Was die Erfahrung mit HIV für die Corona-Pandemie lehrt
Wolfgang Schramm hat als Wissenschaftler die HIV-Pandemie erlebt. Er sagt: Die damals gefundene Lösung könnte auch gegen Corona helfen.
Seit nunmehr zwei Jahren wütet die Corona-Pandemie in der Welt. Das Virus hat unser Leben nachhaltig auf den Kopf gestellt. Doch immer wieder hat es in der Geschichte der Menschheit Virus-Infektionen gegeben, die ebenfalls großen Einfluss hatten. Das HI-Virus, das in den 1980er Jahren aufkam, ist so eine Infektion. Der emeritierte Professor Wolfgang Schramm war viele Jahrzehnte als Hämatologe tätig und hat an der Ludwig-Maximilian-Universität München geforscht und gelehrt. Er kann sich noch gut an jene Zeiten erinnern, in denen AIDS vielen Menschen zu einem Synonym für Angst und Schrecken wurde. Und wie die Politik mit aus seiner Sicht überzogenen Reaktionen agierte. Weshalb er Parallelen zu heute ziehen kann.
„Ich betreute Bluter-Erkrankte seit Anfang der Siebzigerjahre“, blickt der Oettinger zurück. Etwa 1981 habe es erste Hinweise auf die Immunschwäche AIDS gegeben. „Schon bei der Spanischen Grippe stand auch die Frage im Mittelpunkt: Wer ist schuld?“ Anders als der deutsche Name der tödlichen Seuche der Jahre 1918 bis 1920 suggeriert, kam die Spanische Grippe, wie man heute weiß, aus einem US-Militärlager in den Vereinigten Staaten.
Gauweiler und Strauß reagierten mit "Law and Order"
„Auch bei HIV wurde diese Frage gestellt“, erinnert sich Prof. Schramm. Damals habe man – letztlich natürlich durchaus diskriminierend – von einer 4-H-Erkrankung gesprochen: „Homosexuelle, Heroin, Haitianer, Hämophile.“ Die Politik reagierte damals mit einem Maßnahmenkatalog, in dem es darum ging, Menschen zu separieren, von denen eine Gefahr ausgehe. Schramm erinnert sich in diesem Zusammenhang an den CSU-Politiker Peter Gauweiler, von 1982 bis 1986 Leiter des Kreisverwaltungsreferates München und danach unter Franz Josef Strauß Staatssekretär im bayerischen Innenministerium. Gauweiler stand damals wie kaum ein anderer für „Law and Order“. Das habe eine gewisse Stimmung erzeugt. „Bluterkinder, die ich damals betreute, wurden von ihren Schulen verwiesen.“ Dabei sei die Gefahr, die von diesen Kindern ausging, ja kaum der Rede wert gewesen. „Ich rief damals die Schuldirektoren an, machte mich mit Kollegen stark gegen den Maßnahmenkatalog.“ Auch damals hatte es exponentielle Hochrechnungen gegeben, bei denen die Kurven in erschreckender Weise „durch die Decke“ gingen.
Können Proteasehemmer das Virus direkt abtöten?
Heute erlebe Prof. Schramm angesichts der Ereignisse eine Art Déjà-vu. Es fehle Augenmaß und eine gewisse Ruhe in der Kommunikation. „Schon bei HIV hatte man gesagt: Es muss ein Impfstoff her.“ Doch wie sich herausgestellt habe, sei das wegen der hohen Mutationsrate ein Irrgedanke gewesen. Bis heute gibt es keinen Impfstoff gegen HIV. Vielleicht komme dieser nun mit den modernen m-RNA-Verfahren, meint Schramm. „Wir müssen uns erlauben, in Ruhe auch in andere Richtungen zu denken“, so der 78-Jährige. „Wir brauchen neben einem glücklicherweise verfügbaren Impfstoff auch einen Weg, das Virus direkt abzutöten.“ Oder zumindest durch Hemmung zu inaktivieren – mittels sogenannter Proteasehemmer. Das sei letztlich der Königsweg bei HIV geworden – um der Infektion seine tödlichen Konsequenzen zu nehmen.
Schramm wünscht sich, diese Parallelen zu früher zumindest mehr in den Blick zu rücken, um auf breiterer Ebene gegen das Coronavirus vorzugehen. Und durch wissenschaftliche Kooperation für künftige Infektionen und Pandemien besser gerüstet zu sein.
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