Schwarz-gelbe Kernschmelze
Die deutsche Atompolitik nach der Katastrophe in Japan
Noch ist nicht klar, ob sich in Japan tatsächlich eine Atomkatastrophe von den apokalyptischen Ausmaßen Tschernobyls ereignen wird. Noch besteht offenbar die Chance, das Schlimmste – die unkontrollierte Freisetzung tödlicher Strahlung – zu verhindern. Aber die uralte deutsche Debatte um die Atomkraft ist bereits mit voller Wucht entbrannt, die vorübergehend abgeflaute Angst vor einer Reaktor-Havarie hierzulande zurückgekehrt.
Die Horrornachrichten aus dem fernen Asien haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit deutscher Kernreaktoren so nachhaltig erschüttert, dass die japanische Tragödie – zumal in Wahlkampfzeiten – unausweichlich ins Zentrum der innenpolitischen Auseinandersetzung rückt. SPD und Grüne wittern die Chance, Schwarz-Gelb am 27. März in Baden-Württemberg die Macht zu entwinden und die Landtagswahl in einen Volksentscheid über die atomfreundliche Politik der Regierung Mappus (und der Berliner Koalition) umzufunktionieren.
Mappus war einer der maßgeblichen Befürworter jener Laufzeitverlängerung, die von der Bundesregierung durchgedrückt wurde und die heute – im Lichte der in mehreren japanischen Reaktoren drohenden Katastrophe – als krasse politische Fehlentscheidung erscheint. Nun rächt sich, dass der ökonomisch durchaus gut begründete Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg ohne die gleichzeitige Abschaltung einiger alter, störanfälliger Atommeiler und eine umfassende neue Sicherheitsanalyse erfolgt ist. Dies wäre ein Signal dafür gewesen, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende tut, um größtmögliche Sicherheit – eine absolute gibt es nicht – zu gewährleisten. Jetzt droht Union und FDP die politische Kernschmelze.
Die dreimonatige Aussetzung der Laufzeit-Beschlüsse ist der verzweifelte Versuch Merkels, den parteipolitischen GAU (den größten anzunehmenden Unfall) abzuwehren und Lernfähigkeit zu demonstrieren. Und Mappus erhält die Lizenz, Neckarwestheim umgehend stillzulegen. Ob sich damit die Stimmung wieder drehen lässt? Wohl kaum. Union und FDP stehen jetzt mehr denn je im Verdacht, die Risiken unterschätzt und den Ausstiegsbeschluss fahrlässig gekippt zu haben. Die hektische Abschaltung von Reaktoren, die eben noch zu den sichersten der Welt gezählt wurden, mutet wie ein Rettungsmanöver in höchster Not an.
Die Vorzüge der auf Jahre hinaus noch unverzichtbaren Kernkraftnutzung (Co2-frei, relativ preiswert) lohnten noch immer eine mit kühlem Kopf geführte Debatte. Dafür scheint es nun zu spät. Und Merkel wird keine Sekunde zögern, bei einer drohenden Wahlniederlage 2013 die Laufzeit-Verlängerung endgültig zu kassieren.
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