Deutschlands erste Astronautin: Landsbergerin will ins All
Ivana Hrbud möchte die erste deutsche Frau im Weltraum werden. Was die Landsbergerin für ihren Traum tut und was sie noch leisten muss.
Wenn Ivana Hrbud Ruhe sucht, dann fährt sie nach Bad Wörishofen. Aber nicht – wie die meisten anderen – in die Therme zum Saunieren. Sie biegt auf einen kleinen Feldweg ab, fährt an einer lang gezogenen Halle vorbei und hält an einer Wiese. An diesem Ort, den ein Fremder nicht ohne Weiteres findet, steht seit kurzem ihr „Fliegerle“, wie Hrbud sagt. Ein Ultraleichtflugzug, das ihr und ihrem Mann gehört.
Einmal die Woche sind die beiden dort. Dann heben sie ab und schauen zu, wie unter ihnen alles kleiner wird. Wie die Therme vorbeizieht und sich am Rand des Horizonts die Alpen erstrecken, sogar die Zugspitze erkennt man. Wenn sie mit rund 180 Stundenkilometern dahingleitet, spürt Hrbud Freiheit, Vergnügen und staunt – zwei Kilometer über dem Boden – über die Schönheit der Welt.
Verglichen mit dem, was die 51-Jährige erleben möchte, ist das Fliegen allerdings ein Klacks. Wenn sich ihr Traum erfüllt, wird sie in etwa vier Jahren gut 400 Kilometer über der Erde schweben – mit 28000 Stundenkilometern. Dann wäre sie für zehn Tage Crew-Mitglied auf der Internationalen Raumstation (ISS) – und somit die erste deutsche Frau im All.
Private Initiative soll den Wunsch erfüllen
Eine private Initiative namens „Die Astronautin“ könnte ihr diesen Wunsch erfüllen. Gegründet hat sie Claudia Kessler. Sie arbeitet als Geschäftsführerin einer Firma mit Sitz in Bremen, die Personal für die Raumfahrtbranche vermittelt. Sie findet es komisch, dass im Jahr 2016 noch keine deutsche Frau im Weltraum war – obwohl es viele gut ausgebildete Kandidatinnen gebe. Das Projekt, das geschätzt 30 Millionen Euro kosten wird, soll nicht nur eine Frau in den Weltraum bringen, sondern auch Mädchen für Naturwissenschaften und das Ingenieurwesen begeistern. „Die brauchen ein Vorbild“, sagt Kessler.
Zumindest bei den erwachsenen Frauen kommt ihre Idee gut an. 408 Bewerbungen sind eingegangen. Nach einer Vorauswahl sind noch 86 Teilnehmerinnen übrig. Eine von ihnen ist die 51-jährige Wahl-Landsbergerin Ivana Hrbud. Wenn man sich mit ihr unterhält, schätzt man sie zehn Jahre jünger, so viel Energie versprüht sie. „Ich fühle mich auch erst wie 18“, sagt Hrbud.
Ob ihr Alter bei der Auswahl eine Rolle spielt? „Na ja“, sagt Reinhold Ewald. Der Deutsche ist selbst Astronaut und war 1997 drei Wochen auf der russischen Raumstation Mir. Inzwischen arbeitet er für die europäische Raumfahrtbehörde Esa. Dort begleitete er im Jahr 2009 die Auswahl für ein neues Astronauten-Team. Solange jemand fit genug ist, sagt Ewald, kann er im Weltraum arbeiten. Das beste Beispiel ist John Glenn. Ende der 1990er Jahre flog er im Alter 77 Jahren ins All.
Bei Ivana Hrbud beginnt die Leidenschaft für Naturwissenschaften schon früh. Als die heutige Luft- und Raumfahrtingenieurin sechs Jahre alt ist, kommt sie mit ihren Eltern und dem drei Jahre jüngeren Bruder aus Kroatien nach Leonberg bei Stuttgart. Wenn sie spricht, hört man das Stuttgarterische manchmal noch durch, obwohl Hrbud lange in den USA gelebt hat.
