Das Märchen von der mangelnden Impfbereitschaft
Bundesländer-Vergleiche zeigen, dass Impfquoten eher vom Organisationstalent der Politik abhängen, als von angeblicher Impfskepsis. Wird eine Chance verpasst?
In Berlin hat das erste von sechs Impfzentren bereits wieder geschlossen. Am Dienstag ist das medizinische Personal aus dem ehemaligen Flughafen Tempelhof komplett abgezogen. In drei anderen Impfzentren gibt es dagegen jeden Freitagnachmittag seit vergangener Woche sogenannte „Spontan-Impfungen“: Dort können sich alle Berlinerinnen und Berliner ohne Anmeldung und Termin sofort impfen lassen. „Wir haben im Moment mehr Impfstoff als Nachfrage“, sagt ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung.
Doch beim ersten freien Impftag warteten die Menschen bis zu einer Stunde, um eine Spritze zu bekommen, bei einer ähnlichen Aktion auf einem Parkplatz eines großen Möbelhauses sogar den halben Tag.
Bayern ist westdeutsches Impf-Schlusslicht
Wie in Berlin stehen derzeit viele Städte und Landkreise vor ähnlichen Problemen. Nach vielen Monaten langer Impfstoff-Knappheit hat sich die Situation gewendet. Nun müssen die Gesundheitsverwaltungen nicht mehr Impfwillige vertrösten, sondern um impfbereite Menschen werben. Bei den Impfungen liegt Berlin inzwischen vor Bayern.
In der Hauptstadt sind 80 Prozent der über 60-Jährigen bereits voll geimpft, in Bayern nur 75 Prozent. Der Freistaat ist derzeit Schlusslicht bei der Impfquote unter den westdeutschen Bundesländern. 58 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Bayern sind zumindest einmal geimpft. Schlechter schneiden nur Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen ab.
Sachsen hat umgerechnet mehr Corona-Tote als die USA und Italien
Obwohl Sachsen umgerechnet mehr Corona-Tote pro Einwohner als die USA oder Italien verkraften musste, liegt die Impfquote in dem ostdeutschen Bundesland nur knapp über 50 Prozent. Allerdings ist auch die Zahl der Corona-Neuinfektionen bei der sogenannten Sieben-Tage-Inzidenz in Sachsen derzeit mit vier Fällen pro 100.000 Einwohnern derzeit am niedrigsten in ganz Deutschland. Bundesweit ist sie mehr als dreimal so hoch.
Am besten schneidet bundesweit Bremen ab. Das kleinste deutsche Bundesland knackte vergangene Woche die Marke von 92 Prozent bei den über 60-Jährigen, die bereits mindestens einmal geimpft wurden. Diese Zahl ist nicht nur ein Zeichen dafür, dass kein anderes Bundesland die Impfungen so professionell organisiert hat. Mithilfe großer Bremer Unternehmen richtete die Stadt ein hochprofessionelles riesiges Callcenter ein, über das sich die Bremerinnen und Bremer ohne lästiges Ausfüllen seitenlanger Online- oder Papierformulare von Anfang an einen Termin sichern konnten. Auch wenn sie vor Monaten teils noch lange auf die Spritze warten mussten, bis für sie Impfstoff vorhanden war.
Ungewöhnlich hohe Impfquote: Bremen macht es allen anderen vor
Die hohe Impfquote widerlegt auch einige Vorurteile. So hat Bremen ebenso wie Berlin einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Menschen mit ausländischen Wurzeln an der Bevölkerung. Dies ist bei guter Organisation jedoch kein Hindernis für eine hohe Impfquote.
Auch die Zahl der sogenannten Impfskeptiker und Impfverweigerer ist – gemessen an den konkret von schweren Verläufen bedrohten über 60-Jährigen – offensichtlich deutlich geringer, als in der öffentlichen Diskussion vermittelt wird. In den westdeutschen Bundesländern liegt die Impfquote in dieser Altersgruppe durchweg bei über 80 Prozent. Übrigens auch in dünner besiedelten Ländern wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder dem ostdeutschen Impfmusterland Mecklenburg-Vorpommern, das bei der Impfquote ebenfalls vor Bayern liegt.
