"Die Hirten von Bethlehem" werden zum musikalischen Weihnachtsgeschenk
Nach über 160 Jahren erklingt erstmals wieder das lange verschollene Werk des Limbacher Komponisten und Kirchenmusikers Karl Kempter – und das in seiner Heimat.
Es ist eine erstaunliche Lebensgeschichte mit einem Ende, das man keinem wünscht: In ärmlichen Verhältnissen wuchs Karl Kempter vor rund 200 Jahren in Limbach bei Burgau auf. Er war das siebte und jüngste Kind eines Lehrerehepaars. Schnell erkannte Vater Mathias die musikalische Begabung des Sohnes. Bereits im Alter von zwölf Jahren kam der Bub nach Augsburg zur Musikausbildung bei Michael Keller, Organist und Chorregent an St. Ulrich und Afra.
Es war eine intensive Zeit: Kempter wurde in Gesang, Klavier- und Orgelspiel und in Komposition geschult. Lehrer Keller rückte 1837 als Chorregent an der Basilika nach, Kempter übernahm mit 18 Jahren dessen Organistenstelle. Zwei Jahre später ging es wieder für die beiden Kirchenmusiker eine Stufe nach oben: Keller wurde am 1. November 1839 zum Domkapellmeister von Augsburg ernannt. Seinen Limbacher Meisterschüler protegierte er weiter. Der erhielt die Anstellung als Domorganist. Ab diesem Zeitpunkt komponierte Karl Kempter regelmäßig. Es sollten um die 140 Stücke werden. Nach dem Tode seines väterlichen Freundes wurde er im Jahr 1865 selbst Domkapellmeister. Im kirchenmusikalischen Bereich war das die höchste Stelle in der Diözese. Lange aber sollte Kempter keine Freude daran haben. Nur wenig später erlitt er während einer Unterrichtsstunde einen Schlaganfall. Lähmungen und weitere Schicksalsschläge (Tod seiner Frau, Tod seiner jüngsten Tochter) setzten dem Mann schwer zu. Er starb im Alter von 52 Jahren in Augsburg – körperlich und geistig ausgezehrt und vereinsamt.
Ein Komponist auch für Dorf- und Laienchöre
Bernhard Löffler fasziniert dieser Mann bereits seit vielen Jahren. Die lokale Nähe spiele dabei sicherlich eine gewisse Rolle, sagt er. Musikdirektor Löffler lebt in Burgau, wenige Autominuten von Kempters Geburtsort entfernt. Dann gibt es eine Parallelität, die dem 54-Jährigen bisher nach eigenen Worten noch gar nicht aufgefallen ist. Löfflers Bestreben ist es, Musik den Menschen und gerade auch jungen Menschen zu vermitteln. Er scheut dabei nicht zurück, unterschiedliche Stile zusammenzubringen, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden und auch ungewöhnliche Instrumente einzusetzen. Der Limbacher Kempter wollte seine Oratorien, Pastoralmessen und kleineren Werke nicht nur vor elitären Kreisen aufgeführt sehen. Er komponierte ganz gezielt Stücke für Laien- und Dorfchöre, die bei Weitem nicht die musikalische Vorbildung hatten – vielleicht auch mit der Absicht verbunden, seine Musik in der Bevölkerung zu verankern. Seine Gegner waren Teil der sogenannten Cecilianischen Bewegung (Regensburg) und lehnten Kempters Kompositionen als billigen Musikschrott ab.
