"Das große Fest der Besten": Das ist Mireille Mathieu
Seit über 50 Jahren steht Mireille Mathieu auf der Bühne. Der „Spatz von Avignon“ hat erfolgreich eine Lücke gefüllt – und wird doch immer im Schatten seines Vorbilds bleiben.
Die Bilanz bleibt dann doch eher unterdurchschnittlich. 17 Blumensträuße und -bouquets, dazu zwei einzelne weiße Rosen. Verglichen mit dem, was Mireille Mathieu sonst von ihren Verehrern an Blumengrüßen auf die Bühne gereicht wird, ist dieser Abend im Deutschen Theater von München im langjährigen Mittel eher unauffällig. In Paris waren es 2014 laut Zählung von Paris Match sagenhafte 41 Sträuße – die sie alle persönlich entgegennahm. Dafür gibt es in München immerhin noch ein Trikot des FC Bayern mit Rückennummer 50 und ihrem Namen, das Mathieu etwas überrascht in die Höhe hält, sowie eine kleine Trikolore.
Mireille Mathieu: Weltkarriere mit Mitklatsch-Schlager und Chanson
50-jähriges Bühnenjubiläum feiert die Dame mit dem unverwüstlichen Pagenkopf 2015. Das schaffen nicht viele. Aber im Grunde ist diese Zahl auch nur eine Wegmarke. Denn am liebsten würde Mathieu ja einfach immer so weiter machen. Immer wieder mit dem schwarzen Kleid – drei verschiedene sind es an diesem Abend – auf die Bühne gehen und ihre treuen Fans, die auch gealtert sind, mit ihrer Mischung aus Mitklatsch-Schlager und Chanson beseelen. Jeden Abend die weißen Rosen entgegennehmen, lächeln, winken, eine Zugabe spielen, dann Schluss. Mit diesem Rezept ist der 1946 als ältestes von 14 Kindern in sehr bescheidenen Verhältnissen geborenen Mathieu eine Weltkarriere geglückt.
Ihren Durchbruch verdankt die seinerzeit 19-Jährige einer Castingshow. Das hieß 1965 natürlich noch nicht so, aber bei „Télé-Dimanche“ trat Mathieu mit dem Piaf-Chanson „Jézabel“ auf – und gewann. Kurz darauf stand sie auf der Bühne des legendären Pariser Konzertsaals Olympia – und sang nicht nur wie die Piaf, sondern sah mit ihren rund 1,50 Meter Größe und in ihrem schwarzen Kleid auch aus wie der „Spatz von Paris“. Der Journalist des Figaro, der damals dabei war, schrieb danach: „Sie ist das lebende Gespenst der Piaf.“ Der Weltstar war da bereits seit Monaten tot, gestorben im Oktober 1963 an gebrochenem Herzen und den Folgen seines Lebenswandels.
50-jähriges Bühnenjubiläum: Mireille Mathieu in München
In die Lücke, die Piaf ließ, schlüpfte – mal eher zufällig, mal mit Bedacht – die junge Mathieu. Dabei ist es seitdem im Wesentlichen geblieben. Auch wenn die Sängerin natürlich längst viele eigene Hits und 125 Millionen Tonträger verkauft hat. Sie trat ganz früh schon in der Sowjetunion auf, sang in China, Amerika und fast überall in Europa. Ihr Gesicht war Modell für die offizielle Büste des französischen Nationalsymbols Marianne; der damalige Präsident Nicholas Sarkozy dekorierte sie mit dem höchsten Orden, den die Republik zu vergeben hat. Trotzdem ist sie immer noch der „Spatz von Avignon“ und ein Konzertabend mit ihr nicht denkbar ohne Lieder von Piaf.
Das gilt natürlich auch für München, wo ihre Verneigung vor der Piaf für die bewegendsten Momente des Abends sorgt. Mathieus deutsche Hits wie „An einem Sonntag in Avignon“, „Akropolis adieu“ oder „La Paloma adé“ fehlt auch musikalisch jene Doppelbödigkeit, die Andeutung des Leids im Glück. Es sind Schlager statt Chansons, trotz des 14-köpfigen Orchesters auf der Bühne. Hier darf gedankenlos mitgeklatscht und mitgesungen werden und das wird im ausverkauften Haus auch gerne getan. Wenn da Gegensätze hart aneinanderstoßen, na und? Es geht mir gut, Chéri!
Mireille Mathieu klagt über Einsamkeit und Depressionen
Bei all der Feierlaune muss man schon genau hinsehen, um zu erahnen, welches Maß an Disziplin und Arbeit Mathieu aufgebracht hat, um so weit zu kommen. Nach einer Pause, gegen Ende des zweiten Konzertteils singt sie ein Medley mit chinesischen, italienischen, spanischen und russischen Texten. Sie hat diese Lieder phonetisch auswendig gelernt. So wie sie es auch mit ihren deutschen Liedern machte – dutzende Male.
Vor einiger Zeit berichtete sie in einem Interview von großer Einsamkeit und Depressionen, die sie erst mit Medikamenten überwand. Die Kontrolle behalten, funktionieren, das ahnt man, ist wichtig im Leben von Mathieu. Zufall und Improvisation gehören dagegen nicht zu ihrem Showkonzept. Auch nicht, als kurz darauf Mathieus hochbetagte Mutter, die sie auf der gesamten Tournee begleitet, auf die Bühne geführt wird. Selbst in so einem emotionalen Moment wirkt die Sängerin seltsam unnahbar, kontrolliert, auf den Fortgang und das Ende des Konzerts konzentriert.
Es naht dann natürlich mit Piaf: „Je ne regrette rien“, interpretiert mit dem Mathieu-typischen, überbetont gerollten „R“ und viel cremiger Geigenuntermalung. Bei jeder Castingshow würde sie damit garantiert gewinnen – als glänzende Kopie.
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