Noch ist unklar, was der genaue Grund für das unterschiedliche Impftempo der Länder ist. Das Beispiel Bremens zeigt jedoch, dass es auch an der Organisation liegt und daran, wie aktiv die zuständigen Stellen auf die Bevölkerung zugehen. Und wie unkompliziert am Ende die Verfahren für die Impfwilligen sind. Inzwischen liegen die Arztpraxen bei den täglich verimpften Dosen bundesweit vor den von der öffentlichen Hand betriebenen Impfzentren, die zunehmend an Tempo verlieren.
Die öffentliche Debatte erweckt einen falschen Eindruck
In der politischen Debatte, die durch die sich rasant ausbreitende Delta-Variante geprägt ist, wird jedoch der Eindruck erweckt, es liege eher an einer mangelnden Impfbereitschaft der Bevölkerung, als an möglichen Schwächen der öffentlichen Verwaltung, dass die deutsche Impfkampagne an Fahrt verliert.
CDU-Kanzleramtsminister Helge Braun erhöhte jetzt sogar den Druck auf die Nicht-Geimpften. „Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte“, sagte er. „Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist“, warnte Braun. „Die Zahl der Neuinfektionen steigt noch schneller als in den vorherigen Wellen.“ Unionskanzlerkandidat Armin Laschet wies den unpopulären Vorstoß zurück. „Ich halte nichts von Impfpflicht und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollen.“
FDP fordert Impfen am Bahnhof
Auch FDP-Fraktionsvize Michael Theurer lehnt eine indirekte Impfpflicht entschieden ab. „Anstatt mit staatlichem Zwang zu drohen, sind Anreize der bessere Weg“, sagte der FDP-Politiker unserer Redaktion. „Bund und Länder müssen in einer konzertierten Kampagne Impfen niedrigschwellig in sozialen Brennpunkten, bei Veranstaltungen, Besuchen in Einkaufszentren, in Schwimmbädern, an Stränden, in Diskotheken, Kneipen, Restaurants, Bahnhöfen und Flughäfen anbieten“, forderte er. „Zudem sollte die Bundesregierung gemeinsam mit prominenten Vertretern aus Wirtschaft, Kultur und Sport im Rahmen einer pfiffigen Werbe- und Informationskampagne für das Impfen mobilisieren.“
Die Diskussion ist geschlossen.
Impfbereitschaft würde ich mit Anmeldungen für Impfungen messen und nicht mit Vergleichen von Bundesländern.
Der BR hat sich des Themas der Impfquoten schon mal angenommen:
https://www.br.de/nachrichten/bayern/warum-ist-bayerns-impfquote-so-niedrig,SbebD1H
>> So hat etwa (Stand: 28. Juni) das Saarland pro 100.000 Einwohner 104.500 Impfdosen erhalten, Bayern lediglich 95.500. <<
Im weiteren geht es auch um die Verteilung der Produkte verschiedener Hersteller:
>> Es ist deutlich zu sehen, dass die von Markus Söder angesprochenen 13 Prozent sich nicht gleichmäßig aus den verschiedenen Impfstoffen zusammensetzen: Während die Biontech-Impfdosen fast vollständig verimpft werden, sind es beim Hersteller Johnson&Johnson nur etwas mehr als die Hälfte. Auch vom Astrazeneca-Impfstoff ist noch fast ein Drittel unverimpft (Stand: 28. Juni). <<
https://datawrapper.dwcdn.net/v3PSp/31/
Biontech geht schon weg - die Menschen setzen halt recht rational auf Messdaten und Erfahrungen.
Aber es ist ja bald Wahl, da kocht mancher Journalist schon seine eigene Suppe...
Momentan komme ich aus dem Grinsen nicht mehr heraus, weil ich der Zeit mal wieder voraus war.
Seit ca. einem halben Jahr fordere ich die Zwei-Klassen-Gesellschaft und ich habe gejubelt, als Kanzleramtsminister Braun gesagt hat, dass Geimpfte mehr dürfen sollen als Ungeimpfte.
Aber die Leerdenker und Impfverweigerer können sich im Moment noch entspannt zurücklehnen. Die versteckte Impfpflicht wird frühestens nach der Bundestagswahl eingeführt, weil man keine Wählerstimmen verlieren möchte.
