Der Soli muss weg – und zwar für alle
Eine Steuerreform, die Familien und Beschäftigte spürbar entlastet? Die Jamaika-Parteien tun sich damit schwer, obwohl sie alle Steuerentlastungen versprochen haben.
Beim Geld hört auch in Jamaika die Freundschaft auf. Obwohl Konservative, Liberale und Grüne vor der Wahl in den unterschiedlichsten Akzentuierungen Steuererleichterungen versprochen haben, bekommen sie in der entscheidenden Phase ihrer Gespräche nun offenbar Angst vor der eigenen Courage. Selbst ein höherer Spitzensteuersatz ist für die angehenden Koalitionäre kein Tabu mehr.
Erst allmählich wird den Sondierern klar, dass beides zusammen nicht gehen wird – vom Baukindergeld über die Mütterrente bis zur Gebäudesanierung einen langen Zettel mit teuren vorweihnachtlicher Wünschen aufzustellen und gleichzeitig die Steuern und Abgaben so zu senken, dass Millionen von Beschäftigten spürbar mehr netto vom Brutto bleibt.
Mit einem Kniff, der angeblich auch den Segen der Steuersenkungspartei FDP hat, versuchen sie nun offenbar, zu retten, was noch zu retten ist: Gut- und Besserverdiener sollen den Abbau des Solidaritätszuschlages danach über einen höheren Spitzensteuersatz zumindest teilweise mitbezahlen. Der würde dann zwar nicht mehr beim zu versteuernden Einkommen von 54.000 Euro im Jahr einsetzen, sondern erst bei 70.000 oder 75.000 Euro – am Ende jedoch bliebe vor allem bei den Anhängern von CSU und FDP nur eine Botschaft hängen: Die Parteien, die sonst am lautesten für Steuersenkungen trommeln, beschließen nun eine Steuererhöhung.
Mit den Jamaika-Parteien gibt es wohl keine nachhaltige Steuerreform
Ob es tatsächlich so kommt, ist noch offen – alleine die Gedankenspiele um den Spitzensteuersatz zeigen jedoch schon das Dilemma, in dem die Jamaikaner aus Berlin sich bewegen: Dank der robusten Konjunktur haben sie mit gut und gerne 40 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode einen Gestaltungsspielraum wie keine Bundesregierung zuvor, gleichzeitig jedoch addieren sich die Wahlversprechen der vier Parteien auf weit über 100 Milliarden Euro. Und je besser die regelmäßigen Steuerschätzungen ausfallen, umso geringer ist auch die Bereitschaft, bei den eigenen Ansprüchen Abstriche zu machen.
Dazu kommen die finanziellen Risiken, die Deutschland mit der Aufnahme und der Integration von Flüchtlingen eingegangen ist. Alleine dafür hat das Finanzministerium für das kommende Jahr knapp 22 Milliarden Euro eingeplant.
Eine nachhaltige Steuerreform, die Familien über höhere Freibeträge entlastet, die Progression entschärft und knapp drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall endlich Tabula rasa mit dem Solidaritätszuschlag macht, wird es mit einer Jamaika-Koalition deshalb nicht geben. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist bisher der Soli, den sie aber nur in Schritten und zunächst offenbar nur für kleine und mittlere Einkommen abschaffen will – eine ebenso halbherzige wie riskante Strategie.
Soli muss zügig abgeschafft werden
Dass das Verfassungsgericht eine willkürlich gezogene Grenze bei 50.000 Euro Jahreseinkommen akzeptiert, halten nicht nur viele Steuerjuristen für ausgeschlossen. Auch politisch lässt sich ein solcher Schritt schwer begründen. Der Solidaritätszuschlag ist eine zweckgebundene Abgabe, eingeführt, um die Kosten der Einheit zu stemmen. Dieser Zweck ist längst erfüllt, deshalb gehört der Zuschlag jetzt zügig abgeschafft – und zwar für alle.
Um Beschäftigte mit schmalem Budget zu entlasten, ist die Steuerpolitik ohnehin ein ungeeignetes Instrument – sie zahlen ja kaum Steuern. Von niedrigeren Beiträgen zu den Sozialversicherungen dagegen profitieren die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen überdurchschnittlich stark.
Wenn bei der Rente also trotz der anhaltend hohen Beitragseinnahmen schon nicht mehr drin ist als ein homöopathischer Beitragsnachlass von 0,1 Prozentpunkten: Warum dann nicht wenigstens den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken, die im Geld schwimmt und angesichts der immer neuen Beschäftigungsrekorde vor allem den Status quo verwaltet? An Möglichkeiten, den Steuer- und Beitragszahlern im neunten Aufschwungjahr endlich ihre Konjunkturdividende zu überweisen, fehlt es nicht. Man muss sie nur nutzen (wollen).
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