"Für Sport und Musik bleibt keine Zeit mehr"
München/Neusäß (AZ). Marc Schulz ist zehn Jahre alt, geht ins Augsburger St-Anna-Gymnasium und hat viele Interessen. Dazu gehören nicht nur Schulfächer, sondern zum Beispiel das Kunstturnen, wo er bereits sehr erfolgreich im bayerischen Landeskader trainiert. Oder das Klavier spielen, was er auch schon ganz gut beherrscht.
Von unserem Redakteur Holger Sabinsky, München/Neusäß
Doch diese Freizeitaktivitäten muss Marc wohl an den Nagel hängen. Grund: Er sei in der Schule völlig überlastet. Das sagt sein Vater Peter Schulz. Der Geschäftsmann aus Neusäß bei Augsburg macht sich Sorgen um die Ausbildung und die Gesundheit seiner Kinder. Und zwar so sehr, dass er jetzt eine Klage gegen den Freistaat Bayern vor dem obersten bayerischen Gericht führt.
Es geht um das achtjährige Gymnasium (G 8), das Bayern flächendeckend mit dem Schuljahr 2004/2005 eingeführt hat. Umstritten war dieser Schritt von Anfang an. Der Lernstoff musste in der verkürzten Schulzeit untergebracht werden. Das machte eine Verlängerung der Unterrichtszeiten und mehr Nachmittagsunterricht notwendig. Eltern forderten in einem Volksbegehren die Rückkehr zu neun Jahren Gymnasium, scheiterten aber an mangelnder Beteiligung.
Nun fährt ein Familienvater schweres Geschütz gegen das G 8 auf. Peter Schulz will mit seiner Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof das achtjährige Gymnasium wieder abschaffen lassen. Er und sein Augsburger Anwalt Peter Gebhart haben eine Menge Argumente zusammengetragen, die sie gestern bei der mündlichen Verhandlung vortrugen. Kernpunkt: Die Schüler würden durch das G 8 völlig überlastet. Sie gingen morgens um 7 Uhr aus dem Haus und fielen an vielen Abenden ohne jede Freizeit ins Bett. Die verfügbare Zeit für Sport und musische Bildung werde auf ein Minimum reduziert.
Auch die Lehrer selbst hätten noch keine Erfahrung mit dem neuen System. Das führe dazu, dass der Stoff in einem Tempo durchgezogen werde, "dass einem Hören und Sehen vergeht". Sich unter diesen Umständen auf alle Fächer vorzubereiten, sei unmöglich geworden. Der nächste Schultag grenze dann an eine Form des "russischen Roulettes".
Nach Ansicht des Neusässer Klägers verstößt das G 8 auch gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil ein doppelter Abiturientenjahrgang entsteht. Dadurch würden auch doppelt so viele Absolventen in Studiengänge und den Arbeitsmarkt drängen, was wiederum die beruflichen Chancen des Einzelnen mindere. Zudem seien weder bauliche noch organisatorische Voraussetzungen für das achtjährige Gymnasium geschaffen worden. Peter Schulz: "Ich will, dass die Kinder nicht nur eine rein berufsbezogene Schulausbildung bekommen, sondern Werte und Allgemeinbildung vermittelt erhalten. Im G 8 ist dafür keine Zeit mehr."
Vertreter des Landtags und der Staatsregierung hielten gestern vor Gericht dagegen: Bayerns Abiturienten müssten international konkurrenzfähig bleiben, sagte Ingeborg Berggreen-Merkel vom Kultusministerium. In den meisten anderen Ländern würden junge Leute viel früher in den Beruf eintreten. Es sei wichtig, Jugendlichen das Angebot zu machen, früher fertig zu werden. Das könne zwar Auswirkungen auf Grundrechte haben, jedoch seien die Folgen "verhältnismäßig". Bayerns doppelter Abiturjahrgang komme 2011 vor den meisten anderen Bundesländern und habe daher bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Die Ministerialdirigentin räumte Schwierigkeiten bei der Umsetzung ein, diese Probleme lägen aber nicht am neuen System. Thomas Obermeier (CSU) sagte als Vertreter des Landtags, der Gesetzgeber müsse auf Veränderungen reagieren. Das bewirke auch Änderungen in der Praxis. Wenn die Klage von Peter Schulz Erfolg habe, so fürchtet Ostermeier, würde das auch die Arbeit des Landtags behindern. Denn dann würde es künftig sehr schwer werden, Systemänderungen zu vollziehen.
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