Abgeordnete tun sich schwer mit Gewissensfrage
In der PID-Debatte werben Befürworter und Gegner für ihre Position
Berlin Wann ist ein Mensch ein Mensch? „Jeder von uns“, sagt Maria Flachsbarth, „war einmal ein Zellhaufen.“ Und so wenig Ähnlichkeit sie heute mit diesem Zellhaufen habe, argumentiert die Abgeordnete aus Hannover, so wenig werde sie als 90-jährige Greisin noch dem Säugling ähneln, den ihre Mutter 1963 im westfälischen Lünen zur Welt gebracht hat. In welchem Moment menschliches Leben beginnt, ist für Maria Flachsbarth daher keine Frage: Mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle hat sie einmal gesagt, „ist das Individuum in seiner Einzigartigkeit geschaffen“.
Berlin, Bundestag. Die CDU-Frau aus Niedersachsen ist nach drei Stunden die vorletzte Rednerin in einer Debatte, wie sie das Parlament nicht alle Tage erlebt. Es geht um die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID), also die Möglichkeit, genetische Defekte vor dem Einsetzen eines Embryos in den Mutterleib zu erkennen – und um ein Verbot der umstrittenen Gen-Checks. Selbst bekennende Frauenrechtlerinnen wie die Grüne Birgitt Bender fühlen sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass Eltern und Mediziner vor einer künstlichen Befruchtung entscheiden, ob ein Embryo es tatsächlich wert ist, eingepflanzt zu werden oder nicht. Die PID, sagt sie, sei kein Zugewinn an Freiheit für Eltern, die ihrem Kind womöglich eine schwere Krankheit vererben, sondern eine „Option auf Selektion“. Embryonen würden dabei „bewusst und gewollt“ zum Zwecke des Aussortierens erzeugt.
Wie immer, wenn es um die grundlegenden ethischen Fragen geht, ist der Fraktionszwang aufgehoben und das Meinungsbild entsprechend heterogen. Unter den Befürwortern eines strikten Verbotes finden sich stramme Konservative wie Johannes Singhammer von der CSU, die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD und grüne Feministinnen wie Birgitt Bender, die einst für die Legalisierung der Abtreibung gekämpft haben. Unter den Anhängern einer vergleichsweise liberalen Regelung wiederum gehört ausgerechnet ein ehemaliger Pastor wie der CDU-Mann Peter Hintze zu den treibenden Kräften, der über sich sagt, er wolle Frauen das Ja zum Kind erleichtern. Verfügbares Wissen in ihrem Sinne zu nutzen, findet er, sei ein Gebot der Menschenwürde.
„Auch wir öffnen nicht alle Türen“, verspricht Hintzes Mitstreiterin, die Liberale Ulrike Flach. Verglichen mit der Qual einer Abtreibung sei die PID die „mildere Abwehr“ einer Notlage. Grundsätzlich solle die neue Diagnostik daher verboten bleiben – bei der Gefahr schwerer Erbkrankheiten, die häufig zum Tod oder zu Totgeburten führten, wäre sie aber erlaubt. „Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind“, sagt die SPD-Abgeordnete Carola Reimann. „Aber es gibt medizinische Möglichkeiten.“
Viele Paare flüchten notgedrungen ins Ausland
Ihr Parteifreund Hubertus Heil, der frühere Generalsekretär, hat selbst miterlebt, welche Dramen sich in solchen Fällen häufig abspielen und zu welchen Umwegen verzweifelte Paare unter Umständen gezwungen werden. Das Kind von Freunden, erzählt er, sei wenige Wochen nach der Geburt an einer genetisch bedingten, schnell fortschreitenden Muskelerkrankung gestorben. Erst danach erfuhren die Eltern, dass das Risiko einer solchen Behinderung auch für weitere Kinder groß wäre. Bei einem strikten Verbot der PID allerdings, argumentiert Heil, blieben diesem Paar nur zwei Möglichkeiten: es auf eine Spätabtreibung ankommen zu lassen – oder die PID im Ausland vornehmen zu lassen, zum Beispiel in Israel oder Belgien.
Einen Mittelweg zwischen beiden Positionen sucht eine Gruppe um den Sozialdemokraten Rene Röspel und die Grüne Priska Hinz. Sie wollen die Fälle, in denen eine PID erlaubt wäre, auf besonders schwere Erbkrankheiten beschränken–nicht zuletzt, um Zustände wie in Großbritannien zu vermeiden. Dort, sagt die Forschungsexpertin Hinz, sei eine PID schon möglich, wenn der Embryo eine genetische Disposition für Darmkrebs haben könnte...
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