
Die Schulkrankenschwester – ein Modell auch für Bayern?


Lehrkräfte fühlen sich überlastet, Schüler haben große Lernlücken und sind häufiger krank. In anderen Bundesländern lindern Schulkrankenschwestern die Not.
Ein aufgeschlagenes Knie nach der großen Pause? Nadine Haunstetter desinfiziert die Wunde und klebt ein Pflaster darauf. Die Bauchschmerzen nach der zweiten Stunde? Bei Frau Haunstetter gibt es im Krankenzimmer eine Tasse Tee, ein warmes Kirschkernkissen und das feine Ohr, das hört, ob hinter dem schmerzenden Bauch keine größeren Probleme zu Hause stecken. Bricht sich ein Schüler im Sportunterricht das Bein, kommt sie mit dem Notfallrucksack in die Turnhalle und übernimmt die Erstversorgung.
Haunstetter ist Schulkrankenschwester in Stuttgart. Sie kümmert sie sich mit einer Kollegin um 1800 Schüler auf einem Schulcampus. Früher arbeitete sie im Klinikum, heute macht sie dort nur noch ein paar Stunden. "Wir sind da bei den kleinen Unglücken, die in der Schule passieren. Aber dabei bleibt es nicht", sagt die 44-Jährige. "Wir unterstützen das ganze System."
Lehrkräfte sind länger krank als früher
Dem System Schule geht es schlecht. Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler werden schwächer. Es gibt im ganzen Land zu wenige Lehrkräfte. Und die, die den Mangel aushalten müssen, fühlen sich aufgezehrt davon aufzufangen, was zu Hause schiefläuft. Während ein wachsender Teil der Schüler nicht reif für den Unterricht ist, packen ihnen Politiker höhere Anforderungen obendrauf, beispielsweise die Inklusion von Kindern mit Behinderung und die Integration der Flüchtlinge. "Wir haben so viele Aufgaben zusätzlich bekommen, wir schaffen das eigentlich nicht mehr", sagt die Direktorin der Grundschule an der Camerloher Straße in Ismaning bei München, Antje Radetzky. Die heile Vorstadtwelt ist auch dort passé. Kinder zu unterrichten, die zu Hause kein Deutsch sprechen, weil sie mit ihren Eltern aus der Ukraine, Syrien oder dem Irak geflohen sind, sei extrem fordernd. Doch nicht nur das: Weil eben Lehrkräfte fehlen, müssen die verbleibenden oft deutlich mehr Stunden halten.
Die Überforderung hat Folgen: Die Bundesländer melden, dass Lehrer länger krank seien als früher. Im Schulbarometer der Bosch Stiftung gibt mehr als die Hälfte der befragten Pädagogen an, häufig unter körperlicher Erschöpfung und Müdigkeit zu leiden. Doch nicht nur die Lehrer fallen häufiger aus, die Coronapandemie hat die seelische Gesundheit der Kinder angegriffen. Laut dem Kinder- und Jugendreport 2022 der Krankenkasse DAK haben Angststörungen und Depressionen bei Mädchen im Vergleich zur Vor-Coronazeit um ein Viertel zugenommen. Bei Essstörungen liegt der Anstieg über der Marke von 50 Prozent. Jungen kämpfen stärker mit Übergewicht.
Schulkrankenschwestern gibt es in den USA seit hundert Jahren
Kranke Schüler, kranke Lehrer – "das ist keine gute Mischung", sagt die Gesundheitsforscherin Heidrun Thaiss von der TU München. Sie befürchtet, dass in Deutschland eine schlechter ausgebildete Generation die Schulen verlasse. "Das können wir uns nicht leisten." Eine Schulkrankenschwester – oder im Fachdeutsch Schulgesundheitsfachkraft – könne vieles abdecken, was die Lehrer nicht abdeckten. Genau das meint Nadine Haunstetter, wenn sie betont, das ganze System zu unterstützen. In Stuttgart bemüht sie sich um gesundes Schulessen, klärt über Sex und Verhütung auf, spricht über Drogen und ist die Ansprechpartnerin für Schüler in Not. Gestresste Lehrer können bei ihr eine Yoga-Einheit bekommen. Ihre Arbeit war als Modellversuch angelegt. Ob es weitergeführt und ausgeweitet wird, entscheidet der Stadtrat.

Hessen und Brandenburg haben die Pilotphase bereits hinter sich gelassen. Schulkrankenschwestern gibt es an einigen Schulen, aber nicht flächendeckend. Untersuchungen der Universität Lüneburg und der Berliner Charité haben ergeben, dass die Krankenschwestern einen positiven Unterschied im Schulalltag machen können. In den USA gibt es sie seit dem frühen 20. Jahrhundert, wo sie heute ganz selbstverständlich zu den Schulen gehören.
Bayerns bislang einzige Schulkrankenschwester hatte es an der St.-Georg-Schule in Augsburg gegeben. Volker Kunstmann, Rektor der Grund- und Mittelschule, hatte die Gesundheitsexpertin 2017 eingestellt – unter anderem um Kinder zu versorgen, die krank in die Schule kommen, weil ihre Eltern zur Arbeit mussten. Finanziert wurde die Stelle von der Schule und der Krankenkasse. Am Ende scheiterte es am Geld.
Die bayerische CSU-Gesundheitspolitikerin Emmi Zeulner will das ändern – und zwar flächendeckend im Freistaat. "Unsere Lehrerinnen und Lehrer müssen mittlerweile so viele Aufgaben erfüllen, die über den Lehrplan hinausgehen", sagt die Bundestagsabgeordnete. Schulkrankenschwestern könnten Lehrer entlasten und die Schüler stärker machen. Zeulner fordert deshalb, dass sie Teil des nächsten Koalitionsvertrages im Freistaat werden sollen. Es ist eine Forderung an ihre CSU.
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