
Wo bei Rovereto noch bayerisch gesprochen wird


Vor rund 1000 Jahren wurden Bauern aus Benediktbeuren angesiedelt. Sie gründeten den Ort Lusern. Doch Rovereto hat noch viel mehr Überraschungen zu bieten.
Sind wir hier wirklich noch im freundlichen und wohlbekannten Tal der Etsch im Trentino? Es sieht aus wie auf dem Mond. Südöstlich von Rovereto, das kann man sogar von der Brenner-Autobahn aus sehen, ist ein Teil des bewaldeten Hangs abgerutscht. Jetzt ist hier nur noch graues Geröll vorhanden – und Fußspuren, die uns den Dinosauriern von vor 200 Millionen Jahren näher bringen, als jedes Skelett in einem Museum und jeder noch so gut animierte Teil von Jurassic Park: Hunderte dieser Tiere sind damals durch den Schlamm eines wattähnlichen Urzeitmeeres gestapft. Große, deren Abdrücke wie von riesenhaften Elefanten aussehen und kleinere, wie die von großen Laufvögeln.
Jahrmillionen waren die Abdrücke vom Jurakalk überdeckt, erst der Hangrutsch hat sie wieder freigelegt. Vom Gardasee bis zum Monte Grappa finden sich diese Abdrücke, besonders gut sind sie in Lavini di Marco, direkt bei Rovereto, zu sehen. Ein Eindruck, der die Vorstellung davon verändern kann, wie lange es schon Leben auf der Erde gibt. Und das mitten in Europa, das doch so völlig sichtbar und ohne unbekannte Wunder zu sein scheint. Für eine Reise in die Gegend von Rovereto gilt das nicht. Hier wartet noch mehr Erstaunliches aus alten Zeiten.
Rovereto ist die kleinere Schwester von Trient
Nur 30 Kilometer südlich von Trient, dem Hauptort des Trentino, liegt die kleinere Schwester Rovereto. Doch viel mehr als Trient ist Rovereto von dem geprägt, was so viele europäische Orte fast ihre gesamte Geschichte mitmachen mussten: Krieg, Grenzstreitigkeiten, unterschiedliche Herrschaften. Geblieben ist heute eine freundliche Stadt, die viel italienischer wirkt als andere Städtchen im Trentino. Und das hat einen stolzen Grund: Knapp 100 Jahre lang gehörte Rovereto zu Venedig. Das ist zwar schon mehr als 500 Jahre her, der Einfluss ist aber deutlich geblieben, sind sich die Bewohnerinnen und Bewohner einig.


Um das Trentino zu verstehen, geht es nicht ohne einen Blick auf seine Geschichte. Nur wenige Kilometer von Rovereto entfernt, verläuft über mehrere Jahrhunderte die Grenze zwischen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und den italienischen Staaten. Im Mittelalter gehörte das Trentino zunächst zum Stammesherzogtum Baiern. Zwar übernahm dann schon im 11. Jahrhundert der Bischof von Trient das Sagen – die Verbindung zu Bayern blieb jedoch. Ab dieser Zeit kamen in mehreren Wellen arme bayerische Handwerker und Bauern nach Oberitalien, um dort zu arbeiten.
Die Einwanderer sprachen weiter ihren bayerischen Dialekt untereinander
Die Einwanderer blieben lange unter sich. Und sprachen weiter in ihrer Sprache, einem bayerischen Dialekt aus der Gegend von Benediktbeuren, vom Ammer- und Starnberger See, wo ihre Vorfahren herkamen. Noch heute gibt es einen einzigen Ort, in dem sich diese Sprache, das Zimbrische, hält: Es ist Lusern, in den Bergen oberhalb von Rovereto. Die Zimbern waren als Zimmerleute, daher der Name, während der Sommermonate in Oberitalien unterwegs, die Frauen besorgten die heimische, kleinbäuerliche Landwirtschaft. „Wir waren immer stolz auf unsere Sprache“, sagt Fiorenzo Castellan, der Leiter des zimbrischen Kulturinstituts in dem Ort. „Bei uns sagt man: Wir reden wie wir.“

