Kiloweise Marihuana: Der „große Dealer“ wollte nur angeben
Ein junger Rieser muss sich vor dem Nördlinger Amtsgericht verantworten. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Drogenhandel im größeren Stil.
Richter Gerhard Schamann ist überrascht. „Ich wundere mich stark, warum der Angeklagte auf freiem Fuß hier hereinkommt.“ Das kenne er in solchen Fällen nur so, dass der Angeklagte mit Handschellen und Beamten an der Seite den Saal betritt. Das habe er so noch nicht erlebt. Denn der Jugendliche hat laut Anklage unter anderem mit Marihuana Handel getrieben. Und zwar nicht mit ein paar Gramm, sondern mehreren Kilo. Doch dann kommt alles ganz anders.
Kürzlich stand der schmächtige 20-jährige Rieser sogar schon einmal vor Gericht, wegen eines Fahrraddiebstahls. Aber das Verfahren stellte der Richter damals ein, denn da war bereits klar: Im vorliegenden Fall geht es um ein ganz anderes Strafmaß, da spielt ein solcher Vorfall keine Rolle mehr. Denn die Staatsanwaltschaft Augsburg wirft dem jungen Mann mehrere Vergehen vor. Einmal soll er in zwei Fällen je 500 Gramm Amphetamine aufbewahrt haben, ein Unbekannter soll das in der Wohnung des Angeklagten sogar gestreckt haben. Zum anderen ist es der Vorwurf, in mindestens sechs Fällen je ein Kilo Marihuana verkauft zu haben und damit insgesamt rund 60.000 Euro eingenommen zu haben. Geradezu lächerlich wirkt dagegen die Menge, die in der Wohnung des Angeklagten gefunden wurde: 1,7 Gramm Marihuana und 1,1 Gramm Marihuana-Tabak-Gemisch.
Antrag: Geständnis des Angeklagten bei der Polizei soll nicht verwertet werden dürfen
Bereits vor der Verhandlung hatte Anwältin Bettina Grupp einen Antrag eingereicht, dass das Geständnis des Angeklagten bei der Polizei nicht verwertet werden dürfe. Auf einen Anwalt hatte der Angeklagte damals verzichtet. Doch Richter Schamann ließ das sogar von externen Experten prüfen und kam zum Schluss, dass das Geständnis verwertbar sei. Aber zu Beginn der Verhandlung sagt Schamann auch, dass der junge Mann damals vielleicht ein bisschen angeben wollte und die Angaben möglicherweise nicht so ganz stimmten.
So besprechen sich Staatsanwältin und Verteidigerin in einer Pause, rund eine Dreiviertelstunde lang ist die Verhandlung unterbrochen. Schließlich werden einige der Vorwürfe fallen gelassen. Man ist sich einig: Es gab Drogenverkäufe, aber es war deutlich weniger als zunächst angeklagt. Anwältin Grupp sagt, dass ihr Mandant das Amphetamin in seiner Wohnung für einen Freund gelagert hat, wohl zwischen 50 und 150 Gramm. Dafür bekam der Angeklagte 40 Gramm Marihuana, etwas davon habe er selbst konsumiert und rund 25 Gramm weiterverkauft. Warum man bei Gericht von den anfangs hohen nun auf diese vergleichsweise geringen Mengen heruntergeht? Die Parteien sind sich einig: Der Angeklagte hat bei einer Vernehmung bei der Polizei ganz schön übertrieben und wollte vielleicht ein bisschen angeben. Denn, wie Richter Schamann sagt, es sei schwer vorstellbar, dass dieses „Bürschle“ ein so großer Drogenhändler sei, wie er vorgebe.
Einbruch in Jugendbuden: Beschuldigter wird befragt
Dazu kommt: Wäre auch die Staatsanwaltschaft wirklich von diesen schweren Vorwürfen überzeugt gewesen, wäre der 20–Jährige dort kaum als freier Mann erschienen.
Ein Polizist schildert die Vernehmung im vergangenen Jahr. Eigentlich war der Rieser als Beschuldigter bezüglich des Aufbruchs von Jugendbuden vernommen worden. Man sei belanglos im Gespräch gewesen, als der Jugendliche dann gesagt habe, dass er im Kilobereich Gras verkauft habe. „Da war ich von den Socken“, sagt der Polizist. Richter Schamann fragt nach der persönlichen Einschätzung des Polizisten, ob das nicht für so einen jungen Mann ein bisschen viel sei oder ob das tatsächlich sein könne. Der Beamte sagt: „Ich war baff, wirklich baff.“ Es könne aber durchaus sein, dass da ein bisschen Angeberei dabei gewesen sei.
Ein Bericht der Jugendgerichtshilfe zeigt: Bei dem jungen Rieser wurde ADHS diagnostiziert. Die Kindheit war nicht einfach, er sei als Kind nach Schlägen des Vaters auch schon im Krankenhaus gewesen.
Amtsgericht in Nördlingen: Freiheitsstrafe für den Angeklagten
Im Plädoyer sagt auch Staatsanwältin Wegele, dass sich der Sachverhalt anders als in der Anklageschrift dargestellt ergeben habe. Das findet sich auch im – noch nicht rechtskräftigen – Urteil wieder. Der Angeklagte bekommt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, dazu eine Geldstrafe von 1000 Euro. Daneben muss er durch Drogenscreenings nachweisen, dass er drogenfrei lebt und eine ambulante Drogentherapie durchführen. „Dass er als Lohn (für die Aufbewahrung des Amphetamins, Anm.) Marihuana bekommen hat, ist durchaus realistisch. Dass er sechs Mal ein Kilogramm Marihuana verkauft haben soll, ist völlig übertrieben“, sagt Richter Gerhard Schamann.
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