Deutschland zeigt die Regenbogen-Flagge – doch das reicht nicht
Die Gleichberechtigung Homosexueller ist weder abgeschlossen noch verfestigt. Neben Zeichen der Solidarität braucht es weitere Gesetzesänderungen.
Deutschland zeigt Flagge, die mit dem Regenbogen. Manuel Neuer, Kapitän der Fußballnationalmannschaft, setzt bei der Europameisterschaft mit seiner Armbinde ein Zeichen der Solidarität mit Schwulen und Lesben. Die Bundesregierung verurteilt die homosexuellenfeindliche Politik in Ungarn scharf. Tausende Menschen demonstrieren bei bunten Paraden für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten. Das sind erfreuliche Nachrichten. Doch sie bedeuten leider nicht, dass die Gleichstellung von Menschen, die Angehörige des eigenen Geschlechts lieben, abgeschlossen oder verfestigt wäre. Im Gegenteil: Von vielen Seiten droht ernste Gefahr.
Lange Geschichte der Ausgrenzung und Unterdrückung
Homosexuellen im Kampf um gleiche Rechte beizustehen, ist Pflicht einer jeden freien, offenen Gesellschaft. In Deutschland gilt sie umso mehr angesichts einer Geschichte, die von Ausgrenzung und Unterdrückung geprägt ist. Tiefpunkt ist zweifellos die brutale Verfolgung im Nationalsozialismus. Homosexuelle wurden erbarmungslos gejagt, in Konzentrationslager gesperrt, wo Tausende ihr Leben ließen. Grundlage bildete der von den Nazis drastisch verschärfte Paragraf 175, der seit 1872 sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte. Ab 1935 reichten bereits „begehrliche Blicke“ für Verfolgung.
Empörend ist, dass die überlebenden homosexuellen Opfer der NS-Verfolgung später nicht etwa rehabilitiert wurden. Sondern teils als Verbrecher registriert. In manchen Fällen mussten sie gar Jahre nach Kriegsende Kosten für KZ oder Zuchthaus nachzahlen. Es scheint fast unvorstellbar, dass der Paragraf 175 in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 unverändert galt. Erst 1994 wurde er endlich ganz gestrichen. Gegen heftige Widerstände mussten sich Schwule und Lesben in den Jahrzehnten nach dem Krieg Freiräume erkämpfen. Nachdem Polizisten Ende Juni 1969 das Szenelokal „Stonewall Inn“ in der New Yorker Christopher Street stürmten, begehrten Schwulen und Lesben offen auf. Seither wird der „Christopher Street Day“ gefeiert.
Ehe für alle als Meilenstein
Erst 2002 bat der Deutsche Bundestag die homosexuellen NS-Opfer um Entschuldigung. 2017 markierte die „Ehe für alle“ einen weiteren Meilenstein. Doch rechtlicher Handlungsbedarf besteht weiter. Wird in Ehen von Mann und Frau ein Kind geboren, wird dieses automatisch als Kind von beiden Partnern anerkannt, auch wenn es adoptiert oder mit medizinischer Hilfe gezeugt wurde. Wenn hingegen zwei miteinander verheiratete Frauen ein Kind in einer Ehe bekommen, muss die eine Frau es adoptieren. Ein Gesetz, das dies abstellen würde, ist in Arbeit, scheitert offenbar aber bislang am Widerstand des CSU-geführten Innenministeriums.
Feindseligkeiten gibt es in allen Schichten und Bereichen der Gesellschaft. Im populären Musikgenre Deutschrap strotzen manche Texte nur so vor Schwulenhass. In Dresden wurde 2020 bei einem islamistisch-homophob motivierten Terrorakt ein Mann erstochen. „Schwul“ wird als Schimpfwort auf Schulhöfen und Fußballplätzen gebraucht. Von rund 800 deutschen Profifußballern lebt kein einziger offen homosexuell.
Gerade weil der Profifußball auch mit seinem Homophobie-Problem ein Spiegel der Gesamtgesellschaft ist, ist es so wichtig, wenn bei der Fußball-Europameisterschaft Zeichen gesetzt werden. Etwa gegen die ungarische Politik unter Viktor Orbán, die schon die Aufklärung über von der vermeintlichen Norm abweichende Lebensweisen unter Strafe stellt. Es bewegt sich gerade vieles bei der Anerkennung Homosexueller, und das ist auch gut so. Aber es gibt eben noch ganz vieles, was besser werden muss.
Die Diskussion ist geschlossen.
Wer es wissen will:
„ Während die Strafverfolgung homosexueller Handlungen unter Erwachsenen in der Bundesrepublik fortbestand, wurde sie in der DDR Ende der Fünfzigerjahre eingestellt.“
https://www.google.de/amp/s/www.spiegel.de/geschichte/schwulenparagraf-175-homosexuelle-in-der-ddr-a-972887-amp.html
Aber über das geschluckte Land reden wir nicht mehr. Die einen wollen nicht, die anderen können nicht. Und wenn geredet wird, dann natürlich mit dem Maximum an Empörung. Was soll das? Ist es „empörend“ das vor 100 Jahren noch Ständewahlrecht bestand?
Die Frage muss doch sein, wie die Gesellschaft sich entwickeln will. Und da sind wir in Bezug auf Gleichberechtigung Homosexueller extrem weit. Das sind doch nur noch rechtliche Details, die sich im täglichen Leben zeigen und leicht ausgeräumt werden können. Freuen wir uns doch endlich mal, dass wir das stressfrei, ohne Empörung hinbekommen können.
(edit/mod/NUB 7.2)
Es genügt doch, wenn der Deutsche zu den internationalen Fußballspielen mit "SCHWARZ-ROT-GOLD" wedeln darf.