Wulff ist mit sich im Reinen
Der Bundespräsident will dem Druck standhalten. Seinen sofortigen Rücktritt fordert bisher nur einer: der bayerische FDP-Abgeordnete Erwin Lotter
Berlin Nach 25 Jahren in der Politik bringt Christian Wulff so leicht nichts mehr aus der Ruhe. Am Samstag ist der Bundespräsident in Wittenberg zu Besuch, wo das ZDF eine Weihnachtssendung mit ihm aufzeichnet – das Thema der Woche allerdings streift der erste Mann im Staate nur kurz. „Man muss selber wissen, was man macht, und das verantworten“, sagt er. „Und das kann ich. Das ist das Entscheidende.“ Dass zu diesem Zeitpunkt bereits die ersten Rücktrittsforderungen die Runde machen, kümmert Wulff offenbar nicht allzu sehr. Er ist entschlossen, dem Druck standzuhalten. Seinen Kritikern empfiehlt er, sauber zu trennen, „wo etwas real ist und wo etwas mit sehr viel Staubaufwirbeln verbunden.“
Staub aufgewirbelt hat das umstrittene Darlehen über 500000 Euro weiß Gott schon genug. Ob Wulff sich damit als niedersächsischer Ministerpräsident tatsächlich einen Vorteil verschafft und gegen geltendes Recht verstoßen hat, wie der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim behauptet, ist allerdings noch längst nicht erwiesen. Im Jahr 2008 lagen die durchschnittlichen Zinsen für einen fünfjährigen Hypothekenkredit nach Auskunft des Münchner Finanzanalysten Max Herbst bei 4,28 Prozent und damit nur geringfügig über den vier Prozent, die Wulff an die Unternehmergattin Edith Geerkens aus Osnabrück gezahlt haben will.
Mit dem Einkommen und der Bonität eines Ministerpräsidenten allerdings hätte der heutige Bundespräsident für den Kauf seines Hauses in Großburgwedel bei Hannover möglicherweise auch bei einer Bank einen ähnlich günstigen Zins erhalten. Bei einer Laufzeit von zehn oder 15 Jahren dagegen wird die Kluft naturgemäß etwas größer: Hier verlangte der Markt vor drei Jahren 4,6 bzw. 4,8 Prozent. Wulffs Anwälte jedoch beteuern in der Welt am Sonntag, ohne Details zu nennen: „Der Kredit wurde verkehrsüblich verzinst.“ Mit einem Unterschied: Edith Geerkens hat für ihr Darlehen keine Sicherheiten verlangt. Viele Banken dagegen fordern in solchen Fällen einen Risikozuschlag.
Opposition verlangt Aufklärung über Herkunft des Geldes
Die Opposition interessiert sich weit weniger für Zinssätze und Laufzeiten als für die Herkunft der 500000 Euro. Es sehe so aus, als ob Wulffs Freund, der frühere Unternehmer Egon Geerkens, bei der Kreditvergabe „ein kleines Scheingeschäft eingefädelt“ habe, findet SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, der wie Wulff aus Niedersachsen stammt. Geerkens selbst bestreitet das. Das Geld stamme nicht von ihm, sondern von seiner Frau, betont er in der Frankfurter AllgemeinenSonntagszeitung. Er habe sich lediglich überlegt, wie das Geschäft habe abgewickelt werden können. Dabei hat es sich, aus Sicht der Unternehmerfamilie zumindest, keineswegs nur um einen großzügigen Freundschaftsdienst gehandelt. Vier Prozent Zinsen von den Wulffs, argumentiert der Unternehmer Geerkens, seien schließlich besser als drei Prozent fürs Tagesgeld.
Der erste Ruf nach einem Rücktritt des Bundespräsidenten kommt am Wochenende nicht aus den Reihen von Sozialdemokraten, Grünen oder Linken, sondern überraschenderweise von einem Parlamentarier der Koalition. „Statt mit präsidialem Glaubwürdigkeitskredit den Menschen in turbulenten Zeiten Orientierung zu geben“, kritisiert der sonst eher zurückhaltende Aichacher FDP-Abgeordnete Erwin Lotter, „ist der Bundespräsident gefangen im spitzfindigen Formulierungskampf um seinen Hauskredit.“ Der umgehende Rücktritt sei deshalb „ein Gebot des Anstandes und der Verantwortung“.
So weit geht noch nicht einmal die sonst so forsche SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Wulff müsse jetzt „schnell und offensiv“ alle Fakten auf den Tisch legen, verlangt sie lediglich. „Wenn er das nicht kann, dann allerdings sollte er darüber nachdenken, ob er weiter Vorbild in Deutschland sein kann.“
Von heute an wollen Wulffs Anwälte Journalisten in ihrer Berliner Kanzlei einen Blick in die Darlehensverträge werfen lassen – um zu zeigen, dass ihr prominenter Mandant nichts zu verbergen hat. Gestern veröffentlichten sie zudem eine Liste mit Reisen, zu denen der Bundespräsident von Bekannten eingeladen worden waren. Auch Wulff selbst versteckt sich nicht. Am Samstagabend redet er bei der Feier zum 100-jährigen Bestehen des Fechterbundes, am Sonntag sitzt er unter den Ehrengästen bei einem Festgottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche. Der Andrang von Reportern, Fotografen und Kameraleuten ist zwar hier wie dort deutlich größer als sonst. Der Präsident aber ist vor allem eines: Präsident. Er unterhalte sich wunderbar mit den Bürgern hier, sagt Wulff in Wittenberg. Weiter befeuern will er die Debatte nicht: „Ich glaube, ich habe dazu alles gesagt.“
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