"Das Größte, was ich in meiner Karriere erlebt habe"
Große Gefühle, große Gesten: Eingehüllt in eine Bayern-Fahne hat Oliver Kahn die Fußball-Bühne verlassen. Als der Torwart-Titan am Dienstagabend in München Abschied nahm, erhoben sich die 69 000 Zuschauer. Von Anton Schwankhardt
Von Anton Schwankhardt
München - Die Abschiedstränen fielen aus. Als Oliver Kahn gestern Abend um 21.40 Uhr zum letzten Mal das Tor des FC Bayern verließ, ging er zufrieden lächelnd. Eine Bayern-Fahne über den Schultern lief er in der abgedunkelten Arena die Ränge ab. Vom Mittelkreis aus ließ der Brite Paul Potts mit "Time to say Goodbye" die 69 000 in der Arena tief schlucken. "Das war das Größte, was ich in meiner Karriere erlebt habe", sagte Kahn zum Abschied.
Dann war eine der größten deutschen Fußballerkarrieren zu Ende. Dass Kahn zum Schluss weinen würde, war auch nicht zu erwarten gewesen. Es hätte während seiner Laufbahn genug andere Anlässe zum Heulen gegeben. Das verlorene Champions-League-Finale 2001, die Niederlage im WM-Finale 2002, die Vertreibung aus dem deutschen Tor. Kahn hat jedes Mal nur die Lippen zusammengepresst, die Augen ins nirgendwo gerichtet und weitergemacht. Jetzt aber ist Schluss. Dabei hatte der FC Bayern auch gestern alles für eine gefühligen Abend unternommen.
Am Spielfeldrand hielten ehemalige Trainer des 39-Jährigen Rückschau. Franz Beckenbauer hatte die Verpflichtung Kahns, der 1994 für rund vier Millionen Mark zum FC Bayern kam, zurückhaltend kommentiert ("Wia, koansd fia an Fuaßboia so vui Goid ausgebn?"). Gestern hätte er ihm noch einen Zehnjahresvertrag angeboten. Den schönsten Satz aber hat Jacques Roque über Kahn gesagt: "Von Gutenberg über Goethe bis Oliver Kahn", so der IOC-Präsident, "Deutschland hat eine Menge Großes hervorgebracht". Das mag hoch gegriffen sein, aber an diesem Abend durfte alles gesagt werden, was das Gemüt wärmt - allerdings nicht von jedem.
Pfiffe für Jens Lehmann
Als Jens Lehmann, Kahns alter Rivale, zu einer Botschaft anhob, gingen dessen Worte im Pfeifkonzert der Bayern-Fans unter. Ansonsten war die Stimmung freundlich. Dazu passte die Friedensbotschaft, die vor dem Anpfiff die Runde machte. DFB-Manager Oliver Bierhoff und der verletzte Kapitän Michael Ballack, die sich nach dem verloren EM-Finale in die Haare geraten waren, haben sich wieder versöhnt.
Damit war der Weg frei für ein schönes Abschiedsspiel. Die Nationalmannschaft trat an, wie man sich das für ein Länderspiel gegen Bayern vorstellt. Beim FC Bayern feierte Breno, der in den vergangenen Monaten offenbar konsequent jeden Friseur gemieden hat, ein ordentliches Saisondebüt. Der Italiener Massimo Oddo stand gar überhaupt das erste Mal in der Bayern-Elf. Als letzter kam Kahn. Allein, nur begleitet von der Kamera, schritt er die Stadionstufen herunter. Draußen empfingen ihn 69 000 Zuschauer stehend mit Ovationen. Nur an Lehmann hatten sich noch nicht alle Bayern-Fans abgearbeitet. Als einige die feierliche Stimmung mit "Lehmann-du-A..."-Gesängen störte, erstickte Manager Uli Hoeneß über das Stadion-Mikrofon den unflätigen Chor. Auf dem Rasen ging es zunächst weniger aufgeregt zu. Die Partie, die Bundestrainer Joachim Löw als "Spaßspiel" eingestuft hatte, plätscherte dahin, ohne dass sich ein Team Vorteile erspielen konnte. Kahn überstand die wenigen Prüfungen beschwerdefrei. Er hatte für sein Comeback tags zuvor einmal trainiert. Das musste genügen.
Die einzig gute Chance zur Münchner Führung, vom quicklebendigen Oddo vorbereitet, verstolperte Luca Toni. So ging die Nationalelf in Führung. Trochowski schob die Kugel an Kahn vorbei ins Netz. Brenos Rettungsversuch kam zu spät. Kahn ertrug es mit Kahn-Gesicht. Mehr geärgert haben dürften ihn die fünf Gegentore, die er zur Halbzeit hinnehmen musste. Zehn ausgewählte Schützen hatten von der 16-m-Linie aus die Chance, mit einem Treffer 100 000 Euro eines Sponsors zu gewinnen. Vier waren erfolgreich, darunter Tobias Stephan aus Munningen (Landkreis Donau-Ries), Maschinenführer unserer Zeitung. Stefan Baur aus Sielenbach (Landkreis Aichach-Friedberg) scheiterte dagegen, wie vier andere, deren Fehlversuche dem Kinderschutzbund und anderen sozialen Einrichtungen je 100 000 Euro einbringen.
In der 75. Minute ausgewechselt
Keinen einzigen Euro gab es dagegen für das Münchner 1:1. Dem zuletzt arg kritisierten Torschützen Klose war es dennoch lieb und teuer. Die Partie nahm nun Fahrt auf. Das Spaßspiel machte endlich Spaß. Wiese, der Enke im deuschen Tor abgelöste hatte, und Kahn waren bestens beschäftigt. Es kam die 75. Spielminute. Oliver Kahn ging. Die anderen spielten noch weiter, ohne am Ergebnis etwas zu ändern. Aber das war nun nicht mehr seine Sache.
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