Wahlforscher Faas: „Die Wahl verschafft Merkel Luft“
Warum Thorsten Faas glaubt, dass die SPD nach der Hessen-Wahl in der schwierigeren Lage ist als die CDU. Er sagt auch, wie es mit der Groko weitergehen könnte.
Herr Faas, immer wieder war davon die Rede, dass die Hessen-Wahl eine Schicksalswahl sei. Was hat denn nun das Schicksal gesprochen?
Thorsten Faas: Ach, Schicksal ist ein großes Wort. Aber wenn man sich die Verluste anschaut – gerade eben bezogen auf die Parteien der GroKo –, dann bekunden die hessischen Wähler schon sehr klar ihr Misstrauen.
Bis zu dieser Wahl war parteiintern Stillhalten verordnet. Werden jetzt die Messer gewetzt?
Faas: Andrea Nahles hat eine deutliche Drohung an die GroKo ausgesprochen – aber diese Botschaft ging natürlich auch an die SPD selbst. Diese Botschaft signalisiert auch: Wir lassen uns das nicht länger bieten. Ob es klappt, ist eine andere Frage. Ansonsten wird es für die beiden Spitzenpersonen der SPD in Bayern und Hessen jetzt sicherlich schwer. Im Falle Schäfer-Gümbels ist das fast schon tragisch, weil man ihm eigentlich einen guten sozialdemokratischen Wahlkampf attestiert hat. Aber irgendwie scheint es so ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, dass man maximal drei Versuche bekommt als Herausforderer, und die hat er nun mal gehabt.
Es hieß: Kippt Bouffier, stürzt Merkel. Bouffier ist nicht gekippt. Was passiert mit Merkel?
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Faas: Sie kippt nicht. Ihr verschafft die Wahl zumindest Luft. Aber natürlich bleibt auch die Situation in der Union angespannt. Es ist allen klar, dass die letzte Legislaturperiode Merkels läuft. Wenn das aber klar ist, fangen Leute an, mit den Hufen zu scharren. Dass man Jens Spahn plötzlich an einem solchen Wahlabend kommentierend im Fernsehen sieht, kann Zufall sein, muss aber nicht.
Würde es der SPD helfen, wenn sie die Große Koalition im Bund verlässt?
Faas: Wenn das so einfach wäre. Die SPD ist in einem echten Dilemma, angefangen beim Punkt, dass sie sich eigentlich derzeit gar keinen Wahlkampf finanziell leisten kann. Raus aus der GroKo würde wohl auch heißen, dass es für Nahles und Olaf Scholz schwierig werden würde. Mit Personalwechseln an der Spitze haben die Sozialdemokraten aber bestenfalls gemischte Erfahrungen gemacht. Es gibt keine einfache Lösung für die SPD gerade.
Den Volksparteien läuft das Volk davon – ist die Hessen-Wahl ein weiterer Schritt in diesen Abgrund?
Faas: Das ist mir zu einfach und für einen fundamentalen strukturellen Wandel wie „das Ende der Volksparteien“ sehen wir auch zu viel sehr kurzfristige Dynamik. Wir sehen vielmehr große Unzufriedenheit mit den die GroKo bildenden Parteien.
Hadern die Wähler also nur mit den Regierenden oder mit der Gesellschaftsordnung, auf der das Land fußt?
Faas: Manchmal entsteht der Eindruck, als stünde unsere Demokratie kurz vor dem Ende. Natürlich sind die Werte, die an den politischen Rändern erzielt werden, auch besorgniserregend, gerade in Ostdeutschland. Trotzdem sind 10 Prozent eben 10 Prozent und nicht 100 Prozent. Diesen Eindruck sollte man nicht erwecken. Eine Entwicklung ist damit aber verbunden, die unserer parlamentarischen Demokratie Probleme bereitet. Koalitionen zu bilden, ist unglaublich komplex geworden, Hessen hat es wieder einmal gezeigt. Damit können Parteien und Wähler noch nicht gut umgehen.
Zur Person Thorsten Faas, 43, ist Wahlforscher und Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.
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