Schriftsteller Rushdie nach Angriff auf dem Weg der Besserung
Ein 24-Jähriger stürmt die Bühne und sticht den weltberühmten Autoren nieder. Der mutmaßliche Angreifer sitzt nun in Untersuchungshaft, Rushdies Zustand verbessert sich langsam.
Nach dem Messerangriff auf Salman Rushdie soll der britisch-indische Autor auf dem Wege der Besserung sein. Berichten zufolge wird er nicht mehr künstlich beatmet. Am Samstag (Ortszeit) habe er bereits wieder sprechen können, berichtete die New York Times unter Berufung auf seinen Literaturagenten Andrew Wylie. Gegen den Mann, der den Schriftsteller im US-Bundesstaat New York auf der Bühne angegriffen hatte, wird laut Polizei wegen versuchten Mordes zweiten Grades und Körperverletzung zweiten Grades ermittelt. Der 24 Jahre alte mutmaßliche Täter sitzt demnach in Untersuchungshaft.
Mord zweiten Grades kann in New York zu jahrelangen Haftstrafen führen
Zu einem Tatmotiv gab es weiter keine Angaben. Mord zweiten Grades ist ein eigenständiger Tatbestand im US-Rechtssystem zum Tod eines Menschen. Er kann im Bundesstaat New York mit jahrelangen Haftstrafen belegt werden.
Rushdie wurde laut US-Medien am Samstag weiter in einem Krankenhaus in Erie im angrenzenden Bundesstaat Pennsylvania behandelt. Aber sein Zustand scheint sich etwas gebessert zu haben. Sein Schriftstellerkollege Aatish Taseer hatte auf Twitter geschrieben, Rushdie mache schon Witze. Der Tweet wurde aber offenbar später wieder gelöscht.
Salman Rushdie an Beatmungsgerät angeschlossen
Der 75-Jährige Rushdie war am Freitagvormittag (Ortszeit) bei einer Veranstaltung in Chautauqua im Westen New Yorks attackiert worden. Wenige Minute zuvor hatte er die Bühne betreten, um über verfolgte Künstler zu sprechen.
Rushdie sei im Krankenhaus operiert und an ein Beatmungsgerät angeschlossen worden, teilte sein Literaturagent Andrew Wylie am Abend der New York Times mit. Er könne nicht sprechen und werde wahrscheinlich ein Auge verlieren. Außerdem seien Nervenstränge in seinem Arm durchtrennt und seine Leber beschädigt worden, hieß es weiter.
Nach Angaben seines Verlags aus dem vergangenen Jahr hätte die Fatwa für Rushdie inzwischen aber längst keine Bedeutung mehr. Er sei nicht mehr eingeschränkt in seiner Bewegungsfreiheit und brauche auch keine Bodyguards mehr. Die Jahre des Versteckens gingen jedoch nicht spurlos an ihm vorüber. Er verarbeitete diese Zeit in der nach seinem Aliasnamen benannten Autobiografie "Joseph Anton" aus dem Jahr 2012.
Vor wenigen Tagen noch hatte Rushdie dem Magazin Stern gesagt, dass er sich in den USA sicher fühle. "Das ist lange her", sagte Rushdie im Interview mit Korrespondent Raphael Geiger Ende Juli auf die Frage, ob er noch immer um sein Leben bange. "Für einige Jahre war es ernst", sagte Rushdie weiter. "Aber seit ich in Amerika lebe, hatte ich keine Probleme mehr." Der Autor habe dabei aber auch vor dem politischen Klima und möglicher Gewalt in den USA gewarnt: Das Schlimme sei, "dass Morddrohungen alltäglich geworden sind".
Institut soll zwei Tage vor Angriff Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen abgelehnt haben
Die Tat geschah nun bei einer Vorlesung Rushdies in der sogenannten Chautauqua Institution, einem Erziehungs- und Kulturzentrum in einem ländlichen Gebiet des Bundesstaates. Die Veranstaltung habe im Rahmen einer Serie unter dem Titel "Mehr als Schutz" ("More than Shelter") stattgefunden, bei der über die USA als Zufluchtsort für Schriftsteller im Exil und über die Verfolgung von Künstlern diskutiert werden sollte.
Nach Darstellung der Polizei stürmte der junge Mann die Bühne der von Hunderten Menschen besuchten Veranstaltung gegen 11.00 Uhr örtlicher Zeit (17.00 Uhr MESZ) und stach auf Rushdie ein. "Mehrere Mitarbeiter der Veranstaltung und Zuschauer stürzten auf den Verdächtigen und brachten ihn zu Boden", sagte ein Sprecher. Ein Polizist habe den 24-Jährigen daraufhin festgenommen.
Angreifer soll Berichten zufolge aus dem Süden des Libanon stammen
Unterdessen wurde Rushdie von einem Arzt aus dem Publikum behandelt, bis Rettungskräfte eintrafen und der Autor schließlich per Helikopter in eine Klinik gebracht wurde. Nach Informationen des US-Senders CNN soll das Institut noch zwei Tage zuvor abgelehnt haben, die Sicherheitsvorkehrungen zu erhöhen. Unklar sei aber, ob mit den empfohlenen Maßnahmen das Attentat auf Rushdie habe verhindert werden können, schrieb der Sender.
