Der Bär beeindruckte die Amerikaner sehr
Weißenhorn/Deizisau (ml). "Wir haben Angst gehabt, weil wir nicht wussten, was sie machen werden", beschreibt Anton Stempfle den Einmarsch der amerikanischen Truppen in Weißenhorn. Trotzdem beobachtete der 17-Jährige an jenem 25. April 1945 genau, was sich rund um den "Giggeler", wie das Untere Tor genannt wird, ereignet hatte. Die Familie wohnte gleich nebenan in der Bärengasse. Stempfle lebt heute in Deizisau.
"Es war ein emsiges Treiben vormittags in der Bärengasse. Frauen trugen Betten, Decken, Koffer und etliche Habseligkeiten in Bärenwirts Luftschutzkeller", beschreibt Stempfle. Denn dort sollte die Nacht verbracht werden, weil völlig ungewiss war, ob in Weißenhorn doch noch Bomben fallen werden oder geschossen wird. "Der Ami ist schon in Ulm", wurde ihm zugeflüstert. Laut sagen traute sich das niemand. Stempfle lacht heute über einen ewig Gestrigen, der meinte, "das das nicht 'Ami', sondern die amerikanischen Feinde", heißen müsse.
Am Nachmittag war es auffallend ruhig. Über Witzighausen tauchte manchmal ein kleines Flugzeug auf, das aber langsam immer näher kam. "Unversehens drang ein gewaltiges Brummen und Lärmen von Panzern aus der Günzburger Straße ans Ohr", erinnert sich der heute 77-Jährige. Die Panzerspitze stand schon vor dem Unteren Tor neben "Öfner und Denzel" und wartete ab. Anton Stempfle stand mit Vater, Schwestern und Nachbarn vom Unteren Wettbach unweit des "Giggelers", dort wo die Bärengasse beginnt. Im Haus "Bärengasse 2", das nicht mehr steht, wohnte eine in München ausgebombte Familie mit dem Namen Bedenk. Stempfle erinnert sich noch, dass die Frau, eine geborene Minholz, eine sehr gute Bekannte seiner Schwester Anny war. "Plötzlich marschierte der Herr Bedenk mit seiner weißen Fahne schnurstracks durchs Untere Tor bis zum vordersten Panzer. Ein GI sprang herunter mit dem Gewehr vor der Brust. Was gesprochen wurde, weiß ich nicht. Jedenfalls standen dann drei amerikanische Soldaten nebeneinander mit dem Gewehr im Anschlag", berichtet Stempfle. Der Zug setzte sich langsam Richtung Rathaus in Bewegung, voran der Deutsche mit der weißen Fahne, dann die Kaugummi kauenden Amerikaner. Die Panzerfahrer mussten höllisch aufpassen, damit sie mit ihren "Shermans" durchs Tor passten. Noch jahrelang, so Stempfle, waren die Kratzspuren an den Wänden zu sehen. Zwei deutsche Soldaten standen vor dem Haus Engelbreit (Friseur). Sie mussten die Hände hochhalten und am Haus stehen bleiben. "Viel interessanter aber war für die Amerikaner der große Bär vom Bärenwirt", schmunzelt der 77-Jährige. Die herein rollenden Panzerbesatzungen machten sich gegenseitig auf die Figur aufmerksam, die heute noch an ihrem angestammten Platz steht.
Einen längeren Halt gab es erst, als die Spitze das Rathaus erreicht hatte. "Die Soldaten vertraten sich die Füße und tranken braunes Zeug, das ich nicht kannte", beschreibt Stempfle, wobei es sich bei dem Getränk um Cola handelte. "Einige spielten auch Ball, den sie sich mit übergroßen Handschuhen zuwarfen", berichtet er weiter. Sie sind im Baseball üblich. Von all dem hatte der damals 17-Jährige freilich keine Ahnung. Am Spätnachmittag mussten viele Weißenhorner Bürger rechts und links der Hauptstraße ihre Häuser binnen kurzer Zeit verlassen, so auch die Bärenwirt-Familie Mayer. Jeder holte noch schnell seine Habseligkeiten aus dem Keller. "Es war ein richtiges Gewusel, da ja am Abend Ausgangssperre herrschte", beobachtete Stempfle. Aber auch etwas anderes war ihm aufgefallen: Nach sechs Jahren Verdunkelung brannte beim Bärenwirt die ganze Nacht Licht an einem unverdunkelten Fenster. Es wurde auch tüchtig eingeheizt. Die Amis nahmen das Badezimmer voll in Beschlag.
"Nach diesem wohl aufregendsten Tag in meinem Leben sank ich ins Bett mit dem Bewusstsein: heute Nacht endlich kein Fliegeralarm und keine Sirene - und morgen, morgen was bringt wohl der neue Tag?"
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