Viele hassen Volksfeste, viele lieben sie. Manchmal wird ihr Reiz soziologisch erklärt. Dabei ist die Wahrheit sicher viel banaler.
Die Frage ist nicht neu, und sie wird sicherlich nicht nur in diesen Tagen wieder gestellt: Oktoberfest? Was sollen solche Volksfeste? Braucht’s das überhaupt? Schon allein wegen der unschönen Begleiterscheinungen: all die alkoholvergifteten Angelsachsen und (die längst ebenfalls zahlreich anreisenden) Chinesen, die als Asiaten aber von Natur aus kaum Alkohol vertragen? All die üblen Gerüche rund um die Theresienwiese und in den U-Bahnhöfen? Es soll an dieser Stelle nicht um die wirtschaftliche Bedeutung der Riesengaudi in München gehen, die es ja schon seit 1810 gibt. Sondern darum, warum sich viele Menschen immer wieder einen Besuch auf derlei Volksfesten antun.
Zunächst: Jeder Bewohner unserer Region weiß ja, dass er die Wiesn gar nicht nötig hat. Fabriziert doch so gut wie jede Stadt ihre eigene Bierzeltseligkeit. Auch bei der Allgäuer Festwoche in Kempten, beim Tänzelfest in Kaufbeuren oder beim Plärrer in Augsburg – um nur wenige Beispiel herauszugreifen – stehen abends die Leute binnen Kürze im Zelt bei zünftiger Blasmusik auf den Bänken. Klatschen, singen und grölen, was das Zeug hält. Auch dort trinkt so mancher dabei eindrucksvolle fünf Maßkrüge voll Bier oder mehr (mit Mineralwasser, Milch oder Fanta würde man diese Menge interessanterweise wohl nicht schaffen). Man braucht also gar nicht nach München zu fahren. Zumal es Volksfeste ja auch anderswo wie Sand am Meer gibt. Das zweitgrößte Oktoberfest Deutschlands wird übrigens in Hannover veranstaltet (hätten Sie das gedacht?). Der seit 1818 bestehende Cannstatter Wasen – zweitgrößtes Volksfest der Welt – wird manchmal fälschlicherweise als eine Kopie der Münchner Wiesn betrachtet, hat aber eine eigene Tradition.
Wiesn 2019: Das Oktoberfest als Bad in der Menge
Manche würden nun wieder den beliebten Lagerfeuer-Begriff bemühen, um die Attraktion von Volksfesten soziologisch zu erklären. Soll heißen – ganz verkürzt: Weil wir – vor allem in den westlichen Industrienationen, aber nicht nur dort – inzwischen in der Postmoderne leben, in der sich die Vereinzelung des Individuums immer mehr ausbreitet, braucht der Mensch von Zeit zu Zeit einen geistigen oder auch realen Ort, an dem er sich mit anderen versammelt. Um endlich mal wieder ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben, das ihm – evolutionär gesehen ja immer noch reichlich in der Jungsteinzeit verhaftet – abhandengekommen ist. Gern frequentierte Lagerfeuer der Postmoderne sind übrigens: Fußballstadien (oder etwa zusammen mit Freunden daheim eine WM vor dem Fernseher schauen), „Tatort“ in der ARD („Wie fandest Du Jan Josef Liefers am Sonntagabend im neuen Münsteraner Tatort?“), Musikfestivals – oder eben Volksfeste.
Da ist sicherlich etwas dran. Schlussendlich ist die Erklärung aber wohl viel naheliegender und banaler: Viele Menschen lieben einfach den Trubel, die Ablenkung, die Freude der Kinder über den Rummel. Das Bad in der großen Menge, in der man vielleicht sogar anonym unterwegs sein kann.
Deshalb gibt es das Oktoberfest auch 2110 noch
Viele Menschen lieben auch den Rausch. Nicht zuletzt hat das beschwipste Schwitzen und In-den-Arm-Nehmen im Bierzelt selbstverständlich auch eine erotische Komponente, die nicht selten erwünscht ist. Es werden mit dem Dirndl Dekolletés zur Schau gestellt, in die ja auch reingeschaut werden soll (wie traurig wäre es denn für die Betreffende, wenn ihr Dekolleté auf völliges Desinteresse stieße?). Das ist die banale Wahrheit, abseits aller Soziologie der Massen und allen Naserümpfens der Volksfesthasser. Und darum wird es das Oktoberfest wohl auch noch 2110 geben. Und natürlich nicht nur das Oktoberfest.
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