Bad Boyce
Darryl Boyce vom ERC Ingolstadt liebt Kampf, Einsatz und erst dann seinen Körper. Eine Geschichte über einen verheerenden Checkversuch, Aufopferungsbereitschaft und Strafenmathematik.
Es gibt ein Foto von ERC Ingolstadts Darryl Boyce, das ist so grausam, dass es im Internet mit einem Warnhinweis gekennzeichnet ist: Der Kanadier liegt auf einer Trage, Mullbinde über den Augen, die Nase dick und verbogen wie eine Ingwer-Knolle. Die Schwellungen haben einen Mundwinkel verschoben. Da, wo das rechte Nasenloch sein sollte, hängt ein Fleischlappen nach unten. Donnerstag, 3. Februar 2011, Boyce twittert ironisch: „Mein Gesicht tut weh, aber ich weiß nicht, warum.“
Wer wissen will warum, geht auf YouTube, scrollt durch Boyce’ Fight-Chronologie und bekommt dann schließlich den Videobeweis: Toronto Maple Leafs gegen Carolina Hurricanes. Boyce, im Trikot der Kanadier, will seinen Gegenspieler checken, verpasst ihn und trifft mit seinem Gesicht nur eines der Gucklöcher für Fotographen. Das Glas filetiert seine Nase wie ein Käsehobel. Ein Journalist schreibt: „Er wird morgen nicht spielen.“ Twitterantwort Boyce: „Wer sagt, dass ich morgen nicht spiele?“ Und er tat es. Zwei Tage nach dem Vorfall. Mit gebrochener Nase und zerschnittenem Gesicht.
Es ist eine Anekdote aus der Vergangenheit, die das Wesen von Boyce perfekt komprimiert. „Ich hasse zusehen“, sagt der Center. „Wenn du körperlich im Stande bist zu spielen, dann solltest du das auch tun.“ Eindruck beim Trainerteam schinden wollte Boyce – damals auf der Schwelle zwischen NHL und der zweitklassigen AHL –, Charakter zeigen, den Kaderplatz nicht abgeben, wie er selbst sagt: „Es war nur ein Cut.“
Gebrochene Nasen hatte Boyce in seiner Karriere einige dazu mehrere Knie- und Schulterverletzungen, im vorigen Jahr einen Knöchelbruch, der zu spät diagnostiziert wurde. Der 32-Jährige liebt den Einsatz, liebt den Kampf und liebt erst dann seinen Körper. Trainer mögen das.
ERCI-Coach Tommy Samuelsson über seinen Allrounder: „Er ist sehr wichtig für uns, weil er überall spielen kann und Energie aufs Eis bringt, die wir dringend brauchen.“ Über sich selbst sagt Boyce: „Ich versuche, die einfachen und wichtigen Dinge richtig zu machen, damit mein Team erfolgreich ist.“
Der Wert von Darryl Boyce bemisst sich nicht in Toren (vier Treffer, acht Assists, 21 Partien), auch wenn seine Schnelligkeit und Übersicht in der Offensive immer wieder für Gefahr sorgen, sondern vor allem in zu Ende gefahrenen Checks, verbissenen Zweikämpfen und ultimativer Aufopferungsbereitschaft.
Tugenden, die ihm gelegentlich Ärger einbringen. Gegen Schwenningen war Boyce nach drei großen Strafen zum Zuschauen verdammt. 62 Strafminuten hat er bisher gesammelt. Sind DEL-Schiedsrichter zu verweichlicht oder ist Darryl Boyce zu tough? Als Antwort erhält man Mathe-Nachhilfe à la Boyce: Zweimal Prügeln, einmal dem Unparteiischen die Meinung geigen – das gibt allein schon 40 Minuten in drei Partien. „Meine Statistik ist deshalb etwas aufgeblasen“, meint Boyce, aber so seien halt die Regeln. „Egal wo ich spiele, ich versuche nicht zu ändern, wer ich bin.“
Auf Boyce’ Twitter-Account ist es unterdessen etwas ruhiger geworden, keine Schockbilder mehr. Stattdessen: Einladung an Justin Bieber zum Eistraining bei den Panthern, Ankündigung der Geburt seines zweiten Sohnes. Gut möglich, dass der Kleine in Ingolstadt aufwächst. Boyce hat einen Ein-Jahres-Vertrag, würde für die Panther aber gerne länger die Nase hinhalten. Nur sollte sie beim nächsten Check am besten auch dranbleiben.
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