Ein dubioses Geständnis und Erinnerungslücken
Es gibt bisher weder Zeugenaussagen noch Dokumente, die als echte Beweise für die Schuld des Angeklagten Werner M. (59) taugen könnten. Dafür prägen Polizei-Pannen die Verhandlung. Von Holger Sabinsky
Von Holger Sabinsky, Augsburg
Es gibt bisher weder Zeugenaussagen noch Dokumente, die als echte Beweise für die Schuld des Angeklagten Werner M. (59) taugen könnten. Dafür prägen Polizei-Pannen die Verhandlung.
Dreieinhalb Monate dauert der Prozess um den Tod der kleinen Ursula Herrmann schon. Noch gibt es keine Zeugenaussagen, keine Dokumente, die als echte Beweise für die Schuld des Angeklagten Werner M. (59) taugen könnten. Dafür prägen Polizei-Pannen und ein dubioses Geständnis eines mittlerweile toten Alkoholikers die Verhandlung.
Und Werner M. schweigt beharrlich, ebenso wie seine mitangeklagte Frau Gabriele. Nur einmal, am ersten Prozesstag, hat er gesprochen: In einer 23 Seiten langen Erklärung setzte er sich mit allen von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Verdachtsmomenten auseinander und versuchte, jeden einzelnen Punkt zu entkräften. Er schloss mit den Worten: "Ich bin mir sicher, dass ich freigesprochen werde."
Nach 16 Prozesstagen scheint es durchaus möglich, dass Werner M. Recht behalten könnte. Der Mann, der 27 Jahre nach einem der spektakulärsten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte verhaftet worden war, ist alles andere als überführt. Obgleich sich die Staatsanwaltschaft müht, eine schlüssige Indizienkette gegen ihn zu präsentieren. Werner M. soll der Mann gewesen sein, der - wohl mit Komplizen - am 15. September 1981 die zehnjährige Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee in einem Waldgebiet entführt und in einer Gefängniskiste im Boden vergraben hat. Ursula erstickte kurz nach der Verschleppung in der Holzkiste. Gefunden wurde sie erst 19 Tage später.
Nach dem Fund der Kiste waren sich die Ermittler ihrer Sache zu sicher. Wichtige Zeugen wurden erst Monate später vernommen. Am Tatort wimmelte es von Pressevertretern und Ermittlern. Das erschwerte die Spurensuche. Zudem gab es in der Sonderkommission zwei verschiedene Stoßrichtungen: Während der Leitende Ermittler Joachim Solon besonders Werner M. im Visier hatte, verfolgte sein Nachfolger vor allem die Spur des Ex-Polizisten Harald W. Auch die Verteidiger Walter Rubach und Wilhelm Seitz halten den Ex-Polizisten für den "weitaus wahrscheinlicheren Täter".
Das einzige echte Indiz bisher ist das einmalige Geständnis eines alkoholkranken Kumpels von Werner M. Er war ab Februar 1982 etliche Male verhört worden. Eines Tages gestand er, für Werner M. ein Loch im Wald gegraben zu haben. Er beschrieb die Lage und die Größe des Lochs sowie das Erdreich. Doch kurz darauf widerrief er die Angaben. Allerdings haben mehrere Zeugen gesehen, wie der Arbeitslose mehrmals vor Ursulas Entführung auf seinem Mofa mit einem Spaten wegfuhr.
Ein Riesenproblem für das Schwurgericht unter Vorsitz von Wolfgang Rothermel ist die lange Zeit, die seit der Tat vergangen ist. Zeugen erinnern sich nur bruchstückhaft oder gar nicht. Die Richter müssen immer wieder aus Akten vorlesen - doch die Zeugen sind oft überrascht, was sie damals gesagt haben sollen.
Ursulas Bruder Michael Herrmann hat als Nebenkläger Gericht und Staatsanwaltschaft brüskiert. In einem Brief an das Gericht bezeichnete er ein wichtiges Indiz, über das noch gar nicht verhandelt wurde, als hinfällig: Es geht um das Tonbandgerät, das bei Werner M. gefunden worden war und das für die Erpresseranrufe benutzt worden sein soll. Die bisherigen Untersuchungen dazu seien "einseitig" und "unvollständig", so Ursulas Bruder.
Mittlerweile wird Kritik am Verlauf des Prozesses laut. Justiz-Kenner und Prozessbeobachter halten das Vorgehen des Vorsitzenden Richters Rothermel für unglücklich. Man hätte gleich zu Anfang gewichtige Indizien wie das Tonbandgerät verhandeln müssen, um den schweigenden Angeklagten unter Druck zu setzen, sind sie sich einig. So schleppe sich der Prozess dahin. Ob der Prozess wie geplant Ende des Jahres zu Ende geht, ist völlig ungewiss.
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