Das Triage-Urteil des Verfassungsgerichts ist ein klarer Auftrag an die Politik
Durch Corona droht eine Triage in den Kliniken. Das Bundesverfassungsgericht verlangt dafür klare Regeln. Das Urteil zwingt die Politik, endlich zu handeln.
Es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die in dieser Klarheit nicht erwartet worden war. Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen. Kein Wenn, kein Aber. Die Politik ist jetzt gefordert, sich Gedanken zu machen und zu handeln. Und zwar zügig, denn die in Karlsruhe verhandelten Fallbeispiele können jederzeit eintreten.
Das Gericht hat es SPD, Grünen und FDP einfach gemacht und bereits einige Lösungsansätze in seine Entscheidung geschrieben. Leicht ist die Aufgabe deswegen nicht, aber sie ist lösbar. Die Regierungsparteien können dabei auf enorme Ressourcen zurückgreifen, den Ethik-Rat und andere Institutionen befragen.
Zu denken gibt die Motivation, die hinter der Beschwerde von Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen steht. Es besteht bei ihnen, und das muss nichtbehinderte und gesunde Menschen tief betroffen machen, offenbar ein Misstrauen gegen Ärzteschaft und Gesetzgeber.
Die Triage-Regeln greifen nicht nur in der Corona-Pandemie
Es ist die Angst von Patientinnen und Patienten, dass sie im Stich gelassen werden, wenn im Notfall ein vermeintlich Leistungsfähigerer neben ihnen liegt. Man muss und sollte in diesem Fall nicht die unheilvolle jüngere deutsche Geschichte bemühen. Die Angst ist jetzt da und sie muss den Betroffenen jetzt genommen werden.
Die Politik darf sich bei der Gesetzgebung nicht nur auf die Corona-Pandemie beschränken. In Notfällen, beispielsweise bei Verkehrsunfällen mit Dutzenden Toten und Verletzten, mussten Ärzteschaft und Pflegepersonal schon immer Entscheidungen über Leben und Tod treffen, bei denen sie schlimmstenfalls auf sich allein gestellt waren. Ein paar fein austarierte Leitlinien könnten ihnen die Triage in Zukunft leichter machen.
Zu wenig Intensivbetten: Die Politik hat bereits vor Corona versagt
Am Ende steht indes eine Erkenntnis, die leider nicht neu ist, die im Lichte der Karlsruher Entscheidung aber erneut wütend macht. Würde es genügend Intensiv-Betten und Personal in den Krankenhäusern geben, müsste niemand Angst haben, in einer Triage aussortiert zu werden. Für plötzliche extreme Notlagen wie einen Flugzeugabsturz mag das nicht gelten. Die Pandemie jedoch wütet schon seit zwei Jahren. Es war genug Zeit, die nötigen Kapazitäten zu schaffen. Das Gegenteil ist passiert: Intensivplätze wurden abgebaut, das medizinische Personal ist völlig erschöpft und kündigt scharenweise.
Die Politik hat hier schon vor Corona versagt, sie hat während der Pandemie nicht gehandelt. Vielleicht hilft die Karlsruher Entscheidung dabei, dass jetzt endlich etwas passiert.
Die Diskussion ist geschlossen.
An alle, die hier Zweifel haben: ich möchte den Fall wirklich ein einziges Mal !! erleben, dass Menschen mit Behinderung in der Praxis bei der Teilhabe bevorzugt würden. Dann könnte ich Ihre Bedenken nachvollziehen. Es geht immer nur um den verfassungsmäßigen Auftrag, Benachteiligungen zu verhindern, und es ist schlimm, wie regelmäßig der Artikel 3 allerorten bemüht werden muss und wie wichtig er für unser Land ist.
Das stimmt schon. Trotzdem ist meiner Meinung nach die Diskussion völlig überflüssig. Bei der Triage ist es völlig egal, ob einer behindert ist, wie alt er ist, ob er Männlein oder Weiblein ist. Die einzig entscheidende Tatsache ist die, wie groß die Überlebenschancen sind, sonst nichts. In diesem Punkt muss ich Jochen H. recht geben. Warum sollte ein schwerstverletzter Behinderter da bevorzugt werden. Er darf natürlich aufgrund seiner Behinderung nicht benachteiligt werden, das ist klar! Als nächstes klagt dann ein Hochbetagter, weil er fürchtet, benachteiligt zu werden.
Das ganze Gerede über die Triage ist nichts anderes als Angstmacherei gegenüber den Impfskeptikern!
