Karolina-Prozess: Mutter streitet Schuld ab
München (dpa/lby) - "Ich weiß es nicht mehr genau, ich verstehe nicht, ich kann mich nicht erinnern." Immer wieder lässt die Mutter der getöteten kleinen Karolina die Fragen des Gerichts zum Teil unbeantwortet, bis der Vorsitzende Richter des Schwurgerichts München II, Walter Weitmann, warnt: "Wenn Sie anfangen, das Haar zwei Mal zu spalten, kann es etwas riskant werden." Seit Montag muss sich die heute 27- Jährige mit ihrem Ex-Freund erneut wegen Mordes an ihrer drei Jahre alten Tochter vor Gericht verantworten.
Der heute 32-Jährige schweigt an diesem Montag - er hat bereits im Erstprozess vor dem Landgericht Memmingen eingeräumt, das Kind misshandelt zu haben. Sein Anwalt Georg Zengerle sagt am Rande des Prozesses nur: "Er schaut mit Grausen und Bedauern auf das zurück, was er dem Kind angetan hat." Der damals drogensüchtige Türke hatte das Mädchen in Januar 2004 im schwäbischen Weißenhorn tagelang gequält und schließlich tödlich verletzt - die Mutter rettete ihre Tochter nicht, rief niemanden zu Hilfe.
Sie habe gegen den gewalttätigen Mann keine Chance gehabt, rechtfertigt sich die dunkelhaarige zarte junge Frau, die vor Gericht in weißer Bluse und schwarzer Jacke erscheint. "Er merkte, dass ich Angst habe, und hat das ausgenützt." Als sie sich trennen wollte, sei sie geschlagen worden. Auch habe er gedroht, ihre Schwester und ihre Mutter umzubringen, sagt die ehemalige Prostituierte. Sie habe sich nicht getraut, Schluss zu machen.
Der Angeklagte quittiert die Aussage mit Kopfschütteln, und auch der Richter meldet Bedenken an. "Sie sind ja nicht im Klostergarten aufgewachsen." Sie habe sich schließlich auch im Zuhältermilieu durchsetzen müssen. Doch die Frau bleibt dabei: Ihr Freund sei immer wieder aggressiv geworden. "Es war regelmäßig, wenn ich aufgestanden bin, um Mittagessen zu machen - weil es ihn gestört hat, dass ich nicht den ganzen Tag mit ihm im Bett bin." Sie habe mit ihrer Tochter gespielt, wann sie konnte, der Türke sei jedoch eifersüchtig gewesen, sagt die Angeklagte, die sich im Gerichtssaal trotz guter Deutschkenntnisse übersetzen ließ, unter Tränen. "Das Kind hat ihn halt gestört." Dass sie die Kleine allermeist sich selbst überlassen habe, streitet sie ab: "Das stimmt nicht."
Die kleine Karolina hatte vom Neujahrstag 2004 an tagelang ein Martyrium durchgemacht. Der Mann ließ Karolina über Nacht im kalten Keller, verweigerte ihr den Schlaf, schlug sie mit dem Kopf gegen Wände oder gegen den Boden, riss ihr die Haare aus und fügte ihr am ganzen Körper Brandwunden zu. Die Mutter machte kaum Anstalten, einzuschreiten. Einmal versuchte sie, die Polizei zu holen, ein andermal habe sie zu fliehen versucht, sagt sie vor Gericht. Und sie wiederholt immer wieder: "Ich hatte Angst vor ihm." Als das Kind nach erneuten Schlägen bewusstlos wurde, habe sie das Kruzifix von der Wand genommen und gebetet.
Erst am nächsten Morgen habe sie ihren damaligen Freund überreden können, mit dem schwer verletzten Kind ins Krankenhaus zu fahren. Doch sie gibt das Kind nicht an der Pforte ab, sondern legt es in die Damentoilette - und flüchtet mit dem Mann. Sie habe nicht zulassen können, "dass er allein rumläuft", erklärt die Frau in dem bis auf den letzten Platz besetzten Schwurgerichtssaal die gemeinsame Flucht. Und ergänzt: "Ich hatte Angst, dass er meine Familie umbringt."
Da platzt dem Richter dann doch noch einmal der Kragen. "Das ist ja ein rechter Krampf." Vor gut einem Jahr hatte das Landgericht Memmingen den Mann wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu zehn Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, die heute 27-jährige Mutter bekam fünfeinhalb Jahren Haft. Der Bundesgerichtshof hatte dieses Urteil jedoch als zu milde aufgehoben und das Verfahren an das Landgericht München II verwiesen - beide müssen jetzt mit höheren Strafen rechnen.
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