Der Monsterprozess beginnt - ein Überblick
Heute beginnt in München das historische Verfahren um die rechtsextreme Terrorzelle NSU. Wir beantworten zum Auftakt die wichtigsten Fragen.
Es gibt nicht wenige, die von einem Jahrhundert-Prozess sprechen. Fakt ist: Das Verfahren um die rechtsextremistische Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), das am heutigen Montag in München beginnen soll, ist eines der größten Gerichtsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik. Es ist allenfalls vergleichbar mit den Prozessen gegen die linksextremistische Rote Armee Fraktion in den 70er Jahren. Das müssen Sie zum NSU-Prozess wissen:
Worum geht es?
Das Terror-Trio NSU soll zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen umgebracht haben. Die Opfer wurden kaltblütig aus nächster Nähe erschossen. Neun Opfer hatten ausländische Wurzeln. Das letzte Opfer war eine Polizistin. Zudem sollen die Neonazis für zwei Sprengstoffanschläge mit insgesamt 23 Verletzten verantwortlich sein. Die beiden verstorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen zudem 15 Raubüberfälle begangen haben. Sie haben sich erschossen, nachdem die Polizei ihnen auf die Spur gekommen war.
Wer sind die Angeklagten?
Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe. Sie ist die einzige Überlebende des Terror-Trios. Die 38-Jährige aus Jena war mit ihren Kumpanen 1998 untergetaucht. Zeugen beschreiben Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied des NSU. Sie soll unter anderem das Geld der Gruppe verwaltet und den rechten Terroristen nach außen hin eine harmlose Fassade gegeben haben. Die anderen vier Angeklagten sollen dem NSU-Trio bei den Taten geholfen haben. Darunter ist der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und drei weitere Neonazis. Einer von ihnen, Carsten S., soll der rechten Szene den Rücken gekehrt haben.
Was wird den Angeklagten vorgeworfen?
Beate Zschäpe ist der Mittäterschaft an zehn Morden angeklagt. Sie soll auch als Mittäterin für 15 bewaffnete Überfälle verantwortlich sein. Hinzu kommt der Vorwurf des versuchten Mordes wegen der Sprengstoffanschläge in Köln. Zschäpe ist auch angeklagt wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Ralf Wohlleben und Carsten S. sollen die Tatwaffe, eine Ceska 83 mit Schalldämpfer, besorgt haben, die bei neun Mordanschlägen verwendet wurde. Sie sind deshalb wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt. André E. legt die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Sprengstoffanschlag des NSU in der Kölner Altstadt zur Last. Außerdem soll er die terroristische Vereinigung bei Raubüberfällen unterstützt haben. Holger G. ist wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen angeklagt, er soll Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos dabei unterstützt haben, ihre Identität zu verschleiern.
Wer hat die Anklage verfasst?
Oberster Terrorismus-Ankläger in Deutschland ist Generalbundesanwalt Harald Range. Seine Behörde übernahm die Ermittlungen im November 2011, als klar wurde, dass eine Mordserie mit rechtsextremem Hintergrund verübt worden war. Am Prozess werden bis zu fünf Vertreter der Bundesanwaltschaft teilnehmen.
Welche Strafen sind bei einer Verurteilung zu erwarten?
Wird Beate Zschäpe schuldig gesprochen, kommt nur eine lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht. Zudem würde das Gericht sicher die besondere Schwere der Schuld feststellen. Möglicherweise wird auch Sicherungsverwahrung verhängt. Bei den anderen Angeklagten stehen Gefängnisstrafen zwischen fünf und 15 Jahren im Raum.
Wie ist die Beweislage?
Die Bundesanwaltschaft hat eine 488 Seiten starke Anklageschrift vorgelegt. Sie hält die Anklage für absolut stichhaltig. Die Verteidiger monieren dagegen, es gebe keine Beweise, dass Zschäpe tatsächlich von den Taten ihrer Neonazi-Kumpels wusste. Den Tatbeitrag in jedem einzelnen Fall nachzuweisen, das wird die Schwierigkeit der Ankläger sein.
Warum findet das Verfahren in München statt?
Entscheidendes Kriterium für die Wahl des Gerichtsstandorts ist der Tatort des angeklagten Verbrechens. Die Bundesanwaltschaft hatte die Wahl, da die Morde an verschiedenen Orten in Deutschland verübt wurden. Fünf der zehn Morde geschahen in Bayern, nämlich in München und Nürnberg. Daher hat sich die Bundesanwaltschaft für Bayern entschieden. Jedes Bundesland hat ein spezielles Oberlandesgericht für Terrorismus-Verfahren. Im Freistaat ist dies München.
Wie lange dauert der Prozess?
Das ist noch nicht abzusehen. Der 6. Strafsenat hat 80 Termine bis Januar 2014 festgelegt. Doch sogar der Präsident des Oberlandesgerichts, Karl Huber, rechnet mit einer Verfahrensdauer von bis zu zweieinhalb Jahren.
Was kostet das Verfahren?
Auch da gibt es keine seriösen Zahlen. Fest steht nur, dass allein der Umbau des Schwurgerichtssaals A 101 im Justizzentrum 1,25 Millionen Euro gekostet hat.
Wie viel Platz ist im Gerichtssaal?
Der Saal bietet etwa 240 Plätze. Mehr als die Hälfte geht an Nebenkläger und deren Anwälte. Für die Öffentlichkeit bleiben gut 100 Sitzplätze. 50 Plätze werden von Medien besetzt.
Sind türkische Medien dabei?
Ja. Nachdem bei der ersten Vergabe der Presseplätze türkische Medien leer ausgingen und das Bundesverfassungsgericht dies korrigierte, nehmen nun drei türkische Tageszeitungen am Prozess teil: Hürriyet, Sabah und Evrensel.
Warum wurde nicht ein größerer Saal ausgewählt?
Der Schwurgerichtssaal ist der größte Gerichtssaal in München. Das Verfahren kann lange dauern. Es ist nicht damit getan, einfach eine Messehalle oder einen Konzertsaal herzunehmen. Nötig sind ein Zugang für die Angeklagten, Hafträume, Besprechungszimmer für Richter und Prozessbeteiligte. Die fast 80 Nebenkläger erhalten einen eigenen Eingang, damit sie unbehelligt in den Saal können. Das alles lässt sich nicht über Jahre in einer Messehalle machen.
Gibt es eine Videoübertragung?
Nein. Die Videoübertragung ist in den vergangenen Wochen heiß diskutiert worden. Top-Juristen sind sich uneins, ob die Rechtslage eine Übertragung in einen anderen Saal erlaubt. Das Oberlandesgericht hat sich entschieden, nicht zu übertragen, um nicht das Risiko eines Revisionsgrundes einzugehen.
Gibt es spezielle Sicherheitsvorkehrungen?
Ja. Während des NSU-Verfahrens gilt die höchste Sicherheitsstufe. Im Gerichtssaal wird eine Sondereinheit der Polizei postiert sein, Prozessbesucher müssen sich strengen Einlasskontrollen unterziehen. 500 Spezialkräfte sichern die Straßen und den Luftraum rund um das Justizzentrum in der Nymphenburger Straße. Die Polizei hat keine konkreten Erkenntnisse über rechtsextreme Umtriebe, geht aber von einer „hohen abstrakten Gefährdungslage“ aus. Auch für die Angeklagten gelten strenge Sicherheitsregeln. Beate Zschäpe wird in Hand- und Fußfesseln vor Gericht erscheinen. Beamte eines Spezialeinsatzkommandos werden sie begleiten. Vor und nach jedem Prozesstag muss sie sich nackt ausziehen und wird durchsucht.
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