Doch das tun inzwischen immer weniger Menschen. Der große Umbruch kam vor etwa 60 Jahren. Damals hatte der italienische Staat die Schulpflicht bis zur achten Klasse eingeführt. In Lusern gab es keine der sogenannten Mittelschulen. „Aber für die Familien war es einfacher, zusammen nach Trient oder Rovereto zu ziehen, als ihre Kinder in ein Schülerheim einzumieten.“ Viele kamen nicht zurück. Von einstmals 20.000 Muttersprachlern dieses mittelhochdeutschen Dialekts sind gerade noch 260 geblieben. Das ist die aktuelle Einwohnerzahl des Orts. Doch das Kulturinstitut gibt nicht auf. Inzwischen gibt es Sprachkurse für die Kinder von Familien, die in den Ferien zurück nach Lusern kommen. Außerdem werden jede Woche Nachrichten in der Sprache produziert, die über Internet verfügbar sind. „An schümman gruaz“, sagt Fiorenzo Castellan zum Abschied.
In Lusern gibt es ein Heimatmuseum und Dokumentationszentrum
Auch der Ort selbst macht das Beste aus sich. Es gibt ein kleines Heimatmuseum, das Haus von Prükk, welches das Leben der vergangenen Jahrhunderte darstellt. Und ein Dokumentationszentrum, das der alpinen Tier- und Pflanzenwelt gewidmet ist und auf die Folgen der beiden Weltkriege für die Gegend aufmerksam macht. Wenn man Glück hat, trifft man dort Luigi Nicolussi Castellan. Der 83-Jährige war ab 1980 für 25 Jahre Bürgermeister der Gemeinde. Sein Leben steht symbolisch für das Schicksal so vieler Familien aus dem Ort. In der Zeit des Faschismus, als Luigi, oder Luis, wie er genannt wird, in den Kindergarten kam, gehörte es sich nicht, zimbrisch zu sprechen. „Dort lernte ich meine ersten Wörter auf Italienisch. Die Erzieherin hat sie mir nicht gerade freundlich beigebracht“, erinnert er sich.

Als er Bürgermeister wurde, lebte Luis gerade in München und war dort bei der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) Ansprechpartner für italienische Auswanderer, er wurde in seiner Abwesenheit gewählt. Erst dann kehrte er zurück nach Italien und machte sich an den Wiederaufbau des Orts, der zu veröden drohte. Ein Projekt von ihm war der heutige Lusernahof. In seinen alten Gebäuden wurde zunächst eine Jugendherberge untergebracht. Doch um genügend Jugendgruppen anzulocken, dafür ist der Ort doch zu abgelegen. Heute ist der Lusernahof ein erstklassiges Feinschmeckerlokal, aufgebaut von Dolores Zotti. Ihre beiden Söhne Andrea und Luca entwickeln heute in Service und Küche einzigartige Kreationen. Aus dem gesamten Umkreis kommen nicht nur Touristen, sondern auch viele Einheimische.
Schon Sigmund Freud kam im Urlaub in die Gegend
Heute gibt es in Lusern einen ruhigen Tourismus, etwa 12.000 Menschen kommen im Jahr. Gerade einmal zehn Kilometer von Lusern entfernt liegt der Lago di Lavarone, eigentlich nicht viel mehr als eine Pfütze. Aber eine äußerst gepflegte. Es gibt zwei Strandbäder und zwei Hotels, das Hotel al Lago und das Hotel du Lac. In letzterem pflegte Sigmund Freud übrigens regelmäßig seine Ferien zu verbringen. Noch heute wird am Seeufer an ihn erinnert.