Ich habe es mittlerweile aufgegeben, die Leerdenker und Impfverweigerer vom Impfen überzeugen zu wollen, weil das nichts bringt. Ich kann nur mich ändern und zukünftig gehe ich das recht locker an. Es interessiert mich nicht mehr, ob sich Ungeimpfte bei mir anstecken können oder nicht. Ich bin vollständig geimpft und die Gefahr eines schweren Verlaufes ist für mich überschaubar. Der Rest interessiert mich nicht mehr. :-)
In diesem Sinne
Wo ist der Zusammenhang zwischen der AA, Herrn Pohl, und der Impfbereitschaft in Berlin?
Warum wird über Augsburg oder München nicht berichtet?
@Gerold R.:
Wegen Gibraltar muss man sich halt etwas genauer informieren, was da los ist und was die Ursachen sind. Gibraltar ist klein (30.000 Einwohner) + spanische Pendler und Besucher. Die Impfquote liegt dort nicht bei tatsächlichen 115%, sondern bei ca. 70-75%. Die Differenz haben z.B. spanische Pendler bekommen. Fakt ist, dass die Inzidenz dort extrem hoch liegt (ca. 600), jedoch führen wenige Infizierte dort schnell zu einem hohen Wert. Aktuell sind es 281 Personen (davon 28 Besucher). Fakt ist aber auch, dass diejenigen die geimpft wurden, keinen schweren Verlauf haben.
Zitat: "Fakt ist aber auch, dass diejenigen die geimpft wurden, keinen schweren Verlauf haben." Ich kann nirgendwo nachlesen, dass ausgerechnet die 9 Menschen, die ins Krankenhaus mussten, ungeimpft waren. Gibt es dazu eine Quelle?
@Gerold R.
Ob die Menshcne die ins Krankenhaus mussten geimpft waren oder nicht, konnte ich leider nichts finden. Aber es gibt keinen Toten und nur eine Person ist auf Intensiv. Zudem gibt es ja auch welche, die eben nicht geimpft werden können. AUs medizinischen Gründen.
https://www.deutschlandfunk.de/coronavirus-600er-inzidenz-auf-gibraltar-trotz-hoher.1939.de.html?drn:news_id=1284510
https://web.de/magazine/news/coronavirus/corona-news-ticker-gibraltar-inzidenz-600-trotz-100-prozent-impfquote-35990536
Übrigens wird Ihnen keine "Dosis Genmaterial" gespritzt.
https://blog.ksa.ch/wissen/was-mrna-impfstoffe-mit-ihrem-letzten-schnupfen-zu-tun-haben
https://naturwissenschaften.ch/covid19-vaccination-explained/mrna_vaccines/was_ist_eine_mrna_und_welche_funktion_hat_sie_
Wie kommen Sie darauf, dass sich Delta gerade da ausbreitet , wo besonders stark geimpft wird? Delta ist in Europa dominierend geworden. Nicht nur in Europa und auch in Ländern mit einer niedrigeren Impfquote.
In Indonesien macht sie 95 % Anteil aus! Die Impfquote hat da nicht mal 7 %!
Die USA haben einen Dleta-Anteil von 68 % bei einer Impquote knapp über Deutschland.
@ ALOIS R.:
Bitte erstmal informieren, was bisher in der Impfgeschichte passiert ist. Hierzu empfehle ich vom Impfschutzverband eine Übersicht über Verdachtsfälle. https://www.impfschutzverband.de/
Diese sind im Vergleich zu den mit einer Impfung (alle bisherigen Schutzimpfungen) in Deutschland, wahrlich extrem gering. So wurden 2011 über 211 Mio. Impfungen durchgeführt. 1069 Menschen wollten Impfschäden anerkannt haben, 169 wurden gebilligt. Bis Mögliche Langzeitfolgen als Ablehnungsgrund einer Impfung zu nennen, ist keine Rechtfertigung, sondern eine Ausrede. Entweder weil man Angst hat oder weil man nicht sozial denkt und handelt.
Das was gerade in Gibraltar passiert, ist für mich nicht vertrauenserweckend. Komischer Weise bricht anscheinend genau dort die Deltavariante aus, wo am meisten geimpft wird. Meinetwegen lasse ich mich asozial nennen und verzichte erstmal auf meine Dosis Genmaterial.
Ich würde das handhaben wie in Italien oder Frankreich. Wer sich nicht impfen lassen will muss sich halt einschränken.
Die Gesellschaft hat jetzt lange genug Rücksicht genommen! Es ist genug verschiedenartiger Impfstoff verfügbar dass, so denke ich, jeder einen für sich passenden findet.
