Präsident Selenskyj drängt auf einen raschen Beitritt. Tatsächlich ist seinLand davon weiter entfernt als andere Kandidaten. Wer aber sagt ihm das so deutlich?
Er wurde empfangen wie ein König und kam doch als Bittsteller. Von den Ovationen, mit denen die Abgeordneten des Europaparlaments ihn in dieser Woche gefeiert haben, sollte Wolodymyr Selenskyj sich nicht täuschen lassen. Der ukrainische Präsident sähe sein Land zwar lieber heute als morgen in der Europäischen Union – bis zu einem Beitritt aber werden noch Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte vergehen. Und das ist auch gut so.
Europäisches Recht und europäische Werte gibt es nicht auf Knopfdruck
So verständlich es ist, dass die Ukraine ihre Bindung an den Westen in dieser kritischen Phase festigen und institutionalisieren will, so fahrlässig wäre ihre Aufnahme in die EU im Schnellverfahren. Das würde nicht nur andere Beitrittskandidaten wie Albanien, Montenegro oder Serbien vor den Kopf stoßen, die sich seit Jahren bemühen, die strengen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft zu erfüllen und trotz vieler Fortschritte noch weit von ihr entfernt sind.
Auch für die Ukraine selbst wäre ein Beitritt auf der Überholspur ein riskantes Manöver: Quasi auf Knopfdruck müsste sie dann europäisches Recht und europäische Werte garantieren – ein Ding der Unmöglichkeit für ein Land, in dem die Korruption grassiert, dessen Wirtschaft nicht konkurrenzfähig ist und das sich obendrein noch in einem Krieg befindet. Das Versprechen von Regierungschef Denys Schmyhal, die Ukraine werde bereits im Jahr 2025 alle Vorbereitungen für einen EU-Beitritt getroffen haben, ist deshalb mit großspurig noch freundlich umschrieben.
Wer der EU beitreten kann, regeln die sogenannten Kopenhagener Kriterien. Sie verlangen stabile staatliche Institutionen von der Arbeitsverwaltung über die Ministerialbürokratie bis zum Verfassungsgericht, eine Marktwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck in der EU standhalten kann, und die Übernahme des kompletten gemeinsamen Rechts, also alle Richtlinien, Verordnungen und internationalen Abkommen, die die EU geschlossen hat. Schneller als in drei Jahren hat das noch kein Land geschafft – und dieses Land war 1995 Finnland, eine seit Jahrzehnten gefestigte westliche Demokratie.
Mit Geld und Waffen kann Europa auch so helfen
Das zu betonen und keine falschen Hoffnungen zu wecken, gehört auch zu einem fairen Umgang mit der Ukraine. Möglichkeiten, sie enger an Europa zu binden und ihr weiter mit Geld und Waffen zu helfen, hat die EU auch so. Seit der Krimkrise 2014 gibt es bereits ein sogenanntes Assoziierungsabkommen, das der Ukraine unter anderem einen unkomplizierten Handel mit der Europäischen Union ermöglicht. Hier ist die EU sogar in Vorleistung gegangen, indem sie alle Zölle für Importe aus der Ukraine abgeschafft hat. Umgekehrt hat sich die Ukraine unter anderem dazu verpflichtet, die Korruption entschlossener zu bekämpfen – ein Versprechen, das sie bisher nicht eingelöst hat und so schnell auch kaum einlösen kann. Wer aber würde dann im Falle eines Falles garantieren, dass die Milliarden aus dem Agrarhaushalt der EU nicht bei den Oligarchen landen, die die ukrainische Landwirtschaft seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion beherrschen?
Nein, umgekehrt wird der berühmte Schuh daraus. Wenn der Krieg irgendwann zu Ende ist, der Wiederaufbau begonnen hat und die Ukraine die Kopenhagener Kriterien tatsächlich zum Maßstab für ihre Zukunft macht, wird ein Beitritt nicht an der EU scheitern. Europas Solidarität mit der Ukraine ist bislang beispiellos, daraus aber leiten sich keine Sonderrechte für eine Aufnahme in die Union ab. Die Frage ist nur, ob Ursula von der Leyen das Wolodymyr Selenskyj auch so deutlich gesagt hat.
Die Diskussion ist geschlossen.
