Der alte Meister der neuen leisen Töne
Konstantin Wecker zeigt sich in Gersthofen zerbrechlicher als früher und hat doch nichts von seinem kämpferischen Pazifismus verloren
"Ich singe, weil ich ein Lied hab" – Konstantin Weckers Credo hat sich in all den Jahrzehnten nicht geändert. Diesmal startet er mit dem frühen Song ins Konzert in der Stadthalle Gersthofen. Der Münchner ist neben Reinhard Mey einer der letzten einer Generation von Liedermachern, aus denen die persönlichen und gesellschaftlichen Botschaften noch in kunstvoll angelegten Reimstrukturen sprudeln.
Erst nach der Fertigstellung des Textes legt der inzwischen 76-Jährige Melodien drüber und Harmonien darunter, so dass am Ende Lieder draus werden. Und was für welche! 600 Stücke umfasst sein Werk, schätzt er selbst. Vom berühmten "Willy" über "Genug ist nicht genug" bis zu "Der Krieg". Es gäbe viele großartige Stücke aufzuzählen.
Konstantin Wecker erzählt immer auch viel von sich und seinen Gefühlen
Neben seiner antiautoritären und antimilitaristischen Lebensgrundeinstellung hat Wecker in seinen Texten auch immer viel von sich und seinen Gefühlen erzählt. Und vom Genuss und dem Genießen. Er sehnte sich insgeheim wohl immer nach einem gelungenen Leben und tat sich doch jahrzehntelang selbst so schwer damit.
"Ich habe unglaublich viel Blödsinn gemacht", räumt er inzwischen fast lächelnd ein. Denn der Künstler selbst war wohl immer ein Getriebener, immer nach Anerkennung suchend, auch wenn er das früher wohl nie zugegeben hätte.
Heute geht er damit spielerisch um. Er wäre in seinen Liederkenntnissen seinem Sein immer voraus gewesen, sagt er schmunzelnd. Und er habe im Leben wahnsinnig viel Glück gehabt. Das begann schon bei seinem Elternhaus. Wecker berichtet von seinem längst verstorbenem antiautoritären Vater, lässt eine alte Tonbandaufnahme einspielen, aus Zeiten, als er mit diesem gemeinsam im Wohnzimmer Opern sang, und die Mutter aufnahm. Ein begnadeter Sänger war er schon als Bub mit seiner Sopranstimme. Dem Publikum gefällt es.
Konstantin Wecker hat 2024 ein leises Programm zusammengestellt
Wecker hätte es sich leicht machen können, wie viele ältere Künstler, die mit einem Best-of-Programm durch die Lande ziehen. Doch glücklicherweise verzichtete er darauf. Zusammen mit dem Pianisten Jo Barnikel, mit dem er nun schon seit über 30 Jahren zusammenarbeitet, hat er ein leises Programm zusammengestellt unter dem Titel "Die Lieder meines Lebens". Es mögen nicht die stärksten und auffälligsten seiner Stücke sein, die die beiden zusammengefügt haben, aber das musikalische Duo passt wunderbar zusammen. Und Wecker erzählt an entlang der Lieder die Geschichte seines Lebens.
Die beiden Musiker sitzen sich gegenüber: Wecker am Flügel, Barnikel an einem mächtigen E-Piano. Der ausgebildete Pianist und Filmmusikkomponist begleitet den Liedermacher, spielt dessen Stücke oder legt den passenden Teppich unter die Gedichtrezitationen und Monologe. Wunderbar vertraut wirken die beiden.
Weckers Poesie wirkt kunstvoll wie aus einem anderen Jahrhundert
Weckers Lieder sind herrlich altmodisch, kein junger Songschreiber würde heute mehr so dichten und singen. Seine Poesie wirkt kunstvoll wie aus einem anderen Jahrhundert. Und das sind viele Texte auch, das tut ihrer Stärke aber keinen Abbruch. Denn das Paket Künstler und Lied ist hoch authentisch und aktuell. Stärker vielleicht sogar als früher.
Denn in jüngeren Jahren stimmte Wecker natürlich auch leise Töne an, oft bearbeitete er den Flügel aber mit einer auch gerne mal aufgeputschten Energie, die ihresgleichen suchte. Wecker war ein Kraftprotz auf der Bühne.
Heute erzählt der Liedermacher mehr als er singt. Und das kann er sehr gut - eindringlich, intensiv, überzeugend. Zwischen die Lieder packt er Gedichte mit so schönen pittoresken kleinen Sätzen wie: "Zwischen zwei Espressi schminkt sich der Mittag". Das noch immer überwiegend weibliche Publikum hängt an seinem Lippen. Er selbst wirkt im Alter zerbrechlicher als früher - und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Vor zwei Monate hatte sich Wecker einen Rückenwirbel gebrochen
Vor zwei Monaten hatte der Münchner einen Unfall im Badzimmer und sich dabei einen Rückenwirbel gebrochen. Statt bei der Reha die Beine hochzulegen steht er aber nun schon wieder zusammen mit seinem "musikalischen Lebensgefährten“, wie er Jo Barnikel nennt, in der ausverkauften Stadthalle Gersthofen auf der Bühne.