Triage gab es bisher in Deutschland nur im Krieg und da ist die Entscheidungsfindung ganz klar:
Derjenige mit den besten Überlebenschancen wird als Erstes behandelt, hoffnungslose Fälle werden
(leider) hintenangestellt.
"Triage gab es bisher in Deutschland nur im Krieg". Dem ist nicht so. Bei jedem größeren Unfall kann es vorkommen, dass es mehr Verletzte als Helfer gibt. Hier müssen die Helfer entsheiden, wem sie zuerst helfen. In meiner Studentzeit ist es mir passiert, dass ich mit 2 Medizinstudentinnen auf einer einsamen Landstraße einen umgestürtzten R4 sahen. 4 Personen lagen mehr oder weniger verletzt um das Auto herum. Ohne Handy, die gab es damals noch nicht, fuhr eine mit dem Auto zum nächsten Telefon, um Hilfe zu holen. Wir bemühten uns nach Kräften um die beiden, die unserer Meinung nach am Schwersten verletzt waren (Triage!). Als ich dann einen Arm unter dem R4 sich bewegen sah, haben wir versucht, den umgestürzten R4 wieder auf die Räder zu stellen. Dabei fanden wir 2 weitere Personen. Soweit wir konnten leisteten wir erste Hilfe. Krankenwagen und Polizei kamen etwa 30 Minuten später. Triage findet tagtäglich auf unseren Straßen bei schweren Unfällen und zu wenig Ersthelfern statt. Für uns, die wir erst später im Studium auf einen Massenanfall von Verletzten vorbereitet wurden, ging das an die Grenze der psychischen Belastung. Einige unserer Kommilitonen lehnten derartiges ab, weil es ihrer Meinung der Vorbereitung eines Krieges dienen würde.
Ich bin schockiert, wenn ich mir so manche Kommentare durchlese und muss feststellen, dass aus der Geschichte absolut nichts gelernt wurde.
Was steht im Artikel 3/Absatz 3 im Grundgesetz?
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Denkt eine/r tatsächlich im Ernst, dass dieser Satz ohne Grund darin steht?
Nein, die Verfasser des Grundgesetzes haben sich dabei etwas gedacht, weil sie die Verbrechen im Dritten Reich immer noch im Hinterkopf hatten
Für alle, die damals in Geschichte nicht aufgepasst haben und nicht wissen, was unter dem Euthanasie-Programm der Nazis zu verstehen ist, habe ich eine interessante Lektüre für Euch. Passenderweise vom Deutschen Bundestag:
https://www.bundestag.de/resource/blob/488084/d91b41cac0fd7945180acbccc27454b6/euthanasie-morde-im-nationalsozialismus-data.pdf
Menschen mit Behinderungen wurden ermordet, weil sie in den Augen der Nazis nicht lebenswert waren.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass das Bundesverfassungsgericht in aller Deutlichkeit so entschieden hat, auch wenn es keine andere Wahl hatte.
@Jochen S. und Maja S.
Ich sehe es zum Beispiel nicht ein, dass ein Behinderter, der sich hat impfen lassen und alles Erdenkliche dafür getan hat, sich zu schützen, gegenüber einem nicht behinderten Impfverweigerer benachteiligt werden soll, wenn es zu einer Triage kommt. Ich kann das Netz weiterspinnen und sagen, dass der nichtbehinderte Impfverweigerer keine Intensivbehandlung benötigt, weil er keine Vorerkrankungen hat und es schon schaffen wird.
Ich bin echt gespannt, wie das Gesetz ausfallen wird. Ich hoffe, der Impfstatus wird eine Rolle spielen und Impfverweigerer dürfen benachteiligt werden.
In diesem Sinne
Wie Sie richtig ausführen, steht das was jetzt angeblich noch extra geregelt werden muss, bereits im Grundgesetz. Wie kommt das BVerfG darauf, dass die Ärzteschaft gegen dieses zu verstoßen gedenk? Was für eine Meinung hat es von dieser und welche haben Sie Athanassios.
Ich finde es erschütternd, wenn Sie im Zusammenhang mit notwendigen Triageentscheidungen, die sich die Ärzte abringen, mit der Euthanasie der Nazis daherkommen.
Und wie gesagt - nicht benachteiligt werden heißt aber keinesfalls bevorzugt zu werden.
