Neuer Parteichef: Lindner soll FDP den Weg weisen
Bei ihrem Parteitag leckt die FDP noch einmal ihre Wunden. Nun soll Christian Lindner sie aus der Krise führen. In Berlin sagt er, in welche Richtung es künftig gehen soll.
Christian Lindner macht sich nichts vor. Auf dem Weg zurück in den Bundestag, das ahnt er, wird es Widerstände geben, Rückschläge und Enttäuschungen. Die Zäsur jedoch, die die FDP gerade vollzieht, ist auch aus seiner Sicht unausweichlich. Viele Deutsche, die früher brav ihr Kreuz bei den Liberalen gemacht haben, haben vor drei Monaten wie jener Mittelständler gedacht, der Lindner nach der Wahl geschrieben hat und aus dessen Brief der 34-Jährige nun zitiert. Dieser Unternehmer, bis dahin ein treuer Anhänger, hat im September ganz bewusst nicht die FDP gewählt: „Nur so ist ein Neustart möglich.“
Lindner blickt nach vorne: "Trauerarbeit vorbei"
Mit dem, was war, hält Lindner sich allerdings nicht mehr auf, das haben die 660 Delegierten schon in den drei Stunden zuvor getan. Nur so viel vielleicht noch: „Wir sind die Partei der Eigenverantwortung und suchen die Schuld nicht bei anderen.“ Damit aber, fügt er dann noch hinzu, sei die Trauerarbeit auch vorbei: „Ab heute bauen wir neu auf.“ Wenig später ist der Fraktionschef aus Nordrhein-Westfalen Vorsitzender der FDP, wenn auch nur mit einem eher mittelprächtigen Ergebnis von 79 Prozent, weil er zwei bis dahin unbekannte Gegenkandidaten hatte.
Wolfgang Kubicki, der Querkopf aus Kiel, hat bei der Wahl der Stellvertreter keine Konkurrenz und erhält mehr als 89 Prozent. Auch einige andere Mitglieder der neuen Parteiführung werden mit besseren Ergebnissen gewählt als Christian Lindner.
FDP erteilt Euro-Skeptikern eine Abfuhr
Der Versuchung, ein Stück nach rechts zu rücken, widerstehen die Liberalen dabei: Der Euro-Skeptiker Frank Schäffler scheitert mit seinem Versuch, stellvertretender Parteichef zu werden – und auch Lindner selbst zieht eine klare Linie: Würde die FDP nur einen Zentimeter in Richtung der Euro-Gegner gehen: „Wir würden unsere ökonomische Kompetenz verlieren, aber vor allem unsere Seele.“ Einer „Bauernfängertruppe“ wie der Alternative für Deutschland, versichert der neue Vorsitzende, werde die Partei auch in Zukunft nicht hinterherjagen.
Berlin, Gleisdreieck. Der organisatorische Zufall hat es so gefügt, dass die FDP genau in dem ehemaligen Postbahnhof in Kreuzberg ihre Wunden leckt, in dem die SPD am nächsten Samstag ihren Mitgliederentscheid auszählt und dann vermutlich den Platz der Liberalen an der Seite der Union einnimmt. „Wir haben Erwartungen geschürt und nicht erfüllt“, räumt Philipp Rösler in seiner Abschiedsrede ein. Es ist ein kurzer und auch nicht allzu emotionaler Auftritt, mit dem er sich aus der Parteiarbeit zurückzieht, obwohl er den Liberalen doch so vieles verdankt. Die Hälfte seiner 40 Lebensjahre ist er Mitglied, er war Fraktionschef in Niedersachsen, Bundes- und Landesminister, Vizekanzler – nach diesem Wahlergebnis aber, sagt er, sei sein Rückzug seine „letzte Pflicht“ als Vorsitzender.
Rösler: „Ich hätte mir mehr Unterstützung gewünscht“
Noch einmal dankt er Rainer Brüderle, der als Spitzenkandidat „an die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit“ gegangen sei. Er bedankt sich bei den 600 Mitarbeitern im Bundestag und in den Wahlkreisbüros, von denen noch längst nicht alle eine neue Stelle gefunden haben.
Ganz alleine aber will Rösler auch nicht für das Debakel verantwortlich sein. Ja, es stimmt. Es sei ihm nicht gelungen, ein starkes Team zu bilden und die Partei zu motivieren. Gelegentlich allerdings, fügt er verbittert hinzu, hätte er sich auch ein wenig mehr Unterstützung aus der Partei gewünscht.
Schonungslose Aufarbeitung der Niederlage
Es ist der Auftakt zu einer Debatte, wie sie auch die streitbaren Liberalen noch nicht erlebt haben. Schonungslos arbeitet die Partei ihre bislang bitterste Niederlage auf, angeführt von Alexander Hahn, dem neuen Vorsitzenden der Jungen Liberalen, der sich über die „Bettelkampagne“ um die Zweitstimmen erregt und über die Entscheidung, mit Dirk Niebel einen Generalsekretär zum Entwicklungsminister zu machen, der eben jenes Ministerium abschaffen wollte. Noch deutlicher wird der frühere Bundestagsabgeordnete Michael Kauch, der die Fixierung auf Angela Merkel und die Union beklagt: „Ich habe die Schnauze voll davon, dass wir an Muttis Rockzipfel hängen.“
"Wir müssen mehr Herz zeigen"
Wie er denken viele auf diesem Parteitag. „Wer nicht hören will, muss fühlen“, sekundiert der Delegierte Rudi Rentschler, einer der Treuesten der Treuen. Vor allem die kühle, oberlehrerhafte Art, mit der die FDP Wahlkampf geführt hat, missfällt vielen Mitgliedern. „Wir müssen mehr Herz zeigen“, verlangt ein Redner. Auch der neue bayerische Landesvorsitzende Albert Duin hält sich nicht lange mit gebrochenen Steuerversprechen oder verpassten Reformchancen auf. „Wir sind unten angekommen, granatenmäßig“, sagt er – und gibt den Delegierten einen Rat mit auf den Heimweg: „Geht wieder raus, seid freundlich zu den Menschen.“
Die Diskussion ist geschlossen.