Die Familie des Angreifers soll Berichten zufolge aus dem Süden des Libanon stammen. Die Eltern kämen aus dem Ort Jarun, der 24-Jährige selbst habe den Libanon aber noch nie besucht, sagte der Bürgermeister des Ortes libanesischen Medien. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür zunächst nicht. Der Süden des Libanon ist eine Hochburg der schiitischen Hisbollah-Organisation, die eng mit dem ebenfalls schiitischen Iran verbündet ist.
Entsetzen über die Tat auch in der deutschen Politik
Zahlreiche Politiker verurteilten die Gewalttat gegen Rushdie und betonten die Bedeutung von Grundrechten und Meinungsfreiheit. US-Präsident Joe Biden lobte, Rushdie habe sich nicht einschüchtern lassen und stehe für "wesentliche, universelle Werte" wie Wahrheit, Mut und Widerstandsfähigkeit. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb bei Twitter: "Eine internationale Ablehnung solcher krimineller Handlungen, die Grundrechte und Freiheiten verletzen, ist der einzige Weg zu einer besseren und friedlicheren Welt."
Der israelische Regierungschef Jair Lapid sah die Schuld an dem Angriff auch bei der Führung des Irans. Der Vorfall sei "das Resultat von Jahrzehnten der Aufwiegelung, angeführt durch das extremistische Regime in Teheran", schrieb Lapid am Samstagabend bei Twitter.
Von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hieß es: "Wer diesen Mordanschlag nun auch noch rechtfertigt, verbreitet nichts anderes als Hass und Extremismus. Wer an ein friedliches Zusammenleben glaubt, muss sich dem klar und konsequent entgegenstellen."
Kanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb bei Twitter: "Was für eine abscheuliche Tat!". Er wünschte dem Autor viel Kraft für die Genesung.
Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling wurde online bedroht
Das deutsche PEN-Zentrum in Darmstadt verurteilte den Anschlag auf den Schriftsteller ebenfalls scharf. "Wir sind zutiefst schockiert über den Angriff", teilte am Samstag Generalsekretärin Claudia Guderian mit. Der Schriftsteller lebe "für die Freiheit des Wortes" seit nunmehr 30 Jahren unter Todesbedrohung. "Einen solchen Anschlag auf sein Leben hat es bislang nicht gegeben."
Die britische Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling wurde nach dem Angriff auf Rushdie online bedroht. Rowling hatte am Freitag auf Twitter ihr Entsetzen über die Gewalttat ausgedrückt und über Rushdie geschrieben: "Ich hoffe, er ist okay." Daraufhin antwortete ein anderer Nutzer: "Keine Sorge, du bist die nächste." (original: "Don't worry you are next").
Britischer Premier-Kandidat fordert Sanktionen gegen den Iran
Geboren wurde Rushdie im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 in der Metropole Mumbai (damals Bombay). Er studierte später Geschichte am King's College in Cambridge. Seinen Durchbruch als Autor hatte er mit dem Buch "Mitternachtskinder" ("Midnight's Children"), das 1981 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Er erzählt darin die Geschichte von der Loslösung Indiens vom Britischen Empire anhand der Lebensgeschichte von Protagonisten, die genau zur Stunde der Unabhängigkeit geboren werden und mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet sind.
Der britische Premier-Kandidat Rishi Sunak hat nun Sanktionen gegen den Iran gefordert. Der frühere iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini hatte vor mehr als 30 Jahren zur Tötung von Rushdie aufgerufen. Sunak sagte dem Telegraph (Sonntag), der Angriff müsse ein "Weckruf für den Westen" sein und spreche dafür, die iranische Revolutionsgarde als Terrororganisation einzustufen. Man müsse sich außerdem fragen, ob eine potentielle Einigung mit Iran im Atomstreit "möglicherweise in einer Sackgasse angekommen" sei.
Wegen seines Werks "Die satanischen Verse" aus dem Jahr 1988 hatte der Ajatollah damals per Fatwa zur Tötung des britisch-indischen Autors aufgefordert. Er warf Rushdie vor, in seinem Roman den Islam, den Propheten und den Koran beleidigt zu haben. Auf das Todesurteil folgten damals eine dramatische Flucht Rushdies und jahrelanges Verstecken.
Rushdie sieht Wahrheit zunehmend in Gefahr
Insgesamt veröffentlichte Rushdie mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. Rushdies Stil wird als Magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Dennoch sieht er sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet.
Diese sieht er zunehmend in Gefahr, was auch im Zentrum seiner jüngsten Veröffentlichung von Essays steht, die in Deutschland unter dem Titel "Sprachen der Wahrheit" herauskamen. Der seit vielen Jahren in New York lebende Schriftsteller stemmt sich darin gegen Trumpisten und Corona-Leugner. "Die Wahrheit ist ein Kampf, das ist keine Frage. Und vielleicht noch nie so sehr wie jetzt", sagte er in einem Interview des US-Senders PBS im vergangenen Jahr. (dpa)
Die Diskussion ist geschlossen.
>> Ob der Angriff im Zusammenhang mit der jahrzehntealten Fatwa steht, blieb zunächst offen. <<
https://indianexpress.com/article/world/salman-rushdie-stabbed-new-york-attacker-hadi-matar-what-we-know-8087473/
>> Law enforcement officials have identified the attacker as Hadi Matar. The 24-year-old man reportedly hails from New Jersey. An initial sweep of Matar’s social media accounts by law enforcement showed him to be sympathetic to Shia extremism and the causes of the Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC) <<