Lauschangriff auf el-Masris Anwalt war unzulässig
Die Telefon-Überwachung des Ulmer Rechtsanwalts, der das Geheimdienst-Entführungsopfer Khaled el-Masri verteidigt, war unzulässig. Das Bundesverfassungsgericht gab der Beschwerde von Manfred Gnjidic gegen die Entscheidungen des Amts- und Landgerichtes München statt. Von Peter Stöferle
Der "Lauschangriff" auf die Kanzlei sowie die Handys von Gnjidic und seiner Frau sei "unverhältnismäßig" gewesen und verletze den Anwalt in seiner Berufsausübungsfreiheit. Der "Eingriff in das Fernmeldegeheimnis ist nicht gerechtfertigt", teilte das Karlsruher Gericht am Mittwoch mit.
Gnjidic zeigte sich sehr froh über den Beschluss: "Für mich war klar, dass so etwas verfassungswidrig ist. In dieser Form geht das nicht", sagte der Anwalt gegenüber unserer Zeitung. Es sei allerdings "furchtbar", dass das Karlsruher Gericht überhaupt darüber zu entscheiden gehabt habe: Immerhin hätten zwei Münchner Richter die Überwachungs-Anträge der Staatsanwaltschaft München I unterschrieben, "obwohl es Richter gab, die das zwischendurch korrigiert hatten".
Die offenbar niedrige Schwelle zur Anordnung der Telefonüberwachung zeige, "dass die Verfassung richtig heftig angegriffen wird; wir erleben das ja fast jeden Tag." Gnjidic hält den Karlsruher Beschluss auch aus Gründen des Berufs- und Mandantenschutzes für wichtig: "Ein Anwalt ist keine öffentliche Kontaktperson, die man einfach anzapfen darf."
Die Überwachung war am 11. Januar 2006 vom Amtsgericht München angeordnet worden und dauerte bis 13. Juni 2006 - ein halbes Jahr. Die Gerichte begründeten die heimliche Überwachung damit, dass man gehofft habe, dass sich die mutmaßlichen Entführer des Neu-Ulmer Deutschlibanesen el-Masri bei dem Anwalt melden würden, um eine "Lösung des Falles" zu diskutieren, der in Medien und Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit fand - im Klartext: dass sie zum Beispiel ein "Schweigegeld" anbieten und sich so offenbaren würden.
Als Entführer gilt der US-Geheimdienst CIA; auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestages kam zu keinem anderen Ergebnis. El-Masri war am Silvestertag 2003 beim Grenzübertritt nach Mazedonien festgenommen, zunächst in einem Hotel festgehalten und dann offenbar in ein geheimes US-Gefängnis ("Salt Pit") nahe der afghanischen Hauptstadt Kabul ausgeflogen worden.
Dort ist er nach seinen Angaben gefoltert und vernommen worden, unter anderem nach seinen Beziehungen zu dem inzwischen vom Freistaat geschlossenen Neu-Ulmer "Multikulturhaus" und Kontakten zu dort verkehrenden Islamisten. Im Mai 2004 wurde el-Masri freigelassen; die Bundesregierung erfuhr nach eigener Darstellung erst hinterher von der Entführung.
Das Bundesverfassungsgericht räumte zwar ein, dass der "Lauschangriff" dem legitimen öffentlichen Zweck der Aufklärung und Verfolgung einer schweren Straftaten gedient habe, der Eingriff in die Grundrechte sei aber "unverhältnismäßig" gewesen. Das Gericht ließ in der Begründung offen, ob eine Telefonüberwachung überhaupt ein "geeignetes Mittel zur Ermittlung der Täter" war und ob es andere, bessere Mittel gegeben haben könnte.
Die Karlsruher Richter verwiesen in dem einstimmigen Beschluss darauf, dass sich eine Telefonüberwachung "nur gegen solche Nichtbeschuldigte richten" dürfe, von denen "anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt". Dafür hätten aber die Anhaltspunkte gefehlt, und der Hinweis der Ermittler auf das "Medieninteresse" sei "zu unbestimmt", zumal über den Fall bereits seit Anfang 2005 in den Zeitungen berichtet worden sei. "Jedenfalls war die Wahrscheinlichkeit, der Beschwerdeführer werde von dem oder den Tätern kontaktiert werden, als äußerst gering zu bewerten und vermochte - gerade mit Blick auf die seit der Tat verstrichene Zeit - keinesfalls die vorgenommenen schwerwiegenden Eingriffe in die Grundrechte des Beschwerdeführers zu rechtfertigen", heißt es im Beschluss.
Gnjidic verwies gegenüber unserer Zeitung auf das "zeitliche Zusammentreffen" der Telefonüberwachung mit den ersten öffentlichen Hinweisen auf eine Person namens "Sam", die el-Masri in dem Gefängnis in Afghanistan besucht habe und ihn auf dem Flug zurück begleitet habe. Es habe sich um einen deutsch sprechenden Mann gehandelt; ob er für einen deutschen Nachrichtendienst oder für die CIA tätig war, ist unklar. Wäre "Sam" in deutschen Diensten gestanden, wäre dies der Beleg dafür, dass die damalige rot-grüne Bundesregierung nicht - wie von ihrem Innenminister Otto Schily (SPD) behauptet - erst nach der Freilassung el-Masris von der Entführung erfahren hat. Um wen es sich bei "Sam" tatsächlich handelte, weiß auch der Geheimdienste-Untersuchungsausschuss des Bundestages nicht.
Das bayerische Justizministerium, an dessen Spitze die frühere Neu-Ulmer Oberbürgermeisterin Beate Merk (CSU) steht, hatte die Verfassungsbeschwerde Gnjidics als unbegründet bezeichnet. Der Richter, der die Telefonüberwachung angeordnet hatte, habe seinen Ermittlungsspielraum nicht überschritten. Das Amtsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass auf Grund der ab Ende 2005/Anfang 2006 zunehmenden Medienberichterstattung der im In- und Ausland bekannte Beschwerdeführer aus dem Kreis der für die Straftat verantwortlichen Personen kontaktiert werden könnte, etwa um ihn einzuschüchtern und zu bedrohen oder aber um eine "stille Lösung" des Falls anzubieten, argumentierte das Justizministerium. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Ermittlung der Täter sei nicht ersichtlich.
Dagegen verwiesen die Verfassungsrichter darauf, dass die Überwachung "den Schutzbereich des Grundrechts" berühre, das dem Rechtsanwalt "eine von staatlicher Kontrolle und Bevormundung freie Berufsausübung gewährleistet und dazu insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant schützt". Überdies sei es "immanent, dass bei Abhörmaßnahmen auch Unbeteiligte betroffen" werden.
Gnjidic betonte, die Staatsanwaltschaft habe ihm hinterher die Überwachung "bekanntgegeben; nur deshalb konnte ich mich ja dagegen wehren." Für ihn sei nun die Frage: "Wenn schon die Staatsanwaltschaft abhört - was macht dann der Geheimdienst? Da gibt niemand etwas hinterher bekannt; da kann ich mich nicht dagegen wehren." (Az.: 2 BvR 2151/06).
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