Wie aus Brandstiftern Staatsfeinde wurden
Das Ganze macht anfangs mehr den Eindruck eines Happenings als eines Strafprozesses. Auffällig gut gelaunt sitzen die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein im Gerichtssaal. Sie sollen am 2. April in Frankfurt drei Brände in zwei Kaufhäusern gelegt haben. Von Josef Karg
Augsburg Das Ganze macht anfangs mehr den Eindruck eines Happenings als eines Strafprozesses. Auffällig gut gelaunt sitzen die Angeklagten Andreas Baader, seine Freundin Gudrun Ensslin sowie Thorwald Proll und Horst Söhnlein im Gerichtssaal. Einer pafft eine Zigarre im Stile von Che Guevara. Baader und Ensslin schäkern. Gemeinsam verhöhnen sie Richter und Staatsanwalt. Als Journalistin mit dabei - Ulrike Meinhof. Sie hat Sympathie für die Angeklagten und Verständnis für deren, wie sie meint, Protest gegen den Vietnam-Krieg der USA.
Baader und Co. sollen am 2. April in Frankfurt am Main drei Brände in zwei Kaufhäusern gelegt haben. Der Sachschaden belief sich insgesamt auf rund 675 000 Mark. Menschen wurden bei den Straftaten nicht verletzt. Im Oktober 1968 stehen die vier Verdächtigen vor Gericht. Es sind nicht die ersten Brandanschläge dieser Zeit, bei weitem nicht die schlimmsten, vielleicht aber die folgenreichsten.
Nach der Erschießung des Berliner Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizisten am 2. Juni 1967 bei Demonstrationen gegen den Schah hatte sich ein Teil der Studentenbewegung radikalisiert. "Gewalt gegen Sachen" galt in ihrem Kreis als legitimes Mittel des politischen Protests, Kapitalismus war ein Schimpfwort. Dessen Symbole wollten die jungen Revoluzzer zerstören.
Nur wenige Tage vor Beginn des Gerichtsverfahrens gegen den gebürtigen Münchner Baader und die Tuttlinger Pfarrerstochter Ensslin war ein Prozess gegen die Berliner Kommune 1 wegen Aufforderung zur Brandstiftung in zwei Flugblättern zu Ende gegangen (siehe eigenen Artikel). Die Urheber Rainer Langhans und Fritz Teufel wurden freigesprochen.
Plastikflaschen und Reisewecker
Baader und Ensslin beließen es nicht bei Worten. Gemeinsam mit ihren Freunden Thorwald Proll aus Berlin und Horst Söhnlein aus München fuhren sie nach Frankfurt - im Gepäck Brandsätze aus mit Benzin gefüllten Kunststoffflaschen, selbst gemischten Sprengstoff und Zündern aus Batterien und Reiseweckern. Im "Kaufhaus Schneider" und im Kaufhof an der Zeil deponierten sie "Bomben" beispielsweise auf einem Schrank in der Damenoberbekleidungs-Abteilung.
Die Zeitzünder waren auf Mitternacht gestellt. Doch die Aktion misslang. Die Feuerwehr konnte die Brände innerhalb kürzester Zeit löschen, der Sachschaden entstand hauptsächlich durch Löschwasser. Auch die mutmaßlichen Täter waren schnell gefasst. Bereits am 3. April erhielt die Frankfurter Polizei einen konkreten Hinweis. Wer die Brandsätze gelegt hatte, konnte allerdings auch im späteren Prozess nicht zweifelsfrei geklärt werden.
Das vergleichsweise harte Urteil für die Kaufhausbrandstifter lautete trotzdem: je drei Jahre Zuchthaus. Die Angeklagten empfanden den Richterspruch als staatliche Willkür, obwohl der Vorsitzende Richter ihnen "eine gewisse politische Motivation" zugestand. Gudrun Ensslin hatte auf ein Schlusswort verzichtet. "Nein, ich will Ihnen nicht die Gelegenheit geben, den Eindruck zu erwecken, als hörten Sie mir zu." Meinhof kommentierte die Urteile in einer Kolumne der Zeitschrift konkret so: ". . . es ist noch besser, ein Warenhaus anzuzünden als eines zu betreiben." War dieses Urteil die Initialzündung für die Gründung der späteren Rote Armee Fraktion (RAF)? Thorwald Proll meint "nein". Die Brandanschläge seien nur symbolische Aktionen gegen Napalm-Brandbomben der USA in Vietnam.
Der Politologe und frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Professor Gerd Languth sieht indes durchaus Verbindungslinien zur RAF: "Die immer mehr einsetzende Diskussion zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen führte zu einer Enttabuisierung der Gewalt."
Tatsache ist, dass die Rechtsanwälte der Brandstifter von Frankfurt Revision gegen das Urteil einlegten. Und 14 Monate nach der Verhaftung wurden Baader und Komplizen unter Auflagen bis zur Entscheidung über die Revision auf freien Fuß gesetzt. Als die Revision verworfen wurde, tauchten Baader, Ensslin und Proll unter. Sie flohen zunächst nach Paris. Nur Horst Söhnlein trat seine Haftstrafe an. Später trennte sich auch Proll von der Gruppe und stellte sich der Staatsanwaltschaft.
Baader und Ensslin flohen weiter nach Italien. 1970 kehrte Baader nach Deutschland zurück und wurde prompt verhaftet. Seine Freundin und Meinhof organisierten seine Befreiung in Berlin. Die geglückte Flucht und Ulrike Meinhofs Schritt in die Illegalität am 14. Mai 1970 gilt bis heute als Geburtsstunde der Rote Armee Fraktion oder Baader-Meinhof-Bande, wie sie zunächst genannt wurde.
Von nun an wurde nicht mehr nach einzelnen Personen, sondern nach einer terroristischen Vereinigung gefahndet. Ulrike Meinhof formulierte es so: "Die RAF war entstanden aus der Konkursmasse der Studentenbewegung." Die Terrorvereinigung wurde in den Folgejahren zum Staatsfeind Nr. 1.
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