Hölle bei der Loveparade: Absehbare Katastrophe?
Duisburg (dpa) - Sie wollten zur Party und erlebten die Hölle. 19 Menschen starben qualvoll bei einer Massenpanik auf der Loveparade in Duisburg. Im furchtbaren Gedränge an einem Zugangstunnel zur Partyzone wurden sie erstickt, zerquetscht und totgetreten.
Mehr als 340 Raver erlitten in dem Nadelöhr teils schwerste Verletzungen. Viele mussten wiederbelebt werden. Organisatoren sahen sich harten Vorwürfen und vielen Fragen ausgesetzt. Antworten blieben sie schuldig. Die Aufklärung liegt nun in Händen der Staatsanwaltschaft. Bereits vor der großen Technoparty hatte es Warnungen vor einer Katastrophe gegeben. Die Loveparade soll laut Veranstalter nie mehr stattfinden.
"Dieses Unglück ist so entsetzlich, dass man es nicht in Worte fassen kann", sagte Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) am Sonntag.
Wegen des komplizierten Zugangs über Tunnel und Rampen hatten Experten bereits vor der Technoparade Bedenken am Sicherheitskonzept geäußert. Demnach gab es Zweifel, ob das Gelände auf dem alten Güterbahnhof der Ruhrgebietsstadt massentauglich sei. Das Konzept, das für einen sicheren Ablauf der Großveranstaltung sorgen sollte, steht nun bei den Ermittlungen auf dem Prüfstand.
Die Toten waren zwischen 18 und 38 Jahre alt, 11 Frauen und 8 Männer. 11 der Opfer waren Deutsche. Hinzu kommen zwei Menschen aus Spanien sowie Raver aus den Niederlanden, Australien, Italien, China, Spanien und Bosnien.
Sie seien Opfer "materieller Interessen eines Veranstalters, der unter dem Deckmäntelchen der "Kulturhauptstadt 2010"" Druck ausgeübt habe, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Wolfgang Orscheschek. Duisburger Stadtpolitiker seien "in die Enge getrieben" worden, so dass sie trotz eindringlicher Warnungen aus dem Sicherheitsbereich nur "ja" sagen konnten. Polizei und Feuerwehr "haben im Vorfeld ihre Vorbehalte geäußert", sagte Orscheschek. Als Veranstalter der Loveparade tritt die Firma Lopavent auf, deren Besitzer Rainer Schaller auch eine bundesweite Fitness-Kette betreibt.
Die Zahl der Teilnehmer konnten die Veranstalter auch am Tag danach nicht genau beziffern. Sie reicht von 105 000 Menschen, die mit der Bahn zum Feiern reisten, bis hin zu 1,4 Millionen Ravern, die sich in der Stadt aufgehalten haben sollen. Die abgeschlossene Partyzone sei für rund 300 000 Feiernde ausgelegt gewesen, sagte der Leiter des Krisenstabs, Wolfgang Rabe. Der Platz sei zum Zeitpunkt des Unglücks nicht vollständig gefüllt gewesen.
Wie die Ermittler weiter mitteilten, lag der Unglücksort außerhalb des Tunnels. "Zu Todesfällen kam es ausschließlich außerhalb des ebenfalls zum Veranstaltungsgelände gehörenden Tunnels."
Die Katastrophe löste im In- und Ausland eine Welle der Trauer und des Entsetzens aus. "Der Umzug der Liebe wurde zur Parade des Horrors", schrieb die spanische Zeitung "El Mundo" am Sonntag. Führende deutsche Politiker und Bundespräsident Christian Wulff drückten ihr Beileid aus und forderten rückhaltlose Aufklärung. Mit "großem Schmerz" gedachte auch Papst Benedikt XVI. der Opfer. "Ich denke im Gebet an die jungen Menschen, die ihr Leben verloren haben."
Der Ablauf der Tragödie zeichnet sich erst in groben Zügen ab: Es gab am Samstag lange Zeit nur einen Ein- und Ausgang zum Festgelände, und der war nur durch zwei Unterführungen unter Bahngleisen zu erreichen, bevor es um die Ecke auf eine Rampe zum Gelände ging. Im Gedränge dieses Nadelöhrs stauten sich die Menschen. Raver, die ungeduldig zur Party strebten, trafen auf Menschen, die schon müde waren und das Fest verlassen wollten.
Viele kletterten auf Container oder Zäune, um der Enge zu entfliehen, einige stürzten nach Augenzeugenberichten hinunter in die Massen. "Das war programmiertes Chaos", kritisierte der Augenzeuge Udo Sandhöfer die Veranstalter. "Die wollten doch alle nur Spaß. Dann haben alle geweint", beschrieb der Besucher Achmed Hasan die Situation. Nach Bekanntwerden der Todesfälle wurde die Veranstaltung nicht abgebrochen, um weitere Panik zu verhindern.
Die Loveparade soll es nach Angaben des Veranstalters Rainer Schaller nun nicht mehr geben. 1989 in Berlin unter dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" gegründet, fand das fröhliche Techno- Event seit 2007 im Ruhrgebiet statt. Im letzten Jahr fiel sie aus: Die Stadt Bochum hatte die Ausrichtung unter anderem aus Sicherheitsgründen abgesagt.
Beinahe wäre auch die Loveparade im Kulturstadtjahr "Ruhr 2010" in Duisburg gescheitert, weil der hoch verschuldeten Stadt Geld für Sonderbusse, Absperrungen und andere Sicherheitsmaßnahmen fehlten.
Nach der Katastrophe starteten Feuerwehren und andere Rettungsdienste aus ganz Nordrhein-Westfalen einen gigantischen Einsatz. Die am Partygelände vorbeiführende Autobahn 59, die aus Sicherheitsgründen ohnehin gesperrt war, wurde zum Anlaufpunkt für Rettungsfahrzeuge und Hubschrauber.
Bis nach Mitternacht verließen Leichenwagen den Unglücksort. Die Polizei hatte das Gelände mit Zäunen und Sichtblenden weiträumig abgesperrt. In der Nacht kamen erste Trauernde zu dem Tunnel, um ihr Mitgefühl mit den Opfern zu bekunden. Einige zündeten Kerzen an.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich geschockt und sagte: "Zum Feiern waren die jungen Menschen gekommen, stattdessen gibt es Tote und Verletzte." Der Präsident der Europäischen Kommission, Manuel Barroso, kondolierte zum Tod so vieler Menschen. Nordrhein- Westfalens neue Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ließ sich von der Polizei unterrichten und besuchte Verletzte im Krankenhaus.
Die Loveparade unter dem Motto "The Art Of Love" sollte eine der wichtigsten und größten Veranstaltungen im Kulturhauptstadtjahr "Ruhr.2010" werden. Der Cheforganisator Fritz Pleitgen zeigte sich schockiert. "Ganz klar fühle ich mich auch mitverantwortlich, aber eher im moralischen Sinne", sagte Pleitgen Samstagnacht im ZDF.
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