Dabei liegt gerade in der Schlichtheit eine Kunst, was nicht bedeutet, dass der Komponist und Organist nicht dazu in der Lage war, auch aufwendigere Werke niederzuschreiben. Das und ein ausgeklügeltes strategisches Marketing setzte der Limbacher gezielt ein. Die Bemühungen in eigener Sache bestanden darin, Äbten, Bischöfen und anderen hohen Würdenträgern der Kirche Stücke zu widmen. Die Eitelkeit derart Gebauchpinselter führte dazu, dass einzelne Werke Kempters aus dem 19. Jahrhundert nicht vergessen sind. Das beste Beispiel dafür ist die Pastoralmesse in G, opus 24, die in der Christmette am Heiligen Abend 1851 zum ersten Mal im Augsburger Dom zu hören war. Regelmäßig wird das Werk mit seinen eingängigen Melodien in ganz Süddeutschland aufgeführt.
Für das Oratorium "Die Hirten von Bethlehem" gilt dies nicht. Es war schierer Zufall, dass Bernhard Löffler die Partitur entdeckte: Vielleicht kam sich der Präsident der Karl-Kempter-Gesellschaft (seit 2008) ein wenig wie der Jäger des verlorenen Schatzes vor im Benediktinerkloster Einsiedeln im Kanton Schwyz. Dabei war er gar nicht auf Schatzsuche. Nach einem Orgelkonzert am bedeutendsten Wallfahrtsort der Schweiz zeigte Pater Lukas Helg, der Bibliothekar, Bernhard Löffler Aufzeichnungen von Johann Ernst Eberlin, einem Jettinger Komponisten. "Ich war schon fast fertig, da hat er mir noch in einem Nebenraum Musikhandschriften aus dem 19. und 20. Jahrhundert gezeigt." Da sei nichts sortiert und katalogisiert gewesen, "einfach vogelwild".
Dann folgte die Überraschung, die größer nicht hätte ausfallen können. "Ich ziehe eine Schublade auf, die voller Werke von Karl Kempter war." Wie sich später herausstellte, hatte ein Neffe des Komponisten, der alleinstehend in Zürich lebte und dort Kapellmeister am Opernhaus war, den Nachlass des Onkels dem Kloster vermacht. Im Jahr 2003 oder 2004 kam dieser überraschende Fund zum Vorschein, berichtet Löffler aus dem Gedächtnis. Unter den Werken befand sich auch das Stück der "Hirten von Bethlehem", das Geschehnisse aus dem Alten Testament (Babylonische Gefangenschaft) mit der Menschwerdung Gottes in Jesus (Neues Testament) verbindet.
Nach 1856 wurde das Oratorium vermutlich nicht mehr aufgeführt
2015 reifte der Plan, dieser Kirchenoper wieder Leben einzuhauchen. Das bedeutete Schwerstarbeit, denn die Sütterlinschrift war nicht ohne Weiteres zu entziffern; auch nicht spezielle Zeichen, die Kempter verwendete und die sich nach und nach mit logischen Überlegungen entschlüsseln ließen. Herausgekommen ist eine 175-seitige Partitur. Löffler geht davon aus, dass nach dem Jahr 1856 (aus dieser Zeit existiert noch ein Textheft für eine Aufführung) dieses Werk nicht mehr erklungen ist.
Es ist ein Eintauchen in eine aus heutiger Sicht fremd gewordene Welt, geprägt von einer tiefen innigen Liebe der Gläubigen zu Gott. Löffler findet, dies lohnt sich für all diejenigen, die neugierig geblieben sind und etwas Erbauliches hören wollen. Der Karl-Kempter-Chor (35 Mitwirkende) und das Orchester (19 Instrumentalisten mit Orgel, Flöte, Klarinetten, Trompeten, Hörner, Pauke und Streichinstrumenten) wollen dem Limbacher Komponisten ebenso ein musikalisches Denkmal setzen wie die Mitwirkenden Martin Gäbler (Bass, Ulmer Theater), Ruxandra Voda van der Plas (Alt), Cesar del Rio Fuentes (Tenor, beide Badisches Staatstheater Karlsruhe) und Löfflers Ehefrau Ingrid Fraunholz (Sopran). Das außergewöhnliche Kirchenkonzert, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, gefördert wird, kostet keinen Eintritt. Um Spenden wird gebeten.
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