Brunner-Prozess: Gereizte Stimmung auch außerhalb des Gerichtssaals
Im Prozess um den gewaltsamen Tod von Dominik Brunner auf dem Bahnsteig in München-Solln wird heute die Verhandlung fortgesetzt. Die Stimmung ist gereizt. Ein Verteidiger rechnet mit einer Wende.
Nach Tagen öffentlicher Aufgeregtheit rund um den Prozess um den gewaltsamen Tod von Dominik Brunner (50) auf dem Bahnsteig in Solln wird heute die Verhandlung vor der 1. Jugendkammer des Landgerichts München I fortgesetzt. Verschiedene Zeugen am Tatort und der S-Bahn-Fahrer sollen ihre Beobachtungen schildern.
Eine Antwort auf die heiß diskutierte Frage, ob die Mordanklage gegen die beiden jungen Schläger hält, ist allerdings in dieser zweiten Verhandlungswoche noch nicht zu erwarten. Die Stimmung freilich ist äußerst gereizt. Der Grund: Es wird nicht nur im Gerichtssaal um die Deutungshoheit und rechtliche Bewertung der schrecklichen Ereignisse gefochten. Den Verteidigern von Markus S. und Sebastian L. geht es offenbar auch darum, die öffentliche Meinung über ihre Mandanten zumindest zu relativieren.
Bereits in ihrer Erklärung zum Prozessauftakt hatten die Verteidiger eine "hochgradig emotionalisierte Medienberichterstattung" beklagt und ein "faires Verfahren" gefordert. Als Zeugen berichteten, dass Brunner in Solln auf die jungen Burschen zugegangen sei mit den Worten "Ihr wollt's nicht anders" und dann auch als Erster zugeschlagen habe wie ein "Kampfsportler", deutete Rechtsanwalt Jochen Ringler dies als mögliche Wende in dem Prozess: "Das dreht jetzt."
Für echte Irritationen sorgte dann am Wochenende außerhalb des Gerichtssaals das bisher unbekannte Detail, dass Brunner an einer Herzschwäche litt und an Herzversagen starb. Die Verteidiger, die dies aus dem Obduktionsbericht längst wissen mussten, nannten es prompt "empörend", dass die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit in dem Glauben gelassen habe, das Opfer sei zu Tode getreten worden. Die Mutmaßung, die Staatsanwaltschaft sei sich ihrer Sache offenbar nicht so sicher, folgt auf dem Fuß.
Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger, zeigte sich davon zwar unbeeindruckt und erklärte: "Herr Brunner ist infolge der Schläge und Tritte daran gestorben, dass das Herz stehen geblieben ist." Deshalb bleibe es bei der Mordanklage. Die Frage aber, warum die Todesursache in der öffentlich vorgetragenen Anklage nur vage angegeben wurde, blieb unbeantwortet. Im Anhang, wo das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen den Prozessbeteiligten mitgeteilt wird, stand die Todesursache nach Informationen unserer Zeitung aber sehr wohl. Darüber schwiegen bis zum Wochenende auch die Verteidiger.
Nach Ansicht von Strafrechtsexperten dürfte die Herzschwäche Brunners für die Frage nach der Tötungsabsicht allerdings kaum eine Rolle spielen. Wer eine Minute lang brutal schlägt und mit Füßen tritt und seinem bereits wehrlosen, am Boden liegenden Opfer dabei laut Anklage "22 individualisierbare schwere und schwerste Verletzungen" zufügt, der nehme in Kauf, sein Opfer zu töten.
Weitaus schwieriger zu klären ist die Frage, ob es Mord war. Mord ist die Tötung eines Menschen nur, wenn mindestens ein Mordmerkmal vorliegt. Im Strafgesetzbuch heißt es dazu: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niederen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet."
Die Staatsanwaltschaft stützt sich im Fall Brunner auf das juristisch schwächste Mordmerkmal: niedere Beweggründe. Sie nimmt nach ihren Ermittlungen an, die beiden jungen Schläger hätten Brunner aus Rache getötet, weil er sich schützend vor die vier Jugendlichen gestellt hatte, denen die beiden Burschen von der Donnersberger Brücke in die S-Bahn und bis nach Solln gefolgt seien und denen sie dabei immer wieder gedroht hätten, ihnen Geld abzunehmen.
Die beiden Angeklagten verteidigen sich im Kern mit zwei Aussagen. Erstens behaupten sie, nach der Auseinandersetzung an der Donnersberger Brücke nichts mehr gegen die vier Jugendlichen im Schild geführt zu haben. Und zweitens sagen sie, dass es auf dem Bahnsteig in Solln nicht zur Eskalation gekommen wäre, wenn Brunner nicht zuerst zugeschlagen hätte. Erst nach diesem Angriff seien sie richtig wütend geworden.
Die bereits gut dokumentierte Vorgeschichte spricht gegen sie: die versuchte Erpressung an der Donnersberger Brücke, die Verfolgung der Jugendlichen in die S-Bahn, die fortgesetzten Stänkereien und Drohungen im Zug sowie das Eingeständnis der beiden Angeklagten, dass sie eigentlich schon zwei Stationen vor Solln aussteigen wollten.
Die Kernfrage des Prozesses aber ist, was auf dem Bahnsteig in Solln genau passiert ist. Dazu werden im Fortgang des Prozesses von heute weitere Zeugen gehört. Das Urteil wird für den 28. Juli erwartet.
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