Quereinsteigerin an Mittelschule: Plötzlich kommen Emotionen ins Spiel
Mehr als 900 Quereinsteiger unterrichten an Bayerns Schulen - so wie Karin Unger. Ihre Ausbildung hat sie fast geschafft. Doch eine Sache hatte die Allgäuerin nicht auf dem Schirm.
Karin Unger wird am Freitag zum ersten Mal in ihrem Leben Zwischenzeugnisse verteilen. Nicht nur deshalb ist es für die Allgäuerin ein besonderer Tag. Sie selbst ist dann, wenn man so will, eine Dreiviertellehrerin. Die 42-Jährige lässt sich als Quereinsteigerin an der Mittelschule Immenstadt (Oberallgäu) zur Lehrkraft ausbilden. Eineinhalb von zwei Jahren Referendariat sind jetzt vorbei.
Der Quereinstieg ist eines der vielen Mittel, mit denen das Kultusministerium die Personalnot an Schulen zumindest verringern will. Mehr als 900 Menschen mit ganz unterschiedlichen Vorleben sind über alle Schularten hinweg in der Ausbildung. Sie waren früher Sozialarbeiterinnen, Automobilmanager, Ingenieure, oder sie kommen aus der Sportbranche wie Karin Unger. Die zweifache Mutter fühlt sich wohl in ihrem neuen Job – hat aber auch ein paar Punkte entdeckt, die sie sich anders wünschen würde.
Quereinstieg: Mittelschule ist emotional oft schwer
Seit diesem Schuljahr hat Unger ihre erste eigene Klasse, eine siebte mit 16 Schülerinnen und Schülern. "Das ist viel Mehrarbeit", sagt sie. "Abends telefoniere ich noch mit Eltern, bereite den Unterricht vor, mache alles Bürokratische." Am Wochenende sei es ähnlich, auch in den letzten Tagen der Faschingsferien hat sie schon wieder Stunden konzipiert.
Karin Unger gefällt es, wichtigste Ansprechpartnerin für ihre Schülerinnen und Schüler zu sein. "Man lernt die Jugendlichen und deren Eltern richtig gut kennen." Doch die Arbeit als Klassleiterin bringt etwas mit sich, was sie "wirklich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte": die emotionale Belastung im Umgang mit Schülerinnen und Schülern. "Es gibt Kinder, die tun einem wirklich leid. Kinder mit richtig großen Schwierigkeiten." Zum Glück sei sie der Typ Mensch, der das alles nach Feierabend hinter sich lassen könne.
Doch für die nächste Generation an Quereinsteigenden wünscht sich Unger mehr Vorab-Information zu den einzelnen Schularten. "Natürlich ist es auch an der Mittelschule wichtig, den Schülern etwas beizubringen, aber man ist vor allem Berater und Erzieher. Pädagogische und psychologische Fähigkeiten sind extrem gefragt." Das wüssten viele vorher nicht.
Noch einen Meilenstein brachte Unger seit Schuljahresbeginn hinter sich. Eine von drei Lehrproben hat sie absolviert, wurde darin bewertet, wie sie eine Sportstunde für alle Mädchen der siebten Jahrgangsstufe hielt. Sie gestaltete einen Hindernisparcours im Stil der TV-Abenteuershow "Takeshi's Castle". Mit dem Ergebnis ist Unger zufrieden. Eine Doppellehrprobe in zwei der von ihr unterrichteten Fächer fehlt noch, dazu die mündliche Prüfung. "Ich bin froh, wenn es zu Ende ist", sagt sie über die Prüfungsphase, an deren Ende sie offiziell fertig ausgebildete Lehrerin sein wird.
BLLV und manche jungen Lehrkräfte sind skeptisch
Das Kultusministerium feiert den Quereinstieg als Erfolgsprojekt. Unter den "regulären" Lehrkräften sieht man ihn zwiegespalten. Aus dem bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband hieß es erst kürzlich wieder, Unterstützungskräfte mit vielfältigem Hintergrund seien "wichtig und bereichernd". Doch der Verband beklagt den hohen Ausbildungsaufwand und fürchtet, dass die Neuen selbst nach ihrer zweijährigen Qualifizierung nicht mit ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen mithalten können. Auch manche Junglehrkräfte fühlen sich benachteiligt, weil die Quereinsteiger "nur" zwei Jahre Ausbildung statt eines mehrjährigen Studiums samt Referendariat durchlaufen müssen, und weil man jene mit einer "heimatnahen Ausbildung" lockt, während sie selbst für ihr Referendariat mit Versetzungen innerhalb von ganz Bayern rechnen müssen.
Karin Unger würde sehr gern Lehrerin bleiben, doch für sie ist es eine entscheidende Bedingung, auch nach dem Referendariat im Allgäu zu arbeiten. In ihrem früheren Beruf im Europavertrieb eines Sport-Textilherstellers arbeitete sie 50, 60 Stunden pro Woche. "Mein größter Antrieb für den Quereinstieg war es, mehr Zeit für meine Familie zu haben – und das funktioniert. Ich kann mir heute meine Zeit viel besser einteilen."
Was sie an der zweijährigen Ausbildung verbessern würde? Dazu fällt Unger einiges ein: Grundvoraussetzung für den Einsatz als Quereinsteiger ist ein abgeschlossenes Studium. Ein Vorstellungsgespräch musste sie nie führen. "Ich finde, es sollte Einstellungsgespräche geben. Dann weiß die Regierung auch, wer in den Lehrerberuf einsteigt." Hilfreich fände sie auch "eine Art Assessment-Center", also ein Auswahlverfahren wie in der freien Wirtschaft, bei dem Interessierte und Arbeitgeber über mehrere Tage hinweg einen Eindruck vom jeweils anderen bekommen. "So könnte man die pädagogische Qualität der Bewerber prüfen." Auch für die Quereinsteiger sei das sinnvoll, um abzuwägen, "ob sie den Job wirklich machen wollen und können".
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