Der Schettino in uns allen
Die Italiener hadern mit dem Kapitän der Costa Concordia. Und sie hadern mit sich selbst. Beobachtungen.
Am Anfang war der Felsen im Meer, die Toten, die sinkende Costa Concordia, ihr Kapitän. Und nicht wenige, die die Bilder von Francesco Schettino sahen, meinten, die Antwort auf die Frage nach der Schuld an dem Unglück schon vor sich zu sehen. Gerade in Italien. Dieser Mann mit dem Zuviel an Körperspannung und Bauch, mit dem aufgeknöpften weißen Hemd, der offensiven Brustbehaarung. Wäre die blonde Tänzerin aus Moldawien tatsächlich seine Geliebte, es würde allzu gut in das Bild dieses Typs passen. Dieses Stereotyps von einem Italiener.
Francesco Schettino, 52, der Kapitän, der sein sinkendes Schiff verließ, ist, weit bevor die Gerichte ein Urteil über seine mögliche Schuld oder Unschuld sprechen können, Gegenstand einer eigentümlichen Debatte geworden. Es geht dabei um den „Schettino in uns allen“. Der Diskurs spiegelt etwas von der Befindlichkeit Italiens wider, auch wenn er zunehmend losgelöst ist von den sich allmählich versendenden Nachrichten über das Unglück, die Opfer, ihre Angehörigen und die immer schwieriger werdenden Bergungsarbeiten.
So ziemlich am Anfang und zugleich noch immer im Zentrum dieser Debatte war das, was Massimo Gramellini schrieb. In seiner La-Stampa-Kolumne „Buongiorno“ stand vor ein paar Tagen: „Ich wünsche mir, dass nicht alles, was über Schettino gesagt wird, wahr sei. Auch die Sündenböcke haben Anrecht auf Nachlass. Aber wenn auch nur die Hälfte wahr wäre, dann sähen wir noch immer den Typ eines Italieners, den zu kennen wir nicht leugnen können. Mehr von sich selbst eingenommen als wirklich von sich überzeugt. Ohne das Bewusstsein für die Pflichten, die zu seiner Aufgabe gehören. Der eine Dummheit begeht, nur um anzugeben. Und der dann versucht, zu verbergen, was war, indem er wie ein Mantra wiederholt: ,Tutto bene, kein Problem‘.“ Gramellini umschreibt die Zeilen eines Liedes von Giorgio Gaber: „Ich habe nicht Angst vor dem eigentlichen Schettino, aber ich habe Angst vor dem Schettino in mir.“
Um den „Schettino in uns“ kann man lange räsonieren. Ob es ihn gibt, wer ihn in sich trägt und was das für das Land heißt. Gut ist, dass es zugleich einen Gegen-Schettino gibt: den Helden Gregorio de Falco. Hager und asketisch anmutend steht der öffentlichkeitsscheue Kommandant der Küstenwache in Livorno für alles, was Schettino fehlt. Vor allem für Pflichtbewusstsein und einen kühlen Kopf. Man kann diesen Teil der Debatte auf zwei inzwischen berühmte Sätze verkürzen.
Es glauben noch welche an Schettinos Redlichkeit
Der eine steht auf einem Plakat in dem Heimatort Schettinos bei Neapel. Schüler des nautischen Instituts sollen ihn geschrieben haben: „Non mollare capitano – Nicht aufgeben, Kapitän.“ Der Satz spricht für jene, die an die Redlichkeit Schettinos glauben, die längst noch nicht von seiner (Allein-)Schuld überzeugt sind.
Der andere berühmte Satz ist jener Befehl, den de Falco in den Hörer während des berüchtigten Telefonats in der Unglücksnacht bellte: „Vada a bordo, cazzo – Gehen Sie verdammt noch mal an Bord.“ Auch wenn das nie de Falcos Absicht gewesen ist, zementierten diese Worte, sobald sie öffentlich waren, das Image des feigen Kapitäns, den kein Italiener in sich haben möchte.
Während sich die Angst über den „Schettino in sich“ aber nach innen richtet, gibt es natürlich die Angst über das Bild Italiens in der Welt: „Hier haben wir also einen Schettino, der die von Berlusconi hinterlassene Lücke auf dem Feld Blamagen und Lügen füllt und das Entsetzen der Welt auf sich vereint.“
Auch das schreibt La Stampa. Und Beppe Severgnini, bekannt für seine Nationenporträts, schreibt im Corriere della Sera, dass Probleme in Italien immer bildgewaltig seien. Severgnini: „Gibt es südlich der Alpen Schwierigkeiten, dann produzieren diese aber jedenfalls perfekte Bilder für die Aufmacherseiten der Welt.“
Auch in dieser Woche wird das so sein. Die Costa Concordia bleibt das Thema, auch wenn das Unglück inzwischen zum „Format für eine Soap“ verkommen ist, wie der Kolumnist Aldo Grosso gestern wütend schrieb. Aber gerade deshalb werden wieder Bilder von Giglio weltweit gedruckt werden. Und die Italiener werden weiter darüber debattieren, was das Unglück für Italien bedeutet.
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