Das wirkliche Leben im Buben-Traumberuf
Als er sich bei der Bahn beworben hat, da hat Stefan Harm auch erwähnt, dass er schon als kleiner Junge davon geträumt habe, Lokomotiven zu fahren. Ein bisschen habe er da schon geflunkert, gibt der Eisenbahner heute zu, dennoch sagt er über seinen Beruf: "Ich mach' das gern, ausgesprochen gern." Nachts, an Wochenenden, Feiertagen, Weihnachten - der 42-Jährige der DB-Regio in Augsburg ist zur Stelle. "Ich tu mich damit leichter als viele Kollegen; ich bin ledig und hab' keine Kinder." Doch er und seine 20 000 Kollegen wollen mehr Geld dafür - viel mehr Geld.
Augsburg. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), der Harm angehört, fordert einen eigenen Spartentarifvertrag für das "Fahrpersonal" (Lokführer, Zugbegleiter, Bordgastronomie), mit Löhnen, die faktisch um bis zu 31 Prozent höher wären. "Ich würd's gerecht finden", sagt Harm. "Was wir machen, ist nicht zu vergleichen mit Bürodiensten. Das ist eine andere Welt, also muss es auch anders gehandhabt werden."
Die andere Welt, die so wenig mit dem Buben-Traumberuf zu tun hat, sieht zum Beispiel so aus: abends den letzten Zug nach Füssen fahren, Ankunft 23:47 Uhr, "Schlussdienst" am Triebwagen, Hotelbett. Am nächsten Morgen um 5:26 Uhr melden, Abfahrt 5:51 Uhr. Oder von Augsburg nach Ulm, Ankunft 1:22 Uhr, Abfahrt zurück um 4:56 Uhr, dazwischen höchstens ein Nickerchen, notfalls auf dem Führerstand. Die Kollegen auf den Güterzug-Loks fahren die Nacht durch. "Im Sommer muss ich manchmal um 20 Uhr ins Bett, weil ich um 3:15 Uhr Dienstbeginn habe", sagt Lokführer Harm. Dazu kommt "Stress pur"; bei Störungen "ist man auf sich allein gestellt" - vor allem in Triebwagen-Zügen, wo sich keine Zugbegleiter um Fahrgäste ohne Informationen und manchmal auch ohne Umgangsformen kümmern. "So etwas will ich honoriert wissen."
Harms typischer Dienstplan enthält in 14 Wochen fünf freie Wochenenden, frei zumindest ab den Morgenstunden des Samstags. Und trotzdem weiß er von Kollegen, Familienvätern, die schon mal den Disponenten nach einer zusätzlichen Sonn- oder Feiertagsschicht fragen: "Oder willst du mich verhungern lassen?" Etwa 1500 Euro nimmt ein 40-jähriger Lokführer im Monat netto mit nach Hause, argumentiert die Gewerkschaft GDL. "Wenn's so viel ist, dann war ich gut dabei", sagt Harm - also mit einigen Zuschlägen. Für einen allein verdienenden Familienvater ist das knapp, in München reicht es nicht.
"Das entspricht in keinem Fall der Verantwortung für Mensch und Material", sagt der GDL-Bundesvorsitzende Manfred Schell über das Lohnniveau. In einigen Pendlerzügen nach München sitzen mehr als 1000 Fahrgäste; ein ICE kostet rund 15 Millionen Euro.
Und doch: Die privaten Konkurrenten, meist Töchter ausländischer Konzerne, zahlen noch weniger; bis zu 25 Prozent günstiger sei deren "Kostenstruktur", argumentiert die Bahn AG und verweist spitz darauf, dass auch die meisten dieser Verträge von den Gewerkschaften unterschrieben worden seien. Wenn Strecken neu ausgeschrieben werden - wie jetzt Ulm-Regensburg und einige Linien in der Oberpfalz -, "dann habe ich mit diesen Tarifforderungen gar keine Chance mehr, da kann ich nur der Form halber ein Angebot abgeben", sagt Bayerns DB-Regio-Chef Berthold Huber.
An diesem Samstag verhandelt der Bahn-Vorstand zum dritten Mal mit Transnet und GDBA. Es ist der letzte Tag der Friedenspflicht, und die beiden Gewerkschaften nennen das erste Angebot der DB - zweimal zwei Prozent mehr in 30 Monaten und 300 Euro Einmalzahlung - "Almosen" und "eine Provokation". Der Gewerkschaftschef Norbert Hansen sagt, man sei "uneingeschränkt mobilisierungsfähig", und der Bahn-Chef Hartmut Mehdorn sagt, Ziel der Bahn sei es, Streiks zu vermeiden. Doch selbst wenn es überraschend schon eine Einigung geben sollte, ist nächste Woche Stillstand im Zugverkehr absehbar - weil die Bahn sich weigert, mit der GDL über einen "Spartentarifvertrag" zu verhandeln.
"Der Streik ist praktisch nicht mehr abwendbar", sagt Gewerkschaftschef Schell. Die Lokführer-Gewerkschaft, die mit ihren Drohungen bislang die größte öffentliche Aufmerksamkeit genießt, werde "die Räder still stehen lassen". Der Bahn-Vorstand wisse, "was ihm blüht". Die Fahrgäste sollen es am Montag erfahren.
Die Erwartungen sind hoch - auch unter der Belegschaft an die eigene(n) Gewerkschaft(en), nachdem nun wochenlang rhetorisch Kohlen ins Feuer geschippt wurden. Ende Mai ist Stefan Harm zur GDL-Protestkundgebung nach Berlin gefahren, und wie er seinen Gewerkschaftschef Schell erlebt hat, "das sagt mir: Das wird richtig ernst, das knallt." Und er räumt ein: "Zum Leidwesen der Fahrgäste."
Die Diskussion ist geschlossen.