„Meine Mutter hat mich als Kind immer in die Bibliothek geschickt, damit ich mir Bücher hole“, sagt sie. Doch statt sich mit Romanen einzudecken, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, bringt sie stapelweise Sachbücher mit nach Hause – über Pflanzen, das Sonnensystem und alles, was mit Natur zu tun hat. „Ich fand das einfach interessanter“, sagt sie. Schon als kleines Mädchen ist Ivana Hrbud wissbegierig. Sie bewundert ihren Cousin, der bei der Bundeswehr als Hubschrauber-Pilot arbeitet. Und liebt es zu werkeln. Ständig ist sie draußen, um Dinge zu entdecken. Also fast. Eine Ausnahme gibt es: Samstagnachmittag um 17.45 Uhr. Da wissen ihre Freunde, dass man Ivana nicht stören darf. „Dann lief Raumschiff Enterprise im Fernsehen, meine Lieblingsserie.“ Sie muss schmunzeln.
Als Mädchen: Hrbud erforscht auch ihre Haustiere
Auch ihre Haustiere, zwei Mäuse, bezieht das neugierige Mädchen in ihre Forschung ein. „Wir hatten ein Männchen und ein Weibchen, die haben irgendwann Nachwuchs bekommen“, berichtet die Astronauten-Anwärterin. Jeden Tag untersucht sie die Jungen. Sind die Augen schon offen? Sind die Mäuschen gewachsen? Veränderungen hält sie in einem Buch fest. „Wie eine richtige Wissenschaftlerin.“ Hrbud lacht. Natürlich habe sie zunächst Tierärztin werden wollen. „Aber dann habe ich meine Begeisterung für Mathe und Physik entdeckt.“
Kurz vor dem Abitur möchte sie sich an der Uni in Stuttgart über ein Physik-Studium informieren, doch stattdessen besucht sie einen Vortrag über Luft- und Raumfahrttechnik. „Danach wusste ich: Das mache ich. Das deckt alle meine Interessen ab.“ Noch heute strahlen ihre Augen, wenn sie sich an den Tag erinnert. Ihre Mutter ist von der Entscheidung der Tochter sofort begeistert, der Vater hat Bedenken.
Luft- und Raumfahrttechnik? Als Frau? Ob es nicht schwierig wäre, eine Stelle zu finden? „Er sagte zu mir, mach doch lieber etwas mit Sprachen oder Wirtschaft. Dann kannst du die Welt sehen und hast mehr Möglichkeiten“, erinnert sich Hrbud. Doch sie weiß: dieses Fach – oder keines. „Ich sagte ihm, wenn ich etwas mache, das ich mit Liebe tue, dann kann ich mich besser verkaufen. Auch wenn es dann nur wenige Stellen gibt, nutze ich die Möglichkeit.“
Diese Leidenschaft hat Hrbud weit gebracht. Seit kurzem ist sie wieder zurück in Deutschland und arbeitet beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. Davor lebt sie lange Zeit in den USA und forscht an elektrischen Antrieben von Raketen, hat eine Professur an der Purdue University in Indiana und arbeitet für die Nasa. Einmal, erzählt sie, habe sie ihre Eltern eingeladen, beim Start eines Spaceshuttles auf Cape Canaveral dabei zu sein. Es war Nacht und man konnte die Zündung gut erkennen, konnte sogar sehen, wie sich die Antriebe von der Rakete lösten. Vor allem, dass man einen Start sehe, bevor man ihn höre, hätte ihre Eltern beeindruckt. „Ich glaube, damals hat mein Vater verstanden, warum ich diesen Beruf mache.“ Dennoch hat er mit seiner Befürchtung recht, die Tochter könnte es in einer Männerwelt nicht leicht haben.
---Trennung _Nur wenige Frauen in der Raumfahrt_ Trennung---
Frauenanteil in der Luft- und Raumfahrtechnik noch immer gering
Das Studium in Stuttgart beginnt Ivana Hrbud mit rund 500 Kommilitonen. Fünf von ihnen sind Frauen. Zum Diplom schaffen es 110 Studenten – Hrbud als einzige Frau. Inzwischen sei der Frauenanteil in ihrem Fachbereich zwar gestiegen, sagt sie. Besonders viele arbeiten aber immer noch nicht in der Luft- und Raumfahrt.