Es gibt keine echte Auswahl zwischen verschiedenen Impfstoffen. Impfen in der EU bedeutet immer eine Gentherapie. Die konventionell hergestellten Totimpfstoffe mit weitaus geringeren Langzeitrisiken aus China werden den EU- Bürgern verweigert. Ich würde sogar dafür bezahlen, um die zu bekommen.
Es ist so schön einfach den Fehler wo anderes als sich selbst zu suchen. Da findet sich dann auch ganz leicht ein Schuldiger, am besten noch eine Institution, wie eine Regierung. Dann baut man zu seiner Meinung noch eine sehr dünne Argumentationskette zusammen und schon ist das Thema Eigenverantwortung und Verantwortung für meinen Mitmenschen vom Tisch. Ich finde es wirklich erschreckend, das es immer noch Kommentare wie diesen hier gibt, der sich auch noch Analyse nennt. Jede Bewohnerin und jeder Bewohner dieses Landes, kann, wenn er das möchte, gut informiert sein über Corona, seine Auswirkungen und darüber, wie eine Impfung dieses Problem in Richtung Lösung bewegt. Es geht aktuell nicht mehr darum noch weiter jedem nicht Geimpften hinterher zu betteln. Jeder in Deutschland kann sich sehr leicht impfen lassen. Das ist ein Privileg! Das Ausfüllen der Formulare für eine Impfung ist einfach und es ist immer eine Person da, die einem dabei hilft. Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, entscheidet sich gegen ein solidarisches Miteinander unserer Gesellschaft und hat dafür auch seine Konsequenzen im Form von eingeschränkten Freiheiten zu tragen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn Meinungsbildung durch die Medien das Unterstützen und nicht weiter, wie durch dieses "Analyse" den Impf-Verweigerern Rückendeckung und schwache Argumente liefert.
Leider liest sich diese Analyse wie ein Aufreihen von Zahlen und Vergleichen. Zu den tieferen Ursachen des gesunkenen bundesweiten Impftempos gibt es keine Aussagen, Nach meiner Meinung ist die nachlassende Impfbereitschaft auf mehrere Punkte zurückzuführen:
- Die Zögernden, Unsicheren oder Unwilligen nehmen prozentual zur Anzahl der Ungeimpften zu.
- Für Kinder und Jugendliche gibt es keine Impfstrategie bzw. nur eingeschränkt Impfstoff
- Die Ansicht, dass die bisherigen Impfungen auch ausreichen, die Ungeimpften zu "schützen" , gewinnt Raum
- Einige Impfstoffe sind (unbeabsichtigt ?) in Verruf geraten
- Die Impfstrategie der Regierenden wurde zu häufig angepasst, umgemodelt und umgedreht
Von diesem Artikel hätte ich mehr Hintergrund Recherche erwartet .
"Jede Bewohnerin und jeder Bewohner dieses Landes, kann, wenn er das möchte, gut informiert sein über Corona, seine Auswirkungen ................."
.
Jede Bewohnerin und jeder Bewohner dieses Landes, kann auch, wenn er das möchte, gut informiert sein über CORONA-IMPFUNGEN, die evtl. Langzeit- Auswirkungen etc. ........................
"Das Beispiel Bremens zeigt jedoch, dass es auch an der Organisation liegt und daran, wie aktiv die zuständigen Stellen auf die Bevölkerung zugehen."
Also bitte, das sind alles erwachsene Menschen. Das Thema Impfung ist Omnipräsent. Wer jetzt impfwillig ist und nur noch keine Spritze erhalten hat "weil noch niemand auf ihn oder sie zugekommen ist", ist aus meiner Sicht dann wohl leider auch unfähig sein sonstiges Leben auf deine Beine zu bekommen. Den "unfassbaren" Aufwand einer Registrierung beim Impfzentrum, oder eines Anrufs/E-Mail zum Haus- und oder Facharzt sollte jeder Bürger ohne eine entsprechende Einschränkung selbst hinbekommen.
Und wenn ich für Augsburg und Region spreche: Hier ist inzwischen so viel Impfstoff da, dass alle Bekannten, egal wie alt und mit oder ohne Vorbelastung, in den letzten Wochen schnell und unkompliziert einen Termin erhalten haben. Mit Wunschimpfstoff.