Was zehn Jahre Hartz IV gebracht haben
Im Jahr 2005 führte Deutschland die neue Grundsicherung ein. Die Zahl der Arbeitslosen ist seither deutlich gesunken. Doch es bleibt ein „harter Kern“ an Leuten, der Sorgen macht.
In einem bayerischen Jobcenter begegnen sich heute unterschiedlichste Menschen. Da kann ein Busfahrer eintreffen, der vier Kinder hat und mitten im Leben steht, dessen Lohn aber nicht reicht, um die Familie zu ernähren, sodass er zusätzlich auf Hilfe vom Staat angewiesen ist. Da kann ein Obdachloser genauso zur Türe hereinkommen wie ein Suchtkranker, eine alleinerziehende Mutter genauso wie ein Akademiker, der frisch von der Uni kommt. „Die Bandbreite ist wahnsinnig groß“, sagte Renata Häublein, die bei der Bundesagentur für Arbeit in Bayern für das Thema Grundsicherung zuständig ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich für die Hilfe vom Staat eher das Wort „Hartz IV“ eingeprägt. Zehn Jahre ist die Einführung inzwischen her. In Nürnberg zogen gestern Fachleute der Bundesarbeitsagentur und der Jobcenter eine Bilanz und nannten Herausforderungen für die Zukunft.
Hartz IV bezogen in diesem Jahr etwa 132 000 Menschen
Die Grundsicherung zählte zu den großen Arbeitsmarktreformen der Regierung unter Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden zusammengelegt. Künftig sollte es Geld und Arbeitsvermittlung aus einer Hand geben – vom Jobcenter. „Fördern und fordern“ war die Devise. Jeder soll sich aktiv um Arbeit bemühen. Im Jahr 2005 wurden die Hartz-IV-Gesetze eingeführt. Für einen alleinstehenden Erwachsenen gibt es heute beispielsweise 391 Euro Grundsicherung plus die Kosten für die Unterkunft.
Zehn Jahre später bewerten die Experten den Systemwechsel zunächst als Erfolg. Die Zahl der arbeitslosen Menschen in der Grundsicherung ist seit dem Jahr 2005 kontinuierlich gesunken. Bezogen damals in Bayern rund 220000 Arbeitslose Hartz IV, werden es dieses Jahr im Schnitt nur noch rund 132000 sein. Bayernweit gelang es, vor allem die Arbeitslosigkeit bei jungen Leuten abzubauen.
Die gute Entwicklung trifft auch auf die Stadt Augsburg zu. Dort habe man binnen zehn Jahren die Zahl der Arbeitslosen von über 10000 auf unter 6000 praktisch halbiert, berichtete Eckart Wieja, Geschäftsführer des Jobcenters in Augsburg. Dass es in Bayern gut läuft, ist auch der guten Wirtschaftslage zu verdanken. Der Arbeitsmarkt in Bayern „brummt“, sagten die Experten in Nürnberg. Ein Teil der Arbeitslosen hat deshalb nicht lange mit dem Jobcenter zu tun. Schnell findet sich ein neuer Arbeitsplatz.
Manche Hartz IV-Empfänger fällt die Arbeitssuche schwer
Doch es gibt einen „harten Kern“ an Menschen, bei denen die Vermittlung eines neuen Jobs nicht so leicht fällt. Und dieser „harte Kern“ wächst anteilsmäßig. Meist sind es Leute über 50, Arbeitnehmer, deren Qualifikation nicht mehr in die heutige Berufswelt passt, Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen, die vielleicht nur drei Stunden am Tag arbeiten können – und das nicht einmal am Stück. Die Jobcenter bezeichnen die Betroffenen als „marktfern“. Für sie steigt das Risiko, in die Langzeitarbeitslosigkeit zu rutschen. In Augsburg galten vor zehn Jahren rund 50 Prozent seiner Kunden als „marktfern“, berichtet Jobcenter-Leiter Wieja. Heute seien es bereits rund 85 Prozent. Sich um die Betroffenen intensiver zu kümmern, darin sehen die Fachleute die große Herausforderung.
Anders als oft vermutet bezeichnen die Jobcenter-Leiter dagegen den Missbrauch von Sozialleistungen und Hartz IV nicht als zentrales Problem. „Wir gehen jedem Fall von Leistungsmissbrauch konsequent nach“, meint zum Beispiel Birgitt Ehrl, Geschäftsführerin des Jobcenters Regensburg. „Es gibt strikte Kontrollmechanismen – 98 bis 99 Prozent unserer Kunden sind aber ganz ehrliche Menschen, die am liebsten einer Arbeit nachgehen wollen.“ Ähnlich sieht es Augsburgs Jobcenter-Leiter Wieja: „Als Lebensperspektive spielt Hartz IV für die allermeisten keine Rolle.“
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