Ein unglaublicher Verdacht: Wird Merkels Handy abgehört?
Haben amerikanische Nachrichtendienste Merkels Handy abgehört? Dass der deutsche Außenminister den US-Botschafter einbestellt, deutet auf größere diplomatische Verwerfungen hin.
„Unter Freunden spioniert man nicht.“ Hansjörg Geiger war Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes. Er hat nach dem Mauerfall die Stasi-Unterlagenbehörde mit aufgebaut und ein feines Gespür dafür, was sich in der Welt der Geheimdienste gehört und was nicht. Das Handy der deutschen Kanzlerin abzuhören, wie es amerikanische Dienste offenbar getan haben, fällt für den 70-Jährigen eindeutig in die zweite Kategorie. Was da jetzt ans Licht komme, sagt Geiger im Gespräch mit unserer Zeitung, sei „zutiefst verstörend“.
"Was die NSA kann, das macht sie auch"
Seit langem kämpft der gelernte Jurist aus dem Allgäu für strengere Kontrollen und eine Art Ehrenkodex unter den Nachrichtendiensten befreundeter Länder. Im Moment, klagt er, heilige der Zweck die Mittel: „Was die NSA kann, das macht sie auch.“ Wie Dienste an ihre Erkenntnisse kämen, interessiere die amerikanische Administration nicht sonderlich. „Sie ist nur an den Ergebnissen interessiert.“ Geiger schlägt deshalb einen Vertrag zwischen den Nato-Staaten vor, in dem diese sich wechselseitig verpflichten, kein anderes Land der Allianz auszuspionieren: „Und das müsste dann nicht nur für die jeweiligen Regierungen gelten, sondern auch für die Bürger und die Unternehmen der einzelnen Länder.“
Empörung über den Lauschangriff des US-Geheimdienstes
Der Weg dahin ist allerdings weit. Bisher ist das politische Berlin noch vollauf mit den aktuellen Verwicklungen beschäftigt. „Der neue Verdacht“, sagt die scheidende Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, „sprengt alle Dimensionen.“ Innenminister Hans-Peter Friedrich, sonst eher zurückhaltend in solchen Fragen, spricht von einem „schweren Vertrauensbruch“ und hält eine Entschuldigung aus Washington für überfällig. Außenminister Guido Westerwelle bestellte gestern sogar den neuen US-Botschafter in Berlin, John B. Emerson, ein – in der feinen Welt der Diplomatie ein Zeichen äußersten Missfallens. Sogar die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat sich mittlerweile eingeschaltet.
Rote Linie überschritten
Was Angela Merkel US-Präsident Barack Obama am Mittwoch am Telefon genau gesagt hat, wissen vermutlich nur die beiden selbst. Die ungewohnt scharfen Reaktionen aus der Bundesregierung lassen allerdings den Rückschluss zu, dass auch für die Regierungschefin diesmal eine der berühmten roten Linien überschritten ist.
Nur wenige Monate, nachdem Kanzleramtsminister Ronald Pofalla die Spionageaffäre für beendet und aufgearbeitet erklärt hatte, geht es plötzlich nicht mehr um Millionen anonymer Telefon- und Internetverbindungen, die US-Dienste absaugen, sondern um ein Handy der Kanzlerin, das möglicherweise abgehört wurde. Dabei hatte Obama bei seinem Deutschlandbesuch im Juni noch gesagt: „Wenn ich wissen will, was Kanzlerin Merkel denkt, dann rufe ich Kanzlerin Merkel an.“
Merkels Handynummer in den Dokumenten von Snowden
Nach Informationen der Deutschen Presseagentur haben amerikanische Dienste vermutlich nicht nur Kurzmitteilungen mitgelesen, die sie schreibt, sondern auch Telefonate mitgehört. Die Regierungschefin ist bekannt dafür, dass sie buchstäblich mit dem Mobiltelefon regiert und täglich Dutzende von SMS-Nachrichten verschickt. Wie die Tageszeitung Die Welt berichtet, taucht eine alte Handynummer von ihr auch in den Dokumenten des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden auf, deren Veröffentlichung den Spionageskandal ausgelöst hat.
Angeblich soll es sich dabei um ein Gerät der Marke Nokia gehandelt haben, das Angela Merkel von Oktober 2009 bis Juli diesen Jahres benutzt habe. Ob es tatsächlich das Diensthandy der Kanzlerin war, ist unklar. Angeblich gibt es noch ein zweites, nicht gesichertes Smartphone, das Angela Merkel als CDU-Vorsitzende nutzt.
Verfassungsschützer: Richtige Balance beim Thema Sicherheit ist wichtig
Für Männer vom Fach wie den früheren Verfassungsschützer Geiger spielt das allerdings nicht die entscheidende Rolle. Sie stellen grundsätzlichere Fragen – zum Beispiel die, ob die Aufsichtsbehörden in den USA den Geheimdiensten tatsächlich genau auf die Finger sehen oder ob sie deren Tun nur stillschweigend dulden. Schon im Sommer hatte die Kanzlerin Obama aufgefordert, auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu achten. Deutschland schätze die Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit, sagte sie damals. Über die richtige Balance sei aber zu reden.
Nun ist es Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der die Dinge auf den Punkt bringt. Er fürchte schon seit Jahren, dass sein Handy abgehört werde, gesteht er. „Allerdings habe ich nicht mit den Amerikanern gerechnet.“
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