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Kriminalität: Und alle schauen zu: Wenn Gewalttaten live auf Facebook übertragen werden

Kriminalität

Und alle schauen zu: Wenn Gewalttaten live auf Facebook übertragen werden

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    Die Live-Funktion von Facebook nutzen viele Menschen - für Sportereignisse oder Schminktipps. Kriminelle übertragen allerdings auch Verbrechen live.
    Die Live-Funktion von Facebook nutzen viele Menschen - für Sportereignisse oder Schminktipps. Kriminelle übertragen allerdings auch Verbrechen live. Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Symbolbild)

    In der US-amerikanischen Stadt Chicago verschwindet eine 15-Jährige. Wenig später zeigen Jugendliche ihrem Onkel ein Video: Es zeigt, wie das Mädchen von einer Gruppe vergewaltigt wird. Alleine das wäre schon schlimm genug. Zuvor hatten die Täter ihr Verbrechen auch in Echtzeit ins Internet übertragen.

    Bis zu 40 Menschen haben sich das Live-Video angeschaut, schreibt die Zeitung Chicago Tribune. Zur Polizei ging niemand. Zwei Tage nach ihrem Verschwinden findet die Polizei die 15-Jährige schließlich und bringt sie nach Hause. Etwa eine Woche ist der Vorfall her und er lässt einen ratlos zurück. Zumal es auf Facebook schon häufiger Echtzeit-Videos von Verbrechen gab.

    Verbrechen live im Netz

    Knapp ein Jahr ist es her, dass Facebook die Live-Funktion eingeführt hat. Sie ermöglicht es Nutzern, live auf Sendung zu gehen. Zwei Klicks reichen aus, um alles, was man selbst sieht und tut, mit der Welt zu teilen. Eigentlich soll die Funktion die Möglichkeit bieten, besondere Momente zu teilen, sagt Facebook. Und die überwiegende Mehrheit der Menschen nutzt die Funktion auch auf diese Weise. Auf einer Weltkarte kann man sich anzeigen lassen, wer gerade wo etwas überträgt. Das meiste, was zu sehen ist, ist nicht besonders spannend: Sportveranstaltungen, Schminktipps oder Gottesdienste. Doch der Vorfall in Chicago war eben auch nicht das erste Mal, dass Täter die Funktion für ihre Verbrechen missbrauchten.

    Ende Januar zeigten zwei Männer in Uppsala in Schweden live, wie sie dem Anschein nach eine Frau vergewaltigen. Sie machten das Video auf Facebook einer Gruppe mit 60.000 Mitgliedern zugänglich. 200 sollen sich die Übertragung angesehen haben.

    Anfang Januar quälten vier junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren einen 18-jährigen geistig behinderten Mann. Sie knebelten und fesselten ihn, zwangen ihn Toilettenwasser zu trinken und schnitten ihm ein Stück Kopfhaut ab. Zwischendurch beschimpften sie ihn.

    Im September machte ein Amerikaner Schlagzeilen, der eine Schildkröte in Brand steckte. Erst kündigte er an, das Tier in Brand zu setzen, wenn er 100 Zuschauer fände. Dann übergoss er es mit Alkohol und setzte die Flüssigkeit in Flammen. Er wollte es erst wieder löschen, wenn er 200 Zuschauer gefunden hätte. Die Polizei schritt ein und löschte das Tier. All das war live zu beobachten.

    "Der Mensch nutzt das aus, was er hat"

    „Mich verwundert diese Entwicklung nicht“, sagt die Kriminalpsychologin Ursula Gasch. „Technische Entwicklung geht immer mit einem Missbrauch einher. Der Mensch nutzt das aus, was er hat.“

    Trotzdem fragt man sich: Warum übertragen Verbrecher ihre Gräueltaten live? Die Frage ist nicht ganz so einfach zu beantworten, sagt die Tübinger Kriminalpsychologin Gasch. „Viele dieser Menschen sehen sich gar nicht als Straftäter“, sagt sie. Manche suchten einen Kick. „Es geht dabei auch um Macht. Sie haben das Gefühl: Die Menschen, die mir zuschauen, sehen nur, was ich will.“ Das verleihe ihnen gewisse Stärke und gliedere sie in eine Gemeinschaft ein.

    „Wenn man mit ihnen spricht und sie fragt, ob sie selbst wollten, dass ihnen das passiert, schämen sich manche. Andere sind schon so abgestumpft, dass sie den Vorfall banalisieren. Sie antworten, dass man doch noch viel Schlimmeres zu sehen bekomme“, erzählt die Psychologin.

    Das ist Facebook

    Facebook ist nach wie vor das wichtigste soziale Netzwerk der Welt. Zahlen und Fakten:

    Facebook gibt es seit Februar 2004.

    Das weltweit beliebteste soziale Netzwerk zählt mehr als 2 Milliarden Mitglieder (Stand Ende 2017).

    Gegründet wurde das Unternehmen vom Amerikaner Mark Zuckerberg. Über ihn und seine Idee erschien 2010 der Film "The Social Network".

    Auf ihren persönlichen Profilseiten können die Facebook-Nutzer Nachrichten, Bilder oder Links verbreiten.

    Die Nutzung ist kostenlos. Einnahmen werden nur über das (personalisierte) Werbegeschäft erwirtschaftet.

    Seit Februar 2014 gehört auch der beliebte Messenger Whatsapp zu Facebook.

    Datenschützer sehen Facebook wegen seiner gewaltigen Datensammlung kritisch.

    Auch Facebook weiß, dass die Funktion missbraucht wird. „Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und verstehen die Herausforderungen, welche Facebook Live mit sich bringt“, teilt der Konzern gegenüber unserer Redaktion mit. Deshalb werde das weltweite Team, das die Inhalte überprüft, vergrößert. Allein für den deutschen Markt sollen bis Ende des Jahres 700 Mitarbeiter zuständig sein.

    Expertin: Facebook-Nutzer müssen handeln statt zusehen

    Allerdings sind sich Facebook, die Polizei und die Kriminalpsychologin Gasch einig, dass die Verantwortung auch woanders liegt – bei den Nutzern. Sie sollen Dinge, die gegen Facebook-Regeln verstoßen, melden, heißt es von dem Unternehmen. Eine Mitteilung sei auch ein wichtiger Weg, damit die Polizei von solchen Verbrechen erfährt, teilt das Bayerische Landeskriminalamt mit. Und Gasch sagt: „Menschen, die sich auf Facebook die Übertragung eines Verbrechens anschauen, unterscheiden sich nur geringfügig von jenen, die bei einem Unfall stehen bleiben, um zu filmen.“ Also von Schaulustigen.

    Und das Gaffen hat in der Menschheitsgeschichte eine lange Tradition. Man denke nur an Gladiatoren, die wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen wurden, sagt die Psychologin. Der Mensch sei einerseits angewidert, andererseits gebannt. Das lasse ihn nicht wegschauen. „Dadurch, dass heute überall bewegte Bilder verfügbar sind, jagt ein Ereignis das nächste. Wir drohen abzustumpfen, zu verrohen. Uns geht die Empathie verloren.“

    Hinnehmen sollte man das ihrer Ansicht nach nicht. „Wir sind jetzt auf einer neuen Stufe. Die technischen Möglichkeiten haben sich weiterentwickelt und wir müssen uns auch anpassen.“

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