kommt."
Die Diskussion ist geschlossen.