Mehr als nur eine Erinnerung: Das Nachtleben kehrt zurück
An diesem Freitag dürfen Clubs in Bayern wieder öffnen. Vier Redakteurinnen und Redakteure erinnern sich an ihre denkwürdigsten Nächte.
Jeder hat eine zweite Chance verdient – das gilt auch für das Nachtleben in Bayern. Der Versuch, die Clubs nach der ersten Corona-Zwangspause im Oktober 2021 wieder zu öffnen, war nur von kurzer Freude geprägt. Bereits im November wurden die Tanzflächen erneut geschlossen – bis jetzt. An diesem Freitag dürfen nach einem Beschluss des bayerischen Kabinetts Clubs, Diskotheken, Bars und Kneipen wieder öffnen. In Clubs und Diskos gilt 2G plus. Neben dem Ausweis muss am Eingang also kontrolliert werden, ob Besucherinnen und Besucher doppelt geimpft oder genesen sind und dazu noch einen negativen Test vorlegen können. Wer als geboostert zählt, dem wird der Eintritt auch ohne Testzertifikat gewährt.
Feierwillige dürften sich über die Nachricht der Öffnung gefreut haben. Viele Menschen werden angesichts der weiterhin hohen Corona-Zahlen vorsichtig bleiben. Andere schwelgen in Erinnerungen an lange Nächte, alte Hits und fragwürdige Trink-Rituale. Vier Mitglieder unserer Redaktion geben Einblicke in ihre Erlebnisse.
"Ich war gefürchtet auf der Tanzfläche"
Die Disco hieß Glashaus, und ich war gefürchtet, zumindest auf der Tanzfläche. Glaube ich. Eigentlich das falsche Wort: „Tanz-Fläche“. Fläche klingt so groß, das kleine Disco-Tanz-Rechteck aber hatte allenfalls 20 Quadratmeter, das Doppelte meines Kinderzimmers. In meiner Erinnerung kommt es mir noch kleiner vor. Und Tanz? Nun ja: Ich machte, immer bei den Lautsprecherboxen, weite Ausfallschritte und ruderte mit den Armen. Mein Kopf senkte sich manchmal bedenklich nahe dem Disco-Tanz-flächenboden zu. Aber hey: Die Tanzfläche gehörte mir!
Es war Anfang 1996, ich 16, der DJ spielte „Bullet with Butterfly Wings“ von den Smashing Pumpkins: „The world is a vampire ...“ Später, zum Runterkommen, Anne Clark: „Sleeper in Metropolis“. Düstere Texte, Songs voller Energie. Viel mehr brauchte ich nicht. Viel mehr gab es damals aber auch nicht in meiner Kleinstadt. Doch: nach dem Tanzen eine Pizza im Untergeschoss der Disco. Daniel Wirsching, 43 Jahre
"Zwei Corona-Jahre waren ein einziges Vorglühen"
Ein Kollege erzählte mir neulich Folgendes: In seiner Jugend, also zu „Cotton Eye Joe“-Zeiten, sei es keine Schande gewesen, schon um 22 Uhr in den Club zu gehen. Als Vertreter der Generation „Capital Bra“ möchte ich da widersprechen. Disco vor Mitternacht ist wie Cheeseburger mit Gurke, gehört verboten. Wir jungen Leute heute haben uns ein Abendeinleitungsprogramm angeeignet, Fachbegriff Vorglühen. Alles streng durchchoreografiert: Man trifft sich zur Primetime in Privatwohnungen (kurzes Sorry an die Nachbarn!), zweckentfremdet ein bayerisches Kartenblatt für Trinkspiele und spricht über Gott, die Welt und widerliche Wodkamischungen. Das Prinzip: Sich vorab den Helm lackieren, um dann auf der Tanzfläche richtig zu glänzen. Schon klar, natürlich auch, um den Geldbeutel nicht für überteuerte Longdrinks zu schinden. So gesehen waren diese zwei Corona-Jahre ein einziges Vorglühen. Es ist jetzt fünf nach zwölf, ab in den Club! Fabian Huber, 25 Jahre
"Ein Date mit Mr. Brightside"
Kinder sind Erwachsene, Erwachsene schunkeln nach zwei Jahren Pandemie Enkelkinder auf den Knien – und ich bin plötzlich zu alt für den Club. So jedenfalls erkläre ich mir die Reaktionen, wenn ich verkünde: Ich will wieder feiern gehen! Skeptische Blicke, hochgezogene Augenbrauen: Mir egal!
Ich will unbeschwerte Nächte wie die, als ich mit süßer Rotweinschorle intus in der legendären Augsburger Kantine erst ein Date mit „Mr. Moon“ und dann mit „Mr. Brightside“ hatte (keine Typen, Songs!). Momente wie in der Berliner Panorama-Bar, als früh um halb fünf der ganze Raum vom Bass bebte, nach und nach die ersten Sonnenstrahlen die Tanzfläche vergoldeten. Magisch.
Und ich sehne mich danach, dass die jungen Leute unter mir im Haus endlich wieder auswärts Schlager grölen statt in ihrem Wohnzimmer. Wenn es um meinen wohlverdienten Schlaf geht, bin ich nämlich wohl wirklich alt und biestig geworden.
Sarah Ritschel, 36 Jahre
"Die Krönung wartete vor der Tür"
Das Schönste an der Disco war, wenn sie schloss. Klar waren die Stunden zuvor beglückend: „Pump Up The Jam“ aus den Boxen, die Menge aus dem Häuschen, das Leben aus einem Guss. Außerdem war das Haar noch dicht und Falten hatte ausschließlich der 80er-Jahre-Blouson. Wenn der DJ aber den Saft abdrehte, wartete in lauen Sommernächten die Krönung vor der Tür.
Über den Dächern Ulms graute der Morgen, die milde Luft kitzelte die Müdigkeit aus den Augen. Man musste nur ein paar Schritte gehen, schon stand man auf dem Münsterplatz. Gegen fünf fuhren die ersten Transporter vor. Händler, die Gemüse, Obst und Backwaren auf dem Wochenmarkt verkauften und früh ihre Stände aufbauten. Irgendwann bot uns einer frische Brezen an, vielleicht aus Mitleid. Natürlich kamen wir wieder. Diesmal zahlten wir, wechselten ein paar Worte, aßen, schauten, genossen. Bis der Erste gähnte. So ging das einige Wochen. Es war ein schöner Sommer. Andreas Frei, 51 Jahre
Die Diskussion ist geschlossen.