
Die CSU erfindet sich ihren Übervater Franz Josef Strauß neu

Bei den Feiern zum 100. Geburtstag des früheren Ministerpräsidenten geht es nicht nur um Legendenbildung und Heldenverehrung. „FJS“ wirkt auch ganz praktisch nach.
Ist das Spektakel nur dem Datum geschuldet? Oder hat es eine tiefere Bewandtnis damit, dass der 100. Geburtstag des 1988 gestorbenen CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß begleitet wird von einer ganzen Serie von Feierlichkeiten, Sondersendungen, Zeitungsartikeln, Buchveröffentlichungen und Diskussionsveranstaltungen?
Wird der berühmteste und zugleich umstrittenste bayerische Politiker des 20. Jahrhunderts ab Montag nur noch ein Fall für die Historiker sein? Oder wirkt er fort – und, wenn ja, wie? Wer in den vergangenen Jahren etwas genauer hingeschaut hat, der konnte sehen, dass die Strauß-Renaissance in der CSU schon eine Weile anhält. Dazu gibt es auch ein symbolisches Datum.
Es ist der Oktober 2008. Der scheidende Ministerpräsident Günther Beckstein hatte zum Auftakt seiner nur ein Jahr währenden Amtszeit die Büste von Strauß aus seinem Büro in der Staatskanzlei entfernen lassen. Sein Nachfolger Horst Seehofer holte sie umgehend wieder zurück und ließ das auch alle Welt wissen. Es war ein demonstrativer Akt. Aber es steckt noch mehr dahinter. Seehofer beruft sich so häufig und so leidenschaftlich wie keiner seiner Vorgänger als Ministerpräsident oder CSU-Chef auf Franz Josef Strauß. Er nennt ihn „mein großes politisches Vorbild“. Ja, er behauptet sogar, dass er sich vor wichtigen poltischen Entscheidungen die Frage stellt: Was hätte Strauß in dieser Situation getan? Wie hätte er das Problem gelöst?
Markus Söder eifert Franz Josef Strauß nach
Der ambitionierteste Kandidat für Seehofers Nachfolge, Finanzminister Markus Söder, eifert ihm nach. Er dokumentierte jüngst über alle verfügbaren Kanäle, dass er schon als Jugendlicher ein FJS-Poster über dem Bett hängen hatte. Und auch in der Jungen Union in Bayern ist FJS längst wieder en vogue. Seine markigen Sprüche und politischen Lebensregeln gehören zur Grundausbildung der schwarzen Nachwuchspolitiker wie einst in China die Mao-Bibel zur Nachzucht junger Parteikader.
In den neunziger Jahren, als die Erinnerung an diverse Affären und Skandale noch frischer war, war das anders. Der oft rabiate und polarisierende Politikstil, den Strauß praktiziert hatte, galt als nicht mehr zeitgemäß. Seine Nähe zur Wirtschaft wurde auch in der CSU als problematisch angesehen. Die Amigo-Affäre in Bayern, die wenige Jahre nach seinem Tod die CSU erschütterte, galt als Hinterlassenschaft aus seiner Regierungszeit. Diese Seite seiner politischen Persönlichkeit wird in den Festreden und Festschriften der CSU zu seinem 100. Geburtstag ausgeblendet.

Die Partei erfindet sich ihren Übervater neu: als „Schöpfer des modernen Bayern“ (Horst Seehofer), als „Vater der Volkspartei“ (Edmund Stoiber), als „liberal-konservativen Parteigestalter“ (Theo Waigel). Das ist ein Akt der Selbstvergewisserung, dient aber selbstverständlich auch der Legendenbildung. Man könnte auch spotten: Die CSU feiert nicht seinen 100. Geburtstag, sie feiert die Seligsprechung von Franz Josef Strauß. Die Feierlichkeiten dieser Tage auf Heldenverehrung und Propaganda zu reduzieren, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Strauß wirkt auch ganz praktisch nach. Wenn Seehofer sagt „Bayern zuerst“, wenn er von einer „ Koalition mit dem Volk“ spricht, wenn es ihm herzlich wurscht ist, was man in Berlin oder Hamburg darüber denkt, dann orientiert er sich an Strauß. Untrennbar damit verbunden ist die Technik, Macht auszuüben: sich nicht vorschnell festlegen, sich Handlungsmöglichkeiten offenhalten, Entscheidungen pragmatisch treffen und sich dabei möglichst wenig reinreden lassen – weder vom Landtag noch von der eigenen Partei.
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