
Wegen Corona steht Wertinger Kunst jetzt online

Plus Zweimal wollte die Zusamstadt die Ausstellung „Streugebiet“ im alten Amtsgericht in Wertingen eröffnen. Zweimal kam der Lockdown dazwischen. Wie sich die Schau im Internet anfühlt

Die Szene hat etwas Surreales. Verena Beese, Chefsekretärin der Wertinger Stadtverwaltung, führt mit Maske durch die Ausstellungsräume im ehemaligen Amtsgericht. Dort hängen die Bilder der Künstlerinnen Juliane Ebner, Dorothea Dudek und Brigitte Heintze. Im März des vergangenen Jahres hätten, deren Werke bei einer Vernissage den Kunstinteressierten rund um Wertingen präsentiert werden sollen. Und im November gab es einen erneuten Anlauf für die Eröffnung der Ausstellung „Streugebiet“. Die Bilder wurden aufgehängt, Plakate gedruckt, etwa 500 Einladungen versandt. Beide Male verhinderte jedoch der Corona-Lockdown den Start der bemerkenswerten Schau. „Wir wollten aber Herz zeigen für die Kunst, damit sie in diesen Zeiten nicht ganz untergeht“, sagt Beese. Und so seien Bürgermeister Willy Lehmeier und sie auf die Idee gekommen, die Ausstellung online zugänglich zu machen. Harry Kraus von der Fotogruppe Blickwinkel hat die Werke abgelichtet. Sie sind jetzt auf der Webseite der Zusamstadt unter wertingen.de zu sehen.

Der virtuelle Gang durch die Ausstellung bietet viele Entdeckungen. Die Künstlerin Juliane Ebner zählt zu den Kunststipendiatinnen der Stadt Wertingen, die 2017 unter 115 Bewerbern in den Kreis der acht Auserwählten aufgenommen wurde. Als „Artist in Residence“ hatte sie ausgerechnet im März, als es zum ersten Corona-Lockdown kam, die Zimmer im ehemaligen Wertinger Amtsgericht bezogen. Ihr Stipendiat erlebte die Hallenserin, die aus Stralsund stammt, daher ziemlich isoliert, ein gepflegter Austausch mit Mitgliedern des Wertinger Kunstkreises war ebenso wenig möglich wie Besuche im Café. Ihre Chihuahua-Mix-Hündin Rosa war in dieser Zeit oft ihr einziger Ansprechpartner. Die „Schockstarre“ und die Unterbringung im „Elfenbeinturm“ des einstigen Amtsgerichts, wo die Stipendiaten in einer Wohnung im Stil der 1970er Jahre residieren, löste einen regelrechten Kreativitätsschub bei der heute 50-Jährigen aus.

Das rastlose Arbeiten in oft schlaflosen Nächten brachte mehr als hundert Arbeiten hervor. Dort schlugen sich die Nachrichten über die Pandemie, Ängste und Träume nieder. „Corona-Engel“ sind an den Wänden des alten Amtsgerichts zu sehen. Nackte Frauen, die Stärke ebenso wie Verletzlichkeit ausstrahlen. Oder auch eine Serie von Bildern mit dem Titel „Kleiner Traum“, die von Geborgenheit künden, gleichzeitig aber auch von Isolation und Einsamkeit.
Ebenso interessant sind die Bilder der beiden anderen beteiligten Künstlerinnen. Bei der Augsburgerin Dorothea Dudek spielt die Unschärfe eine zentrale Rolle. Menschen entfalten so eine geheimnisvolle emotionale Wirkung im Raum. In der Reihe „Interieur“ fällt das Licht durch die Fenster oder Türe ein. Sanfte Spiegelungen auf dem Fußboden weiten den Raum nach unten, Gegenstände oder Wände fangen das restliche Licht auf. Der Raum im Bild dehnt sich oder wird teilweise aufgelöst, heißt es in der Ankündigung der Ausstellung. Alles wirkt traumhaft, dem direkten Zugriff entzogen.

Aus dem Alltag heraus entführt auch Brigitte Heintze, die dritte Beteiligte in der „Streugebiet“-Schau. Die Künstlerin aus Stadtbergen bei Augsburg ist von einem Auslandsstipendium in Finnland inspiriert. Im Norden Europas entstand eine Serie von Dias, die die Basis für ihre weitere Arbeit schufen. Aus Momentaufnahmen im herkömmlichen Format entwickelte sich ein Kunstprojekt, das zwar die Stationen und Eindrücke des Aufenthalts und auch die Atmosphäre der Landschaft wiedergibt, aber durch die künstlerische Bearbeitung neue Perspektiven eröffnet. Die Fotos sind gerade in diesen Zeiten, in den Reisen nicht möglich ist, eine Inspiration.

Das Malen und Zeichnen auf der Fläche werde von allen drei Künstlerinnen bewusst in die Mehrdimensionalität geführt, schreibt Sabine Heilig, die Initiatorin des Kunstvereins Nördlingen, in ihrer (nicht gehaltenen) Einführungsrede. „Gezielt wird dadurch die Intensität unserer Wahrnehmung gesteigert, ohne dass es uns gleich bewusst wird“, so Kunsthistorikerin Heilig. Bei Dudek geschehe dies durch Verschleierung, bei Ebner durch Überlagerung und bei Heintze durch Collage und Abstrahierung.
Eine Online-Schau ist zwar etwas anderes als ein Rundgang in den Räumen des alten Amtsgerichts in der Zusamstadt. Mit der Internet-Präsentation sorgt die Stadt Wertingen aber dafür, dass diese bemerkenswerte Ausstellung zu großen Teilen wenigstens virtuell zu sehen ist. Ein Videoclip des Buttenwieseners Franz Käsinger bringt ein zusätzliches Live-Erlebnis.
Die Ausstellung „Streugebiet“ finden Sie im Netz unter wertingen.de
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