Ein Alternativprogramm zu Seen, Bergen und Wanderungen bietet die kleine Stadt Rovereto. Mit ihren 40.000 Einwohnerinnen und Einwohnern weist sie viel italienisches Flair auf, so Stadtführerin Lara Sisto. Sie muss es wissen, denn ihre Familie stammt aus Süditalien und dem Veneto, sie selbst ist in Mailand aufgewachsen. „Hier gibt es italienische Spuren, die Trento nie bekommen hat“, verweist sie auf jenen Teil der Geschichte der Stadt im 15. Jahrhundert, als Rovereto unter der Herrschaft von Venedig stand.
Rovereto sieht sich als Mozartstadt
Rovereto nennt sich selbst Mozartstadt, doch Lara Sisto mag es gar nicht, wenn es heißt, der 14-jährige Wolfgang Amadeus Mozart habe dort sein erstes Konzert in Italien gegeben. „Das Konzert sollte im kleinen Kreis in der Kirche San Marco stattfinden. Doch eine begeisterte Menge erwartete den jungen Mozart und trug ihn zur Kirche. Aber eigentlich war hier damals nicht Italien, sondern noch das Habsburgerreich.“ Ein Umstand, der gut hundert Jahre später zu einer Wunde führte, die auch heute noch nicht verheilt ist. 40.000 Kilometer Schützengräben durchzogen im Ersten Weltkrieg das Trentino, auch ganz in der Nähe von Rovereto. Was die Soldaten damals durchmachen mussten, ist im italienischen Kriegsmuseum zu sehen. Der Tipp von Lara Sisto: „Ich hatte zuerst keine Lust, dieses Museum zu besuchen. Aber in der Ausstellung ist wirklich gut nachzuvollziehen, was Krieg wirklich bedeutet. Überall.“


Inzwischen wendet sich Rovereto der Gegenwart zu. Am Museum für moderne und zeitgenössische Kunst (MART) ist aktuell Vittorio Sgarbi Präsident. Der Kunstkritiker ist in der italienischen Alltagswelt eine schillernde, geliebte und umstrittene Figur, seit Jahrzehnten in der Szene und in den Medien präsent. Eine vergleichbar präsente Figur aus diesem Metier gibt es in Deutschland nicht. Italien, das ist eben immer auch alles Schöne, Kunst, Kultur, Lebensart – und natürlich Essen und Trinken. Und so darf auch bei einer Reise ins Trentino der Besuch in einer Weinkellerei nicht fehlen.
Im Trentino müssen Weinreben mit viel Trockenheit auskommen
Die Kellerei Vivallis ist von der Autobahn aus schon zu sehen. Seit 1908 bringen kleine und auch größere Weinbauern aus der Gegend ihre Trauben zu der Kooperative. 2020 hat sich das Unternehmen ganz neu aufgestellt. „Die Grundidee ist: Stärke durch Zusammenarbeit“, sagt Anna Torboli aus der Firma. „Denn dann kann jeder etwas verdienen.“ Das funktioniert so: 90 Prozent der angelieferten Trauben werden zu industriellem Wein in der noch viel größeren Kellerei Cavit verarbeitet. Nur 280.000 Flaschen im Jahr werden zu echtem Vivallis-Qualitätswein.

Doch auch im Trentino ist die Weinwelt nicht mehr im Reinen. „Wir müssen experimentieren und unseren Wein zukunftssicher machen“, sagt Anna Torboli. Wie auch vielerorts in Deutschland, wird deshalb mit Piwi-Weinen experimentiert. Das sind Weine, die von sich aus widerstandsfähig gegen Pilze sind. Der bekannteste unter ihnen, auch bei Vivallis, ist der Weißwein Solaris. Die Weine sollen nicht nur weniger Pestizide benötigen, sondern auch mit Trockenheit zurechtkommen, wenn es im Sommer mal wieder vier Monate nicht regnet.
War Marzemino der Lieblingswein von Mozart?
Und dann kommt sie wieder, eine der vielen Mozart-Geschichten aus der Stadt. „Mozarts Lieblingswein soll Marzemino gewesen sein, der für Rovereto und diesen Teil des Trentino typisch ist. Immerhin trinkt Don Giovanni in der gleichnamigen Oper diesen Wein“, erzählt Anna Torboli. Doch vielleicht war die Geschichte auch ganz anders. Der Librettist des Don Giovanni, Lorenzo Da Ponte, stammte aus der Gegend von Rovereto. Und vielleicht war Marzemino einfach jener Wein, den er am besten kannte.
Die Autorin recherierte auf Einladung von Trentinomarketing.
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