Michail Gorbatschow, der Vater der Einheit, hat buchstäblich Mauern zum Einsturz gebracht. Nur sein Traum von einem friedlichen Russland erfüllte sich nicht.
Die Bilder, die die Welt veränderten, werden uns für immer in Erinnerung bleiben. Helmut Kohl in seiner berühmten Strickjacke, neben ihm Michail Gorbatschow im dunklen Pullover – ihr Treffen im Juli 1990 im Kaukasus ebnete nicht nur der deutschen Einheit den Weg. Es war der Anfang vom Ende der kommunistischen Vorherrschaft in weiten Teilen Europas.
Mag Wladimir Putin Gorbatschow auch für den Totengräber des Sozialismus halten und sich selbst für den einzig legitimen Erben der alten Nomenklatura: An Mut und politischer Weitsicht liegen Lichtjahre zwischen dem heutigen russischen Präsidenten und ihm. Ohne Gorbatschow gäbe es kein in Frieden vereintes Deutschland, kein unabhängiges Baltikum in der Nato, kein aufstrebendes Polen und auch keine sich selbstbewusst verteidigende Ukraine.
Gorbatschow war der wichtigste Geburtshelfer der deutschen Einheit
Helmut Kohl mag der Kanzler der Einheit gewesen sein, ihr wichtigster Geburtshelfer aber war Gorbatschow, der mit seiner Politik der Offenheit und des gesellschaftlichen Umbaus, besser bekannt als Perestroika und Glasnost, buchstäblich Mauern zum Einstürzen brachte. Er war es, der dem alten Blockdenken im Politbüro die Vision vom gemeinsamen Haus Europa entgegensetzte, der der Logik des atomaren Aufrüstens trotzte und Abrüstungsverträge mit den Vereinigten Staaten schloss, der einen Mann wie Kohl nicht als Klassenfeind, sondern als Partner betrachtete – gegen enorme Widerstände im Apparat, am Ende aber zum Nutzen beider Seiten, des Westens wie des Ostens.
Umso tragischer war es für ihn, dass sein eigenes Volk diesem Weg der Öffnung nach der ersten Euphorie nur noch murrend und am Ende gar nicht mehr zu folgen bereit war. Gorbatschows Traum von einer friedlichen Koexistenz der Weltmächte und einem demokratischeren Russland hat sich allen großen Hoffnungen zum Trotz bis heute nicht erfüllt. Putins Krieg zerstört dieses Ideal vielleicht nicht für immer und ewig, aber zumindest für lange, lange Zeit.
Für uns Deutsche dagegen war der überraschende Aufstieg Gorbatschows an die Spitze der Sowjetunion ein Glücksfall. Keinem ausländischen Staatsmann, nicht Charles de Gaulle, nicht John F. Kennedy und auch nicht Ronald Reagan, haben wir mehr zu verdanken als ihm. Das Ende des Kalten Krieges in den späten Achtzigerjahren ist vor allem Gorbatschows Verdienst, auch wenn er die Bemühungen um eine deutsche Wiedervereinigung zunächst mit Skepsis verfolgte.
Mit dem von ihm verfügten Ende der sogenannten Breschnew-Doktrin jedoch, die die Länder des Ostblocks quasi zu Vasallen der Sowjetunion gemacht hatte, war der Weg frei in eine neue Zeit und der Friedensnobelpreis 1990 die sichtbare Anerkennung für eine historische Leistung, die ihresgleichen sucht.
Gorbatschow: Mann des Friedens unter kalten Kriegern
Dass ehemalige Sowjetrepubliken wie Kasachstan, Aserbaidschan, oder Weißrussland die neue Freiheit, die Gorbatschow ihnen gewährte, nicht zu nutzen vermochten oder nicht nutzen wollten, kann man nicht ihm anlasten. Die Menschen in der ehemaligen DDR dagegen, die im Wendejahr 1989 für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auf die Straßen gingen, dankten es dem Erneuerer aus Moskau dafür umso mehr. Ein System der greisen kalten Krieger hatte plötzlich einen Mann des Friedens geboren.
Michail Gorbatschow hatte eine bessere Welt vor Augen als die, in der er selbst lebte – und scheiterte im eigenen Land dennoch spektakulär. Dabei braucht das Russland von heute nichts dringender als einen neuen Gorbatschow.
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Sie haben recht, Herr Wais: Gorbatschow hat uns eine gute Zeit beschert. Hätte er die Einheit Deutschlands nicht befürwortert, wäre es für die Bürger in der ehemaligen DDR vielleicht irgendwann zu einem "blutigen Montag" gekommen. Wer sich noch an den Kalten Krieg erinnern kann, wo die Russen vorwiegend an den versteinerten Minen zu erkennen waren, wird vielleicht nachvollziehen können, wie wohltuend die Öffnung Russlands für uns alle war. Vielleicht war das russiche Volk noch zu sehr die Gängelung durch die Obrigkeit gewöhnt, so dass Gorbatschows Ideen zu früh und zu schnell kamen. Und leider wollte auch der Westen mehr als zunächst versprochen war – die Natoosterweiterung war geboren, was sicher zu der heute tobenden kriegerischen Auseinandersetzung beitrug, auch wenn Putins Vorgehen natürlich nicht zu entschuldigen ist.
Es kommt selten vor, dass ich einem Kommentar von Ihnen, Herr Wais, voll zustimmen kann. Bis auf eine Kleinigkeit. Sie schreiben: Ohne Gorbatschow gäbe es kein in Frieden vereintes Deutschland, kein unabhängiges Baltikum in der Nato. Ersteres stimmt, aber Gorbatschow wollte nie die NATO im Baltikum haben. Da hat sich der Westen nicht lange an eine mündliche Zusage gegenüber ihm gehalten, worüber er in späteren Jahren sehr enttäuscht war. Aber Sie haben recht: Das Russland von heute bräuchte wieder dringend einen Mann wie Gorbatschow.