Wählt Israel bald zum vierten Mal in zwei Jahren?
Die Spannungen mit dem Iran nehmen zu, die Corona-Zahlen steigen wieder - Israels Regierung aber ist vor allem mit sich selbst beschäftigt.
Halb zog man sie, halb sanken sie hin. Nach dem rekordverdächtigen Vorlauf von drei Wahlen innerhalb eines Jahres blieb dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinem Herausforderer Benjamin Gantz im Mai gar nichts anderes mehr übrig, als gemeinsam eine Regierung zu bilden. Mitten in der Corona-Krise noch einmal neu zu wählen: Undenkbar, damals. „Wir haben uns für die Einigkeit entschieden“, sagte Gantz. „Das ist ein wichtiger Tag für Israel“, sekundierte Netanjahu. Der Kompromiss allerdings hatte seinen Preis: Mit mehr als 30 Ministerposten schmiedeten die beiden Israels bislang größte Regierung.
Nun steht auch die kurz vor dem Aus. Wenn das Parlament nicht bis zum 23. Dezember einen neuen Haushalt verabschiedet, ruft das Land die Israelis im März zum vierten Mal in nicht einmal zwei Jahren an die Wahlurnen. Formal geht es zwischen den beiden Rivalen dabei „nur“ um die Frage, ob der Etat lediglich für das noch laufende Jahr beschlossen werden soll, wie Netanjahu es angesichts der unklaren Pandemielage vorschlägt, oder gleich für zwei Jahre, wie Gantz es fordert.
Dahinter allerdings tobt ein heftiger Streit um die Macht im Land. Gantz fürchtet, dass der trickreiche Netanjahu sein Amt nicht wie verabredet im Herbst nächsten Jahres für ihn räumt. Netanjahu wiederum beteuert zwar, er wolle keine Neuwahlen, aber wenn Gantz sie erzwinge, dann werde er sie mit seiner Likud-Partei auch gewinnen. In den Umfragen ist sie nach wie vor die mit Abstand stärkste Kraft - trotz eines gerade laufenden Korruptionsverfahrens gegen ihren Anführer Netanjahu.
Israel ist in einem politischen Patt gefangen
So oder so ist die Sache kompliziert. Mitten in einer Zeit zunehmender Spannungen mit dem Iran und erneut steigender Corona-Zahlen ist Israel, wieder einmal, in einem politischen Patt gefangen. Schon bei den vergangenen Wahlen hatte sich kein klarer Sieger heraus geschält – hier das Netanjahu-Lager mit einer Allianz aus konservativen und religiösen Parteien, dort nahezu gleichauf das Bündnis der Mitte um den ehemaligen General Gantz.
In einer ersten Abstimmungsrunde hat „Blau-Weiß“, wie es sich unter Anlehnung an die Nationalfarben nennt, bereits mit der Opposition für eine Auflösung der Knesset gestimmt - ein Affront aus Sicht der Koalitionspartner. Gantz aber polterte, Netanjahus einziges Interesse sei sein eigenes politisches Überleben. Der wiederum konterte prompt: „Die Israelis wollen Impfungen und keine Wahlkampfsendungen.“ Trotzdem rechnen nach einer neuen Umfrage mehr als 80 Prozent von ihnen mit einer Neuwahl, zu tief sind die Gräben zwischen den Regierenden und zu dominant offenbar auch die persönlichen Interessen der Protagonisten.
Benjamin Netanjahu kann viel verlieren - und viel gewinnen
Vor allem Netanjahu hat viel zu verlieren. Als Ministerpräsident könnte er trotz des Verfahrens gegen ihn im Amt bleiben, als Minister unter einem Premier Gantz dürfte er mit dieser Hypothek nicht weitermachen. Immunität würde ihm nur die Nachfolge von Staatspräsident Reuven Rivlin sichern, für die Netanjahu sich angeblich auch interessiert. Die aber steht erst im Juli an.
Begonnen hatte die Regierungskrise praktisch schon mit der Vereidigung des neuen Zweckbündnisses. Wirklich vertraut haben Netanjahu und Gantz einander nie – offensichtlich wurde diese Vertrauenskrise, als der Regierungschef mit Unterstützung von US-Präsident Donald Trump begann, das Verhältnis zu einigen arabischen Staaten zu entkrampfen und Friedensverträge mit den Vereinigten Emiraten und Bahrein zu schließen. Der amtierende Verteidigungsminister Gantz und sein Parteifreund Gabi Ashkenasi, immerhin Israels Außenminister, waren dem Vernehmen nach vorher nicht eingeweiht. Auch von einem historischen Geheimtreffen Netanjahus mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman sollen sie erst im Nachhinein erfahren haben. Ist das der wahre Anlass für den kalkulierten Koalitionsbruch?
Benjamin Gantz hat viel zu verlieren
Mit seinem Plädoyer für rasche Neuwahlen geht Gantz hohes Risiko. Sein eigenes Lager ist seit der Regierungsbildung deutlich geschwächt worden, weil ein Teil der Abgeordneten aus Protest gegen den Pakt mit Netanjahu in die Opposition gewechselt ist. Auf der anderen Seite müsste nach den aktuellen Umfragen auch Netanjahus Likud mit dem Verlust etlicher Mandate für die Korruptionsvorwürfe und die Pannen im Kampf gegen Coron büßen. Insgesamt allerdings steht das rechte Lager, Stand heute, besser da als die Mitte-Links-Parteien.
Angetreten ist Gantz mit dem Ziel, die Netanjahu-Zeit zu beenden. Nun muss er aufpassen, dass er sie nicht unfreiwillig verlängert.
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