Die Angst vor der übermächtigen künstlichen Intelligenz
Künstliche Intelligenz ist der menschlichen in vielen Bereichen überlegen, sagt der Zukunftsforscher Franz Josef Radermacher. Das hat dramatische Folgen – im Guten wie im Bösen.
Herr Professor, was wissen Sie eigentlich über mich, beziehungsweise was könnten Sie wissen?
Radermacher: Ich weiß im Wesentlichen nichts über Sie, nur dass Sie Redakteur bei der Augsburger Allgemeinen sind. Ich recherchiere auch üblicherweise nicht, wenn Personen mit mir in Kontakt treten. Ich bin bewusst in keinem sozialen Netzwerk und bemühe mich, wenig Datenspuren zu erzeugen. Ich weiß aber auch, dass ich für einen Betrag unter 10000 Euro eine extreme Fülle von Details über Sie und jeden anderen in Erfahrung bringen könnte und wie ich dazu vorgehen müsste.
Diese extreme Fülle von detailliertem Wissen führt zum Schlagwort „Big Data“. Was sollen wir uns darunter verstehen?
Radermacher: Big Data bezeichnet die mittlerweile massenhafte Verfügbarkeit von Daten aus unterschiedlichen Quellen über unterschiedliche Zusammenhänge. Unter Nutzung einer geeigneten Mathematik und Algorithmik lassen sich daraus häufig sehr präzise Einschätzungen über Sachverhalte ableiten, die früher privaten Charakter hatten und in der Regel Dritten nicht zugänglich waren.
Menschenbild wird dramatisch verändert
Inwieweit wird „Big Data“ unsere Zivilisation und unser Menschenbild verändern?
Radermacher: Big Data, Analytics und immer intelligentere Maschinen werden unser Menschenbild dramatisch verändern. Das ist jetzt bereits der Fall. Das ist prinzipiell auch nichts Neues, sondern Begleiteffekt des technischen Fortschritts. Der Mensch hat in diesem Prozess schon mehrere Kränkungen erlebt. Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt. Und die Sonne und unser Sonnensystem ebenso wenig. Unsere Intelligenz ist im Universum sehr wahrscheinlich nicht einzigartig. Und die Existenz der Welt als solche ist für uns prinzipiell nicht verstehbar. Jetzt lernen wir zudem, dass technische Systeme uns in immer mehr Bereichen überlegen sind, die wir bisher mit menschlicher Intelligenz in Verbindung gebracht haben. Das wird hoffentlich eine gewisse Bescheidenheit fördern.
Auf diesem Gebiet der künstlichen Intelligenz, das Sie erforschen, sind enorme Fortschritte erzielt worden. Kommt der Tag, an dem die Maschine dem Menschen überlegen ist? Oder ist er schon da?
Radermacher: Maschinen sind in ganz vielen Themenbereichen dem Durchschnittsbürger seit langem überlegen, in vielen Fällen auch bereits den Spezialisten. Das gilt für die Ausführung komplizierter mathematischer Berechnungen ebenso wie für das Aufaddieren langer Zahlen-Kolonnen, aber ebenso für das Fliegen von Verkehrsflugzeugen, das Schachspielen oder das Lösen kniffliger Rätselaufgaben.
Menschliches Denken hat individuelle Besonderheiten
Werden Sie jemals einen Algorithmus finden, der menschliches Denken und Verhalten vollständig abbilden kann?
Radermacher: Das menschliche Denken und Verhalten kann nie vollständig abgebildet werden, ebenso wenig wie die filigranen Details in der Zellstruktur einer Pflanze. Hier liegen die Probleme bereits auf der Ebene der Detaillierung. In einem viel grundsätzlicheren Sinne wissen wir, dass in der Welt der Arithmetik wahre Aussagen existieren, die nicht beweisbar sind. Das setzt dem menschlichen Denken und Verhalten gewisse prinzipielle Grenzen, erlaubt aber zugleich auch individuelle Besonderheiten. Das wird in der Welt der Algorithmen auf Rechnern genauso sein.