Das ist einer der Gründe, weshalb noch keine Deutsche im All war, erklärt Astronaut Reinhold Ewald. Und nennt ein Beispiel: „Bei uns sind damals 8500 Bewerbungen eingegangen“, sagt Ewald. Etwa 16 Prozent stammten von Frauen. „Heute haben wir sechs europäische Astronauten, eine davon ist eine Frau. Das sind auch 16 Prozent“, rechnet er vor. Alles also eine Frage der Statistik.
Die Frau im Team heißt Samantha Cristoferetti. Die Italienerin war zuletzt 2015 auf der ISS. Momentan hält sie den Rekord für Langzeitflüge von Frauen im Weltraum. Knapp 200 Tage hat sie in zwei Etappen im All verbracht – so viel wie keine andere. Auch andere Europäerinnen waren schon im Weltraum – die Französin Claudie Haigneré oder die Britin Helen Sharman zum Beispiel. Und während sich schon elf deutsche Männer ins All katapultieren ließen, gelang das bisher noch keiner einzigen deutschen Frau. Und das, obwohl schon mit Astronaut Reinhold Ewald zwei Frauen die Ausbildung durchlaufen haben. Doch geflogen sind die beiden nie. Mit der Initiative „Die Astronautin“ könnte sich das nun ändern.
Ob Ivana Hrbud es in die nächste Runde schafft, entscheidet sich nach dem 20. Oktober. Dann sind alle verbleibenden Kandidatinnen nach Hamburg eingeladen. Dort werden sie psychologisch und medizinisch untersucht. Was das genau heißt, dazu möchte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nicht viel verraten. „Es geht wohl darum, wie gut wir uns konzentrieren können, wie risikobereit und flexibel wir sind, ob wir uns gut in neue Situationen einfinden“, vermutet Ivana Hrbud. Genau weiß sie es aber nicht. Und das würde laut Ewald auch nichts bringen. „Sich zu verstellen, um einem vermeintlichen Idealbild einer Astronautin nahezukommen, führt zu nichts. Das kann man nicht die ganze Zeit durchhalten“, sagt er.
Ewald: Grundsätzlich wird mehr verlangt, als man leisten kann
Der ehemalige Astronaut weiß, wovon er spricht. Auch er durchlief die Tests. Das war 1987. Und er erinnert sich gut an die Untersuchungen. Zwei Tage war er dafür in Hamburg. „Grundsätzlich wird in den Aufgaben immer viel mehr verlangt, als man in der vorgegebenen Zeit leisten kann“, sagt er. „Manche frustriert das, die wollen alles schaffen und machen dann Fehler. Da muss man eine gewisse Gelassenheit haben“, empfiehlt er. Besonders im Gedächtnis blieb ihm, dass etliche Aufgaben eintönig waren. Sich da ständig neu zu konzentrieren, sei schwierig, aber relevant. „Wir haben an Bord auch Routine-Aufgaben – wie Tanks kontrollieren. Ein langweiliger Job, der aber immer wieder gemacht werden muss. „Und sobald etwas nicht stimmt, muss sofort die volle Leistung da sein.“
Wie wichtig das werden kann, hat Ewald auf der Mir selbst erlebt. Während seiner Zeit dort bricht ein Feuer aus. „Wir haben alle richtig reagiert und uns erst selbst geschützt“, erinnert er sich. Erst haben sie sich Gasmasken geholt und dann zusammengearbeitet, um den Brand zu löschen. „Indem man vorausschauend weiß, was getan werden muss, kann man sich gut eingliedern“, sagt er.
All das müssen die Bewerberinnen nun im nächsten Schritt unter Beweis stellen. Und Ewald rät: „Jeder sollte einen Plan B haben, falls es nicht klappt.“ Für Hrbud spielt das keine Rolle. Sie findet es schon spannend, überhaupt dabei zu sein.
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