Wecker geht aufgrund seiner Verletzung etwas steif über die Bühne. Ansonsten ist er der Alte, trägt blaues Hemd, dunkle Hose und die bunte Regenbogen-Kette um den Hals. Im zweiten Set wird er nach der Pause politischer. Stücke wie "Utopia", "Sag nein" oder Hannes Waders "Es ist an der Zeit" sind Beispiele dafür. Doch dazwischen schiebt er immer wieder sanfte Stücke wie "Buonanotte Fiorellino" oder ein "Schlaflied". Oft verschmelzen die zwei Pianos kunstvoll zu einem Ganzen. Man könnte Wecker und Barnikel ewig weiter so zuhören.
Nach einer Zugabenserie und nahezu drei Stunden verabschieden sich die beiden Musiker. "Wir werden uns unsere Hoffnung auf eine gerechtere und friedlichere Welt für alle Menschen nicht nehmen lassen“, sagt Wecker. Er selbst nicht - und sein Publikum wohl auch nicht. Und er sagt auch, wie das gehen könnte: "Besiegen wir den Hass mit Zärtlichkeit."
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Ich war auch mal ein Fan von - dem immer schon selbstverliebten - Konstantin Wecker. Während seiner asozialen Lebensphase hat er allerdings für mich seine Glaubwürdigkeit restlos verspielt. Ich kann den Mann seitdem nicht mehr ertragen.
In seiner asozialen Lebensphase war er drogenkrank. Dass er sich da wieder herausgearbeitet hat und heute wirklich gut aussieht, ist doch bewundernswert, zumindest respektabel.
Selbstverliebt darf man schon sein, wenn man solche Texte schreiben und Lieder komponieren kann. ;-)
Na ja, man kann nicht jede Sauerei, die man anderen (und sich selbst) antut, auf eine Krankheit schieben. Das war ja ein Prozess, der nicht ohne Grund seinen Lauf nahm und in der totalen Verwahrlosung endete. Ich kann den Mann seitdem nicht mehr ernstnehmen.
Ich war auch schwer enttäuscht als er nach seiner Selbstbeweihräucherung über seinen angeblichen Entzug (Roman Uferlos) wieder rückfällig wurde bzw. als sich herauskristallisierte, dass es damit nicht so weit her war. Gehört aber mit ins Abhängigkeitsbild, zu meinen, man habe das im Griff mit dem Konsum.
Ich bin aber etwas verwundert, dass Sie, der Sie sonst der Resozialisierung doch positiv gegenüber stehen, diese dem Wecker nicht zugestehen bzw. anerkennen wollen, dass sie geglückt ist.
So. Ich weiß jetzt wieder, worauf Sie anspielen. Hatte ich nicht mehr auf dem Schirm.
Diesbezüglich stimme ich Ihnen zu. Einen Schaden, den man anrichtet, Miete, die man schuldig bleibt, zahlt man, wenn man wieder dazu in der Lage ist, selbst wenn die Leute reich sind.
Habe das Programm bei der Premiere in der Elphi erleben dürfen. Wecker hat mich über die Jahrzehnte begleitet oder besser ich ihn. Schon in den 80ern hat mich sein Album "Liebesflug" fasziniert, genau wegen des Liedgesanges, der einzigartig war und ist, zuvor das an Orff angelehnte Album "Eine ganze Menge Leben". Seine Abstürze, sein Wiederaufstehen, seine Unbeirrbarkeit, sein Pazifismus, in dem ich ihm am Schwersten folgen kann. Würde er wirklich seine Söhne nicht verteidigen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte?
Ich mochte auch, wie er Klavier "arbeitete", die ellenlangen Zugabesessions, die länger dauerten als das eigentlich Konzert.
Ach ja, diese "wunderbare Nächte mit Euch allen, selbst in viel zu kalten Mehrzweckhallen, herrliche Konzerte voller Glück,
die nimmt uns keiner, das kommt tausendfach zurück." So ist es.
Und: "Was für eine Nacht -
So warm und geduldig,
Setzt euch näher zu uns her,
Schenk noch einmal ein.
Heute spricht mal keiner
Den anderen schuldig,
Heute läßt mal jeder
Den andern anders sein."
In der Urfassung waren es wohl mal zwei Espressos zwischen denen sich der Mittag schminkte.
"Er steht nackt in seiner Garderobe und scherzt.
Jetzt aufstehen. Die Arme ausbreiten.
Dann tritt SIE aus den Wäldern. Zuversichtlich.
Und eine Flasche Rotwein im Arm.
Die Hügel ebnen sich. Wir erreichen eine große Stadt.
Der Abend wird eingetrunken.
Sie erzählt von ihrem Land. Wir singen.
Die Kellner heben die Fäuste.
Avanti Populo und un bicchiere di vino rosso ancora.
Wir sind zuversichtlich."