"Under Pressure" in der Wilhelmsburg: Eintauchen in fremde Träume
Die Ausstellung "Under Pressure" zeigt zeitgenössische mexikanische Druckgrafik. Den Künstlern kann man an der Druckpresse über die Schulter schauen.
Das Projekt „Under Pressure, aktuelle Druckgrafik aus Mexiko“, das derzeit im Ulmer Stadthaus sowie in der Wilhelmsburg zu sehen ist, begann vor 13 Jahren. Damals unternahm die Ulmer Künstlerin und Kuratorin Silvia Kepler eine Reise nach Mexiko. Sie folgte einer Einladung des Künstlerkollegen Daniel Neufeld. Es war eine Reise, die viele Eindrücke und Ideen freisetzte und letzten Endes zum aktuellen Begegnungsprojekt in Ulm führte, bei dem 18 mexikanische Druckgrafiker die Ulmer Ausstellungsorte bespielen. Es sollte schon eine Begegnung mit etwas sein, das im HfG-geprägten nüchternen Ulm sonst eher eine Nebenrolle spielt: die figürliche Kunst, das Surreale, das Verspielte. Silvia Kepler freut sich, dass die zahlreichen Besucher der Ausstellungen dieses Angebot schätzen. Und zu entdecken gibt es da etliches.
Doppelausstellung "Under Pressure" macht es den Betrachtern leicht
Das Auge kommt kaum mit, wenn etwa Daniel Acosta in „Puntos Cardinales“ eine hochkomplex komponierte Gottheit in Holzschnitt-Technik vorführt; der schiere narrative Detailreichtum, den es da zu entdecken gibt, erinnert an die bildmächtigen Kompositionen der Expressionisten und ebenso der neuen Leipziger Figürlichkeit. Manches wirkt retro, aber auf die gute Art. Wie Daniel Neufeld mit „Oyos y Boca“ (Augen und Mund) etwa spielerisch die Abstraktionen der Zeit zwischen 1950 und 1970 paraphrasiert oder Unkle Naturformen zu erzählerisch dichten Wimmelbildern schichtet, wird wohlige Reminiszenzen an die Druck- und Buchgrafik früherer Jahrzehnte wachrufen, als das erzählende, künstlerische Bild mehr Wert hatte als heute. Carlos Torres wiederum spielt im Linoldruck mit der modernen Bildwelt: Seine Großformate mit Porträts von Polizisten oder Celebrities wirken wie verpixelt; geht man nah heran, sieht man, dass dieser Unschärfeeffekt durch virtuos gesetzte Liniengeflechte erzeugt wird.
Immer wieder wird man sich in der Doppelausstellung an Illustrationen, Tattoo-Kunst und Buchkunst erinnert fühlen. Das mag zur Popularität der Sonderausstellung führen, denn es steht kein verkopftes Konzept im Hintergrund, sondern etwas, woran der Betrachter leicht teilnehmen kann. Und so barrierefrei, wie man „Under Pressure“ genießen kann, so barrierefrei kann man auch den Künstlern begegnen.
Druckworkshops mit den Profis auf der Dachterrasse des Ulmer Stadthauses
So gab es etwa auf der Dachterrasse des Stadthauses einen Druckworkshop mit Oscar Basulto und Manuel Rodriguez. Die Herren hatten wie ihre zahlreichen Gäste sichtbar Freude am Drucken unter freiem Himmel. Zwei kleine Pressen waren dort aufgebaut, jede Menge Linolplatten warteten darauf, mit Motiven versehen zu werden. Kinder, Erwachsene, Laien und Profis kamen vorbei, um mit den mexikanischen Künstlern ins Gespräch zu kommen und selbst künstlerisch aktiv zu werden. Und nebenbei war einiges über das Kunstland Mexiko zu erfahren. So habe Mexiko in nahezu jedem Ort ein Kulturhaus – aber, so Oscar Basulto, meistens stünden diese leer, da es keine Konzepte und kein Geld gebe.
Hier setzen er, der in Mexiko zu den Stars seiner Zunft zählt, und Kolleginnen und Kollegen an. Mit ihrer mobilen Kunstschule „Rutas Plasticas“ gehen sie dorthin, wo sonst nie Kunst stattfindet, sie arbeiten mit Kindern und ihren Eltern, bringen ihnen die Freude am kreativen Tun bei. Sie haben auch eine Mission: Die Eigenheit der mexikanischen Kunst bewahren. Denn längst, so berichtet Basulto, würden kommerziell erfolgreiche Strömungen aus den USA oder China das Land überrollen, während die eigenen jungen Künstler in die USA verschwinden – weil sie sich dort Ruhm und gutes Geld erhoffen. „Geld verändert alles zum Schlechten“, sagt Basulto. Und ist doch unverkennbar Optimist: „Wir sind Poeten, wir verändern das Leben durch Kunst“. Sagts und geht zurück an die Druckerpresse, wo ein junger Mann darauf wartet, den ersten Linolschnitt zu drucken, den er je gemacht hat.
Info: Öffnungszeiten der Ausstellung in der Wilhelmsburg (29.07.-18.08.): Do-Sa von 18.00-22.00 Uhr. Am Freitag, 11. 8. und Samstag, 12. 8. sind Künstler vor Ort. Im Stadthaus Ulm auf Ebene 1 im Foyer bis 13. August 2023, geöffnet Mo-Mi, Fr/Sa: 10 Uhr - 18 Uhr, Do: 10 Uhr - 20 Uhr, So/Fei: 11 Uhr - 18 Uhr
Die Diskussion ist geschlossen.