Adolf Hitler: Durch verschneite Gärten zur Macht
Hitlers Regierungsbildung am 30. Januar 1933 war der Fahrplan ins deutsche Verderben. Der wegen Landfriedensbruchs einschlägig vorbestrafte, berufslose ehemalige Obdachlosenasyl-Bewohner Adolf Hitler wird an jenem Tag vor 75 Jahren zum Kanzler des Deutschen Reichs ernannt.
Von Werner Reif
Augsburg. In der Hamburger Staatsoper werden am 30. Januar 1933 "Die Banditen" gegeben. Dies ist bloß Operette. Komponiert von Jacques Offenbach. Aber es könnte leitmotivisch auch jenes große Staatstheater, jene monströse deutsche Tragödie beschreiben, die am gleichen Tag zu Berlin auf der politischen Bühne anhebt: Der wegen Landfriedensbruchs einschlägig vorbestrafte, berufslose ehemalige Obdachlosenasyl-Bewohner Adolf Hitler wird an jenem Tag vor 75 Jahren zum Kanzler des Deutschen Reichs ernannt.
Völlig legal ergreift der Staatsterrorist mit seinem diabolischen Charisma die Macht. Er gibt sie erst einen Weltkrieg später mit 60 Millionen Toten aus der Hand. Statt - wie in seinem am 30. Januar gegen 11.20 Uhr abgelegten Eid beschworen - das Wohl des Reichs zu mehren, ruiniert er es gründlich. Hier der Fahrplan ins deutsche Verderben:
27. März 1930: Wegen eines Streits über einen um 0,25 Prozentpunkte höheren Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zerbricht die Große Koalition aus SPD, Zentrum und Liberalen, die für die Weimarer Republik konstituierend war.
29. März 193: Der neue Reichskanzler, Heinrich Brüning (Zentrum), schaltet durch sogenannte "Notverordnungen" das Parlament weitgehend aus.
14. September 1930: Bei der Reichstagswahl steigert die NSDAP die Mandatszahl von 12 auf 107.
1932: Der Österreicher Hitler, der von der fünfjährigen Strafe wegen seines Putschversuchs von 1923 gerade mal ein Jahr in der Festung Landsberg abgesessen hat, wird von der NS-Landesregierung in Braunschweig zum Regierungsrat ernannt und damit Deutscher.
Februar 1932: Mit 6,128 Millionen erreicht die Arbeitslosenzahl Rekordhöhe.
30. Mai 1932: Neuer Reichskanzler wird Franz von Papen ("Kabinett der Barone").
13. August 1932: Reichspräsident Paul von Hindenburg empfängt von Papen und Hitler. Der Nazi-Chef lehnt es ab, Vizekanzler zu werden.
6. November 1932: Der Reichstag spricht von Papen das Misstrauen aus, er muss gehen.
2. Dezember 1932: Neuer Reichskanzler wird General Kurt von Schleicher. Sein tollkühner Plan, ein Bündnis zwischen Reichswehr, Arbeitnehmern und dem linken Flügel der NSDAP um den Hitler-Konkurrenten Gregor Strasser zu schmieden und die "Braunen" damit zu spalten, misslingt.
4. Januar 1933: Man kann es Politik nennen, aber auch Verschwörung gegen die Demokratie, was an diesem Tag im Hause des Kölner Bankiers Kurt von Schroeder stattfindet. Der hat beste Beziehungen zur Schwerindustrie. Bei ihm treffen sich Hitler und Papen. Der "Führer" stellt klar, dass er Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden aus den führenden Stellungen fegen will. Mit dem Treffen wird auch die Kreditfähigkeit der NSDAP wiederhergestellt. Die Unterredung im Hause Schroeder gilt als Geburtsstunde des "Dritten Reichs".
Mitte Januar 1933: Ein weiteres Mega-Datum in der Chronik der Intrigen: Unter verschwörerischen Umständen wird in das Bemühen um eine neue Regierung auch Oskarvon Hindenburg eingeschaltet, nach einem Bonmot "der von der Verfassung nicht vorgesehene Sohn" des Präsidenten. Die Kamarilla um Oskar Hindenburg, Papen und dem Staatssekretär des Reichspräsidenten, Otto Meißner, kartet mit Hitler alles Notwendige aus. Oskar Hindenburg befindet, es gebe keine andere Möglichkeit mehr, als Hitler zum Kanzler zu machen.
28. Januar 1933: Morgens Schleicher macht einen letzten Versuch, den Reichspräsidenten an dessen frühere Anmerkungen zu Hitler ("böhmischer Gefreiter") zu erinnern und die Ernennung zu verhindern. Hindenburg lässt den Kanzler-General abblitzen.
29. Januar 1933: Putschgerüchte, Schleicher habe die Potsdamer Garnison alarmiert, beschleunigen die Bildung des Kabinetts Hitler.
30. Januar 1933, 9.45 Uhr: Papen führt an diesem Montag die Mitglieder der geplanten Regierung durch die verschneiten Ministergärten des Berliner Regierungsviertels hinüber zum Reichspräsidenten und begrüßt im Amtszimmer Meißners Hitler feierlich als neuen Reichskanzler.
30. Januar 1933, 11 Uhr: Bis zuletzt tobt zwischen Hitler und seinem designierten Koalitionspartner Alfred Hugenberg (Deutschnationale) ein Streit um Neuwahlen.
30. Januar 1933, 11.15 Uhr: Meißner sagt: "Meine Herren, die Vereidigung durch den Herrn Reichspräsidenten war auf 11 Uhr angesetzt. Es ist 11.15 Uhr. Sie können den Herrn Reichspräsidenten nicht länger warten lassen." Hindenburg vereidigt die aus drei Nazis und aus acht Rechts-Konservativen bestehende Regierung und entlässt sie mit den Worten: "Und nun, meine Herren, mit Gott vorwärts." Mit ihrem 20. Kabinett ist die seit 1918 bestehende Weimarer Republik am Ende. Die Diktatur beginnt.
Der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler ("Der Untergang des Abendlandes") kommentiert die nach dem Reichstagsbrand (27. Februar 1933), dem Ermächtigungsgesetz (23. März) und dem Gleich- oder Ausschalten der Länder und Gewerkschaften in den ersten Wochen der Regierungszeit totale Machtübernahme Hitlers: "Das war kein Sieg, denn die Gegner fehlten."
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