Dazu auch lesenswert:
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/irritierender-triage-beschluss-vom-bundesverfassungsgericht-17704683.html
Ich persönlich sehe nicht ein ,dass ich zurückstehen soll als Person ohne gesundheitliche Vorschäden für Intensivbehandlung gegenüber einer Person mit erheblichen Vorschäden/Behinderungen und geringer Chance auf Heilung als ich. Das kommt einer ungerechtfertigten Bevorzugung aller Schwerstvorgeschädigten gegen Normalbürgern bei der Krankenversorgung gleich. Hier geht die vorgeschriebene Nächstenliebe entschieden zu weit.
Jetzt schieb mal hier keine Panik Jochen. Wenn die Kaspxr der Regierung endlich in die Puschen kommen und reparieren was Mama Merkel die letzten 16 Jahre im Gesundheitssystem verpennt und verbockt hat, gibt es wieder mehr Pflegekräfte und damit mehr intensiv Betten. Vergleich mal die Zahlen der Betten früher und jetzt und die Gründe dazu. Bis dahint wirst schon nicht den Löffel abgeben und dich gegenüber Schwächeren vordrängen müssen.
Alleine im Stadtgebiet Augsburg sind derzeit von ca. 140 Intensivbetten über 20 Betten frei und ca. 21 mit Corona Patienten belegt. Also keine Panik.
Wahnsinn wie in diesem Land der Liege mit dem Handtuch Reservierer sofort Panik ausbricht und diese zum Dauerzustand wird. Das ist wirklich befremdlich. Das muss wieder normal wie früher werden. Dazu braucht es aber auch normale Politiker, die nicht von der Panik leben und in der Rolle des Krisen Managers aufgehen.
@Maja S.
Wenn Sie die verschiedenen Berichte und/oder auch die Auforderung! des BGH lesen würden, müssten Sie keinen Kommentar abgegeben. aber Hauptsache geschrieben und sich vermeintlich in den Vordergrund gerückt. Ganz nach dem Motto "Wissen von anderen wird über interpretiert"
Meinen Sie mit dem BGH das Bundesverfassungsgericht?
Ist es nicht einfach so, dass die Triage eine knallharte Abwägung von Überlebenschancen verlangt? Und wenn ein Behinderter aufgrund seiner Behinderung eine schlechtere Überlebenschance hat als ein gleich kranker Nichtbehinderter, dann wäre es eine Diskriminierung des Nichtbehinderten und eine sachfremde Erwägung zugunsten des Behinderten, wenn ihm die vorhandene Kapazität zugesprochen würde.
Es gibt keine wirklich humane Entscheidung bei einer Triage, weil man sich immer gegen eine hilfebedürftige Person entscheiden muss. Man kann aber bei einer Entscheidung auf Leben und Tod nicht auf einen Schwerbehindertenstatus abstellen, wie bei der Besetzung einer Stelle. Und deshalb ist die Entscheidung darüber und das soll ja nun offenbar mittels Gesetz geregelt werden, im Parlament falsch aufgehoben. Denn wie es mit der Überlebenswahrscheinlichkeit steht, kann nun mal kein Politiker entscheiden.
Ist es nicht einfach so,
dass Sie sich im ersten und zweiten Absatz selbst widersprechen bzw. "Fishing for Compliments" betreiben?
Ich muss ihnen da wiedersprechen, der Punkt ist in meinen Augen sehr wohl im Parlament gut aufgehoben. Die Divi (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) u. a. hat "Klinisch-ethische Empfehlungen" erarbeitet bezüglich der Triage - aber mehr als "Empfehlungen" kann sie auch nicht liefern. Es ist am Gesetzgeber über diese von Fachleuten erarbeiten Hinweise zu befinden und den Vorgang einen rechlichen Rahmen zu geben.
@Thomas Fassnacht
Die Politiker werden doch auch nichts anderes tun können als auf die Meinungen und Ratschläge eines Expertengremiums zurückzugreifen. Habe die DIVI-Empfehlungen gelesen und finde sie durchaus tragfähig. Und man sollte noch folgendes bedenken: Ein Gesetz versucht immer für viele Fälle allgemeingültige Regeln aufzustellen, bleibt damit im Regelfall - für den Einzelfall - unbestimmt. Das ist oft nicht schlimm, weil sich Entscheidungen überprüfen lassen, ob sie im Einklang mit dem Gesetz sind. Für die Triage jedoch ist das nicht möglich und wer in einem kniffligen Fall eine Entscheidung trifft, könnte sich hinterher als Angeklagter wiederfinden. Das wird die Entscheidungsfindung nicht unbedingt erleichtern.