Prozess um Jugendgruppe "56er": An der Tankstelle eskalierte die Gewalt
Ein 15-jähriges Mitglied der "56er"-Gang fällt durch einen Gewaltausbruch auf. Er ist einer von bis zu 200 Jugendlichen und jungen Männern, die der Augsburger Polizei Sorgen bereiten.
Die beiden Brüder wollen beim Richter keinen schlechten Eindruck hinterlassen. "Handy besser aus, oder?", fragt einer von ihnen vor Verhandlungsbeginn seinen Anwalt. Der stimmt zu. Ein klingelndes Handy kommt nicht gut an im Gerichtssaal. Schon gar nicht, wenn man wegen einer Gewalttat angeklagt ist, die aufgrund ihrer Brutalität heraussticht unter den vielen Verhandlungen, die hier geführt werden. Die Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft rechnen die beiden Brüder den "56ern" zu, einer Jugendgruppe aus den Augsburger Stadtteilen Kriegshaber und Bärenkeller. Das Verfahren rückt einmal mehr die Kriminalität unter derartigen Gruppen in der Stadt in den Fokus. Inzwischen gibt es bei der Kripo eine eigene Arbeitsgruppe dafür.
In der Anklage der Staatsanwaltschaft geht es vor allem um zwei Gewaltattacken eines heute gerade einmal 15-jährigen Jugendlichen. Er soll sich im Oktober 2021 mit weiteren "56ern" an der Tankstelle in der Bürgermeister-Ackermann-Straße aufgehalten haben; den Ermittlungen zufolge hat sich zwischen der Jugendgruppe auf der einen und einer Gruppe anderer Männer auf der anderen Seite ein Streit darüber entwickelt, wer zuerst die Toilette benutzen dürfe. Die "56er" sollen dann beschlossen haben, die vier anderen, offenbar teils deutlich älteren Männer zu verprügeln.
Bis zu 200 Mitglieder von Jugendgruppen stuft die Polizei als problematisch ein
Bei der Augsburger Polizei hat man derzeit zwischen 150 und 200 hauptsächlich männliche Jugendliche und junge Männer im Blick, die in der Vergangenheit durch problematisches oder strafbares Verhalten aufgefallen sind. Die Ermittler nehmen das Thema ernst. "Wir haben uns in dem Bereich verstärkt aufgestellt", sagt Mario Huber, der beim Augsburger Polizeipräsidium für den Bereich Kriminalitätsbekämpfung zuständig ist. Fälle schwerwiegenderer Kriminalität dieser Jugendgruppen, etwa Drogen- und Gewaltdelikte, werden inzwischen von einer eigenen Einheit bei der Kriminalpolizei bearbeitet.
Daneben hat die Polizei ein spezielles Einsatzkonzept zur Prävention entwickelt, das unter anderem vorsieht, dass etwa Beamte der Einsatzhundertschaft verstärkt öffentliche Plätze kontrollieren, an denen Jugendliche oft Straftaten begehen, etwa am Königsplatz, im Reese- und im Sheridan-Park, im Umfeld der City-Galerie und an der Endhaltestelle der Linie 3 in Königsbrunn. "Wir wollen gezielt mit geschlossenen Einheiten Präsenz zeigen", sagt Huber.
Den Ermittlungen zufolge ist die Attacke an der Tankstelle brutal abgelaufen. Einer der "56er" schlug demnach mit einem zwei Meter langen und drei bis vier Zentimeter dicken Ast auf einen der Angegriffenen ein – und zwar so lange, bis von dem Ast nicht mehr viel übrig war. Ein anderes Gang-Mitglied soll zwei Opfern Faustschläge verpasst haben. Einer ging deshalb zu Boden. Der Angreifer mit dem Ast habe dem am Boden Liegenden laut Anklage noch mehrere Schläge verpasst. Und der heute 15-Jährige? Er soll laut Staatsanwaltschaft gegen Kopf und Oberkörper des Opfers getreten haben, als dieses am Boden lag. Der Verprügelte erlitt Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper, eine Beule am Hinterkopf, Blutergüsse an Oberarm, Auge und Oberschenkel sowie eine aufgeplatzte Lippe und Nasenbluten. Im Prozess geht es daneben auch um eine weitere Gewalttat, bei dem der Jugendliche zwei erst zehn und elf Jahre alte Jungen verletzt haben soll. Zudem wird dem 15-Jährigen zusammen mit seinem vier Jahre älteren Bruder der Besitz von Drogen vorgeworfen, Ermittler fanden in einem Transporter, mit dem sie unterwegs waren, rund 70 Gramm Marihuana.
Augsburger Polizei: Längst nicht jeder, der sich als "54er" oder "56er" definiert, ist kriminell
Es ist nicht das erste Mal, dass in Augsburg Mitglieder einer Jugendgruppe vor Gericht stehen, die sich über die Zugehörigkeit zu ihrem Stadtteil definieren. Als Erkennungszeichen verwenden sie die letzten beiden Ziffern der Postleitzahl. In den vergangenen Monaten standen oft "54er" im Fokus der Justiz, die am Drei-Auen-Platz im Norden Oberhausens mit Drogen gedealt hatten. Experten wie Sozialarbeiter und fachkundige Polizisten sagen, dass man nicht darauf schließen dürfe, dass jeder Jugendliche, der sich über die Ziffern mit seinem Viertel identifiziert, Mitglied einer speziellen Jugendgruppe sei – und schon gar gleich einer problematischen oder kriminellen Gruppe. Und doch ist längst nicht jeder, der sich etwa als 56er oder 79er bezeichnet, harmlos - wie der Prozess um den Gewaltausbruch an der Tankstelle zeigt.
Als problematisch stufen die Ermittler derzeit Jugendgruppen ein, die sich den "54ern", den "56ern" und den "79ern" zuordnen. Hermetisch abgeschlossen seien diese Gruppen aber nicht, sagt der leitende Kriminaldirektor Mario Huber. "Es gibt Überschneidungen." Um Teenager, die sich einfach im öffentlichen Raum treffen, geht es den Ermittlern dabei nicht. Sondern um Jugendliche wie den 15-Jährigen, der am Montag vor Gericht stand – und der wegen der Gewaltattacken vom Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richter Günther Baumann zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.
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