Einsamkeit an Weihnachten im Gefängnis
Im Gefängnis ist die Einsamkeit zu Weihnachten allgegenwärtig. Vielen Häftlingen hilft der Glaube über diese Tage. Ein Besuch in der JVA Kaisheim, wo der Augsburger Weihbischof Anton Losinger Gottesdienst feiert. Von Sonja Krell
Er hält die weiße Tasse fest umklammert. Ein Schluck Kaffee. Noch ein Plätzchen. Noch ein paar Minuten, bis er wieder allein ist. Allein in der Zelle, mit sich und seinen Gedanken. Heute werden die Zellentüren in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kaisheim um 15 Uhr verschlossen - an Heiligabend noch früher als sonst.
Es ist sein erstes Weihnachten hinter Gittern, erzählt der junge Mann. Und dass es sein letztes sein soll. In sieben Monaten will er wieder auf freiem Fuß sein. An diesem Abend werden seine Gedanken bei seiner Frau und bei den beiden Kindern sein, die Weihnachten ohne ihn feiern müssen. "Wer draußen niemanden hat, für den ist es nicht so schlimm, an Weihnachten hier zu sein", sagt er trotzig. Der Mann neben ihm nickt. Er hat fünf Weihnachtsfeste hier verbracht. "Das Schlimme ist nicht, dass wir allein sind. Viel schlimmer ist, dass unsere Familien ohne uns sind."
An Tagen wie diesen ist für viele Gefangene die Einsamkeit besonders bedrückend. Der Bedarf nach Gesprächen ist im Dezember groß, erzählt der Justizvollzugsbeamte Jürgen Stark. "In der Weihnachtszeit zeigen viele Gefangene Eigenschaften, die wir sonst gar nicht kennen." Manch einer wird sensibler, fragt sich, was er seiner Familie angetan hat. Warum er ausgerechnet an Heiligabend hier sein muss.
Für den Augsburger Weihbischof Anton Losinger gibt es keinen Ort, an dem er heute lieber wäre. "Hier treffen so viele menschliche Schicksale zusammen", sagt er. Er weiß, dass die Not hier groß ist. Dass die Menschen hier besonders viel Zuversicht brauchen.
Losinger sitzt mit 30 Häftlingen in einem Stuhlkreis, gerade hat er im Kinosaal den Gottesdienst gefeiert. Im Bistum Augsburg ist es Tradition, dass zu Weihnachten die Gefängnisse in der Region besucht werden. Bischof Walter Mixa ist an diesem Nachmittag in der JVA Niederschönenfeld (Kreis Donau-Ries), Weihbischof Josef Grünwald besucht das Aichacher Gefängnis.
Als Losinger den Kinosaal betritt, drängen sich darin 160 Häftlinge, um mit ihm den Gottesdienst zu feiern. Bei der sonntäglichen Messe sind es gerade einmal 40. Ein Gefangener trägt das Kreuz zum Altar, zwei Männer halten Lichter. Die kirchliche Musikgruppe mit 15 Gefangenen singt Weihnachtslieder. Als es darum ging, wer während des Gottesdienstes den Bischofsstab halten darf, bekamen sich die Häftlinge fast in die Haare, erzählt der katholische JVA-Seelsorger Michael Humml. "Einer von ihnen hat fast geweint." Humml musste schließlich einen Gefangenen bestimmen.
Losinger spricht vom Trost des Evangeliums, der gerade dann gilt, wenn das Leben auf die schiefe Bahn geraten sei. Er spricht über die Gedanken, die in diesen Tagen nach draußen gehen. Und dass er sich vorstellen kann, dass viele zu Weihnachten sich wünschen, ihr Leben hätte eine andere Biegung genommen. Als die 160 Männer zum Schluss gemeinsam "Stille Nacht" singen, rührt das auch den Weihbischof. Einer der Männer singt nicht mit. Er sitzt einfach nur da, hält die Hände vor die Augen und weint.
"An Weihnachten werden auch die starken Männer schwach", sagt Humml. Er verteilt Teelichter an die Gefangenen, Losinger gibt Geschenke aus. Butterkekse, Mozartkugeln und Schokolade. Es ist das Einzige, was die Häftlinge zu Weihnachten bekommen. Päckchen sind auch zu Weihnachten nicht erlaubt, Briefe und Fotos dagegen schon. "Viele fragen vor den Weihnachtstagen nach Post", sagt Dieter Trauner, der seit 15 Jahren hier arbeitet. Der Besucherraum ist in diesen Tagen ausgebucht.
Nach Hause dürfen nur die wenigsten. 680 Männer sitzen in Kaisheim ein, 25 haben während der Feiertage Hafturlaub bekommen - weil sie ohnehin schon Lockerungsmaßnahmen genießen oder ihre Entlassung naht. Der 54-Jährige, der während des Gottesdienstes Orgel gespielt hat, ist einer davon. In einer halben Stunde holt ihn seine Frau ab. "Weihnachten mit meinen drei Kindern zu feiern ist das Größte für mich", sagt er.
Einer, der schon wieder draußen ist, ist an Heiligabend zurückgekehrt - und hat Spekulatius für alle Gefangenen mitgebracht. Er hat die schweren Tage nicht vergessen. Über die Einsamkeit habe ihm nur sein Glaube geholfen, sagt er.
Losinger schüttelt jedem Häftling die Hand und wünscht frohe Weihnachten. "Wie alt sind Sie denn?", fragt er einen. "29", sagt der Mann. "Na, da sind sie doch viel zu jung, um hier zu sein", sagt Losinger und lächelt. Es ist der Kontakt auf Augenhöhe, für den die Häftlinge dankbar sind. Und dass die Kirche sie auch an Weihnachten nicht vergisst. "Die Begegnung mit ihnen ist mir etwas sehr Wertvolles", sagt Losinger und zitiert das Lukas-Evangelium: "Im Himmel herrscht mehr Freude über einen, der umkehrt, als über 99 Gerechte."
15 Uhr. Losinger muss zum nächsten Gottesdienst. Für die Häftlinge geht es zurück in die Zelle, wo sie allein mit sich und ihrem Fernseher sind. Und mit ihren Gedanken, die in dieser Nacht nach draußen gehen. Zu ihren Familien. In die Freiheit. Sonja Krell
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