"Voices of Ukraine": Ein Monolog, der ohne zusätzliche Dramatik erschüttert
Ihre Rolle war für Yulia Yermakova nicht leicht: Die junge Ukrainerin beschreibt in der Intervention "Voices of Ukraine" brutale Szenen aus dem Krieg.
Die große Geste und überbordende Dramatik, das hat die Schauspielerin Yulia Yermakova nicht nötig, wenn sie an dem Tschechow-Abend "Drei Schwestern in Moskau" die Bühne im Martinipark betritt. Ihr Part ist anders, sprengt noch einmal komplett die Anlage des Übrigen und ist auch als ein Extra-Beitrag ausgeflaggt: "Voices of Ukraine - Stimmen eines Landes, das nicht erobert wurde" heißt er. Eine künstlerische Intervention, etwas Zusätzliches von außen, das dem Tschechow-Abend am Staatstheater Augsburg etwas Anderes und Aktuelles entgegensetzt: das Leid in der Ukraine.
Die Texte stammen von Andrii Bondarenko, der wiederum Zeuginnen-Aussagen verwendet hat. Was das Publikum zu sehen und hören bekommt, ist Dokumentartheater der Gegenwart, ist ein Ausschnitt aus dem Krieg, der seit mehr als einem Jahr im Osten Europas geführt wird. Die Schauspielerin Yermakova hält fast schon sachlich nüchtern im Ton fest, was dort geschieht, berichtet von einer Frau, die erst ihren Mann verliert – ein Zufallsopfer. Erschossen, weil er in seinem Vorgarten gerade russischen Soldaten vor die Waffen lief.
Der Krieg in der Ukraine zeigt sich vollkommen entgrenzt
Worauf das Martyrium der Frau beginnt: mehrfacher sexueller Missbrauch durch russische Soldaten bei vorgehaltener Waffe und fortwährenden Todesdrohungen inklusive Verhöhnung ihres toten Manns. Der Krieg zeigt sich da nicht nur pervertiert, sondern gleichzeitig auch vollkommen entgrenzt. Zwischen Soldaten an der Front und Zivilisten wird nicht mehr unterschieden, alle werden
Opfer dieses Angriffs. Gleichzeitig gehen Kriegshandlungen nahtlos in Verbrechen über.
Für Yermakova war es gleich doppelt schwer, sich im Probenprozess für diesen Auftritt vorzubereiten. Wer den Text an sich heranlässt, blickt ungefiltert auf das Böse, zu dem Menschen in der Lage sind. Für Yermakova kam noch hinzu, dass diese Verbrechen in ihrer Heimat begangen werden, in der Ukraine. Die 29-Jährige weiß, dass das kein besonders grausamer Einzelfall war. "Während der langen Proben gab es Momente, an denen ich nicht mehr sprechen konnte, an denen ich geweint habe", so schildert es Yermakova bei einem Gespräch vor der zweiten Aufführung. Irgendwann habe allerdings das Verständnis gesiegt, dass es wichtig sei, die Wahrheit über diesen Krieg auszusprechen.
Die Schauspielerin ist im März 2022 vor dem Krieg geflohen
Das Gespräch mit Yermakova wird mit einem Dolmetscher über Bande geführt. Yermakova ist am 7. März 2022 aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, nach Deutschland geflüchtet. Die Großstadt mit fast anderthalb Millionen Einwohnern vor dem Ausbruch des Kriegs liegt im Osten der Ukraine. Vor den Rückeroberungen der Ukraine verlief die Front nahe an den Grenzen der Stadt.Yermakova erzählt, dass sie vor den Bombardements und den russischen Angriffen geflohen ist. Davor hat sie in Charkiw für ein staatliches Theater und eine private Bühne Theater gespielt. Im Augenblick ist sie für den Zeitraum des Kriegs beurlaubt.
Als Yermakova nach Deutschland kam, wusste sie nicht, wie lange der Krieg dauern wird: Wochen, Monate oder Jahre. Nun, nach einem Jahr in Deutschland, sie lebt in München, spürt sie, dass sie den Blick nicht nur in Richtung Heimat richten kann, und merkt, dass sie auch ankommen darf in Deutschland. "Das ist aber wie bei null anfangen", sagt sie. Sie müsse die einfachsten Dinge lernen, etwa die lateinischen Buchstaben. Dazu fehlt ihr als Schauspielerin das Element, in dem sie sich sonst mühelos bewegen konnte: die Sprache.
Ein Zufall hat Yermakova zu einem Teil der Augsburger Inszenierung werden lassen. In Landshut war sie zuvor Gast bei der Schauspielproduktion "Waffenstillstand im Donbass". Dort hat sie den Regisseur Andreas Merz Raykov kennengelernt, der gerade eine Schauspielerin oder einen Schauspieler für die künstlerische Intervention in seiner Tschechow-Inszenierung gesucht hat. Er hat sie zu einem Casting dafür eingeladen. "Da hat es geklappt."
In der Tschechow-Produktion selbst mitzuwirken, das wäre für Yermakova allerdings nicht möglich gewesen. "Russland sieht auch in der Kunst eine Waffe", sagt sie. Kunst werde zu Propaganda-Zwecken eingesetzt. Für die Ukraine sei es wichtig, sich ideell von Russland zu trennen, "damit dort nicht mehr gesagt werden kann, dass die Ukrainer Puschkin und Tschechow spielen und damit beweisen, Brüder Russlands zu sein".
Dann muss sich Yermakova fertig machen für die Vorstellung.
Noch einmal steht das Stück in dieser Saison auf dem Programm, nämlich am Samstag, 13. Mai, um 19.30 Uhr im Martinipark. Die Produktion wird am 9. September in der kommenden Spielzeit wieder aufgenommen.
Die Diskussion ist geschlossen.