Was bedeutet das?
Radermacher: Das heißt, Mensch und Maschine ringen mit denselben prinzipiellen Grenzen und decken innerhalb der Grenzen je spezifische Bereiche ab, dies bei gleichzeitiger, sehr großer Überlappung. In der Konkurrenz wird dabei der Bereich, der allein Rechnern und Algorithmen zugänglich ist, weiterwachsen und irgendwann dominieren.
Immer autonomer und potenziell gefährlicher
Wie schaffen wir es, die Kontrolle über die „digitale Maschine“ zu behalten?
Radermacher: Es ist kein prinzipielles Problem, die Kontrolle über die digitale Maschine zu behalten. Risiken können aber aus dem Verhalten von Mächtigen entstehen, die im ökonomischen wie im militärischen Bereich Interesse daran haben könnten, immer autonomere, potenziell immer gefährlichere Maschinen zu kreieren, um sich ihrer zu bedienen. Die Art, wie heute Konkurrenz organisiert wird, befördert derartige Strategien. Irgendwann könnte es uns so ergehen wie in dem Gedicht vom Zauberlehrling.
Die Vorstellung von übermächtiger künstlicher Intelligenz macht vielen Menschen Angst. Aber können wir davon nicht auch profitieren?
Radermacher: Wir profitieren schon heute in extremem Maße von der Leistungsfähigkeit von Rechnern, Robotern und den dahinter stehenden Algorithmen, inklusive der dadurch ermöglichten, immer beeindruckenderen Ausprägungen von künstlicher Intelligenz. Das ist nicht anders als in anderen Technikbereichen. Die Qualität unserer Zivilisation reflektiert zu einem erheblichen Teil die Qualität unserer Technologien und dahinterstehend unserer Algorithmen. Richtig genutzt, kann das die Lebensqualität der Menschheit weiter verbessern.
Hoch bezahlte Jobs durch Technik ersetzt
Und was sind die Risiken?
Radermacher: Unter bestehenden Markt- und Machtprozessen und angesichts der heutigen Konzentration von Wohlstand, Kapital und Eigentum kann dieser Prozess auch zu massiven sozialen Verwerfungen führen, weil heute hoch bezahlte Jobs in millionenfacher Zahl durch technische Lösungen ersetzt werden könnten. Dabei kann erstmals in der Geschichte der Zustand auftreten, dass neue und bessere Jobs nicht in genügender Zahl nachwachsen.
„Big Data“ begleitet Sie vermutlich 24 Stunden am Tag. Wie schalten Sie persönlich eigentlich ab?
Radermacher: Big Data begleitet mich nur peripher. Viel stärker beschäftigen mich die Zukunftsfragen der Menschheit. Die Situation ist insgesamt nicht einfach. Aber das hindert mich nicht daran, bei Bedarf abzuschalten. Der menschliche Körper und das menschliche Gehirn sind Wunderwerke der Natur und zu vielfältigen Dingen fähig, wenn man gelernt hat, die eigenen Potenziale und die Möglichkeiten der Fantasie zu aktivieren. Dieser Punkt ist wichtig. Denn es macht keinen Sinn, sich „verrückt“ zu machen. Man verliert dann seine Handlungsfähigkeit. Und genau die gilt es zu erhalten, egal, wie schwierig sich die Verhältnisse entwickeln sollten.
Franz Josef Radermacher ist Podiumsteilnehmer bei den Augsburger Mediengesprächen zum Thema „Big-Data-Revolution: Wie verändern Daten unser Leben?“ am Mittwoch, 1. Oktober, im Rathaus Augsburg um 18.30 Uhr. Karten kosten 6 Euro, ermäßigt 4 Euro. AZ-Kartenservice. Tel. 0821/777-3410
Die Diskussion ist geschlossen.