"Hören, wie es so steht in Deutschland"
Auf der Vorderseite der Postkarte ist Nördlingen abgebildet. Die Rückseite schmückt die Unterschrift von Horst Köhler. Karl Wild ist überglücklich. Auch in Donauwörth machte der Bundespräsident am Mittwoch Station. Von Andrea Kümpfbeck
Donauwörth/Nördlingen Auf der Vorderseite der Postkarte ist Nördlingen abgebildet. Die Rückseite schmückt die Unterschrift von Horst Köhler. Und Karl Wild ist überglücklich. Wild ist "ein echtes Nördlinger Urgestein", wie er sagt; einer der Türmer des "Daniel".
So heißt der Turm der St.-Georgs-Kirche, die sich Köhler spontan - und außerhalb des Protokolls - anschaut. Direkt vor der Kirchentür hat Wild den Bundespräsidenten erwischt und um eine Unterschrift gebeten. Sein jüngster Sohn kann seine Sammlung damit um ein besonders wertvolles Autogramm ergänzen.
Zwei Tage lang ist das deutsche Staatsoberhaupt - kurz vor der Bundespräsidentenwahl im Mai - in Bayern unterwegs. Vorgestern war er auf der Zugspitze, in Mittenwald, abends beim Champions-League-Spiel des FC Bayern, gestern dann in Schwaben. Nicht um Wahlkampf zu machen, sagt er. Sondern "um zu hören, wie es so steht in Deutschland".
Nördlingen hat sich festlich herausgeputzt, vor dem Rathaus wehen Deutschland- und Bayern-Fahnen, die Knabenkapelle spielt eine Fanfare für Horst Köhler und seine Frau Eva Luise. Mit dem traditionellen Türmerruf "So Gsell so" wird der höchste Repräsentant des Staates begrüßt. Trotz des Schulwissens über die Besonderheiten des Nördlinger Rieses sei er noch nie da gewesen, sagt Köhler. Doch jetzt geht es ihm vor allem darum, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, ihre Sorgen und Nöte sich anzuhören: "Das ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Politikers."
Die Mitglieder des Vereins Alt-Nördlingen in ihren historischen Kostümen überreichen Blumen, die Menschen jubeln den Köhlers zu. Zu Fuß bummeln der Bundespräsident und seine Frau durch die historische Altstadt. Köhler sucht den Kontakt zum Volk, er geht auf die Menschen zu, schüttelt Hände und streichelt Kinder, lacht und scherzt, plaudert und hört zu. Konzentriert, interessiert, ungezwungen, direkt.
Zweieinhalb Stunden haben Susanne Felsenstein und ihr Mann Martin (92) in der Sonne gewartet. Ein hellgrünes Kostüm hat sich die 83-Jährige für diesen Tag angezogen. Jetzt steht sie ganz vorne am roten Absperrband. Genau richtig. Der Bundespräsident kommt auf die alte Dame zu, schüttelt ihr die Hand. "Er ist ein guter, kluger, sehr bescheidener Mann mit viel Erfahrung", sagt sie begeistert.
Knapp 500 Meter sind es bis zum Pflegezentrum Bürgerheim im Gebäude des ehemaligen Spitals. Ein Besuch der Vorzeige-Einrichtung mitten in Nördlingen war der Wunsch des Bundespräsidenten. Er nimmt sich Zeit für die 100 Bewohner, setzt sich zu ihnen an den Kaffeetisch - und gewinnt die Herzen. Auch dadurch, dass er die Bedeutung der alten Menschen für die Gesellschaft betont. "Wir müssen endlich begreifen, was für ein Schatz die älteren Mitbürger sind", sagt er. Und dass er es schaffen möchte, diesen Schatz der jüngeren Generation zugänglich zu machen. "Dann hätte ich als Bundespräsident alles erreicht, was ich mir vorgenommen habe", sagt Köhler - und bekommt dafür spontanen Applaus.
"Erzählen Sie mir, was ein Bundespräsident wissen sollte", fordert Köhler die Bewohner des Heims auf. "Na ja", rückt Edith Hahn (94) heraus: "Die Sache mit dem Kopfsteinpflaster." Darauf sei einfach schlecht zu laufen; zu uneben sei der Bodenbelag in der ganzen Stadt für die Senioren, kritisiert die Heimbeiratsvorsitzende - gerade wenn sie mit ihrem Gehwägelchen unterwegs ist. Köhler ruft Oberbürgermeister Hermann Faul an den Tisch. Der kennt Frau Hahn schon. Und ihren Kampf um glattere Gehwege auch. "Wir arbeiten dran", verspricht er. Edith Hahn ist damit zum "Horst-Köhler-Fan" geworden, wie sie später sagt. Ihre Freundin Ottilie Bidner (83) ebenfalls. Lange noch schwärmen die Damen von diesem "sympathischen Mann, den könnte man fast drücken".
In Donauwörth, der ersten Station des gestrigen Tages, haben sich vor der Käthe-Kruse-Puppenfabrik die Nachbarn auf Gartenstühlen niedergelassen, die Digitalkameras in den Händen. Die Werkstatt drinnen ist ordentlich aufgeräumt. Die Kisten, die sich sonst in den Gängen stapeln, sind verschwunden. Keine einzige Kaffeetasse steht herum. Hänsel bekommt gerade die Haare geschnitten. Susanna Krug verpasst den Puppen die Frisur. Sie kürzt Hänsel den Pony, verstrubbelt die Mähne vorschriftsgemäß. "Schon toll, dass sich der Bundespräsident gerade für unsere Puppenwerkstatt interessiert", sagt Susanna Krug. Und gibt zu, dass sie aufpassen muss, um den Hänsels, die im Korb um einen Haarschnitt anstehen, vor lauter Aufregung nicht die Haare zu verschneiden.
Gut gelaunt ist der Bundespräsident auch hier, als er sich die Produktion zeigen lässt. Er ratscht mit den Näherinnen, fragt nach, wie lange sie schon bei Käthe Kruse sind, will wissen, wie sich die Arbeitszeiten mit der Kindererziehung vereinbaren lassen. Vor allem aber interessiert ihn, ob die Krise inzwischen auch bei einem kleineren mittelständischen Unternehmen wie dem schwäbischen Puppenhersteller - einem der ältesten in Deutschland - angekommen ist. Das ist sie sehr wohl, sagt Firmeninhaberin Andrea Christenson. Sie findet klare Worte: "Doch man spricht nur über die Großen", kritisiert sie, "die Schaefflers und Co. Über uns wird nicht geredet, bei uns kommt auch nichts an."
Eine handgemachte Käthe-Kruse-Puppe in bayerischer Tracht - mit Sepplhut, Strickjoppe und brauner Lederhose - werden die Köhlers für ihre zweijährige Enkelin mit nach Hause bringen. Daneben die Erinnerung an viele nette Begegnungen, einer Menge guter Wünsche und einen Brief von Friedrich Schwarz, den der Senior Horst Köhler im Nördlinger Bürgerheim zugesteckt hat. Er hofft, dass Köhler als Bundespräsident wiedergewählt wird, hat Schwarz hineingeschrieben. Und dass er zusammen mit den anderen Bewohnern dafür beten werde. Die Vorzeichen jedenfalls stehen nicht schlecht. Denn als erster und bis gestern einziger Bundespräsident hat Theodor Heuss Nördlingen besucht. Er wurde 1953 an exakt derselben Stelle empfangen wie Horst Köhler. Und Heuss wurde bekanntlich im Jahr darauf wiedergewählt.
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