Viele unterliegen dem Irrglauben, dass aus der Ukraine eine lupenreine Demokratie nach westlichem Vorbild wird, sobald der Krieg durch die Ukraine hoffentlich gewonnen wird. Am Ende des Krieges stehen nicht von heute auf morgen funktionierende demokratische Strukturen. Vielmehr werden die Oligarchen der Vergangenheit durch die Oligarchen der Zukunft ersetzt. Die Korruption wird nicht von heute auf morgen beendet sein. Meines Erachtens sollten in die EU nur Staaten aufgenommen werden, in denen sich demokratische Strukturen nach dem europäischen Wertebild über einen Zeitraum von mindestens 15 bis 20 Jahre bewiesen haben. Ein kürzerer Zeitraum ist viel zu filigran - siehe Polen, Ungarn usw.
Wenn es ohne Mogelei geht: geschätzte 10 Jahre dürfte ein Beitritt noch dauern. Ohne UvdL - noch etwas länger-.
Wir wollen doch hoffen, dass weit vor 10 Jahren eine demokratisch transparente EU Kommission Präsidentschaft besteht, die auf einen regelkonformen Beitritt Wert legt und dies den Beitritt Kandidaten auch offen kommuniziert.
Mit diesem Kommentar hat Herr Wais schon recht. Ein übereilter Beitritt in die EU wäre für beide Seiten ein Desaster. Zuerst muss der Krieg aus der Welt sein – gut, darauf hat die Ukraine nur wenig Einfluss – aber erst dann kann man über weitere politische Bündnisse reden. Es ist sicher noch ein weiter Weg, und ich hoffe sehr, dass man Selensky trotz des herzlichen Empfangs bei der EU darüber nicht im Unklaren gelassen hat. Denn alles andere wäre unfair. Es ist das gute Recht der Ukraine, einen EU-Beitritt anzustreben, aber man kann nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen.
Natürlich ist die Ukraine nicht bereit und erfüllt nicht im Ansatz die erforderlichen Kriterien.
Dennoch:
"Ukrainischer Botschafter fordert "Sondergeschwindigkeit" zu EU-Beitrittsverhandlungen"
https://www.n-tv.de/politik/20-15-Bericht-Bundeswehr-startet-Leopard2-Ausbildung-fuer-Ukrainer-in-Munster--article23910887.html
Den Ukrainern kann man da nicht einmal Vorwürfe machen, sondern persönlich der EU Kommission Präsidentin, die aus populistischen Gründen eine professionelle Distanz vermissen lässt und insofern der Ukraine ungerechtfertigt Hoffnungen macht. Die Ukraine wird einfach von fast allen Seiten geleimt und missbraucht und von einer weiteren Seite illegal angegriffen. Sie wird in absehbarer Zeit weder Nato noch EU Mitglied werden, sondern sich einfach gutgläubig aufreiben. Ist wie mit den Kurden in Syrien. Die haben die USA mit ihrer Koalition auch von heute auf morgen ans Messer geliefert weil es ihnen politisch passte. Die Geschichte wird sich wiederholen und nicht zum ersten Mal. Erst wird verbal eskaliert, große Unterstützung mit roten Linien versprochen, als es ernst wird relativiert, dann mit beginnendem Krieg nur Geld und (eingeschränkt in homöopathischen Dosen) Waffen geliefert und wenn entweder das Ziel erreicht ist oder der Plan nicht aufgeht, wird die heiße Kartoffel irgendwann fallen gelassen oder zu einem Deal gedrängt. Es gibt in der jüngeren Geschichte genug Beispiele.
Wenn die Ukrainer in die EU wollen, dann doch nur weil wir mit den größeren Geldscheinen winken als die Russen. Das ist auch der einzige Grund für den Krieg. Die Ukrainer teilen die (west)europäischen Werte genauso wenig wie das Landvolk in Polen. Dem polnischen Bauern ist der Putin hundertmal lieber als eine Meloni, Bärbock oder von der Leyen, nur laut sagen mag er es halt nicht.
>>Die Ukrainer teilen die (west)europäischen Werte genauso wenig wie das Landvolk in Polen. Dem polnischen Bauern ist der Putin hundertmal lieber als eine Meloni, Bärbock oder von der Leyen<<
Sie kennen sicher die Mehrzahl der polnischen Bauern persönlich, oder ist das doch kein Gerücht, dass Sie schlicht keine Ahnung von der Meinung der polnischen Bauern haben?